18.10.2024
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Bundessozialgericht Urteil11.05.2017

Versicherter hat auch bei irrtümlicher Nichterstellung einer Arbeits­un­fä­higkeits-Bescheinigung durch einen Vertragsarzt Anspruch auf Krankengeld

Eine Krankenkasse darf Versicherten, die in den Jahren 2012/2013 zur Feststellung ihrer fortbestehenden Arbeits­un­fä­higkeit (AU) zeitgerecht persönlich einen Vertragsarzt aufsuchten, Kranken­geld­zahlungen dann nicht verweigern, wenn der Arzt die Ausstellung einer AU-Bescheinigung irrtümlich aus nicht­me­di­zi­nischen Gründen unterlässt. Dies entschied das Bundes­so­zi­al­gericht.

In dem Verfahren (Az. B 3 KR 22/15 R) war ein Hausarzt der Auffassung, der Klägerin brauche am letzten Tag der bisher bescheinigten AU-Dauer nicht erneut AU (wegen einer vorliegenden depressiven Episode) attestiert zu werden, weil dies bei einem am Folgetag vereinbarten Termin durch eine Fachärztin ohnehin erfolgen werde (was auch geschah). In einem weiteren Verfahren (Az. B 3 KR 12/16 R) hatte der Arzt angegeben, es sei "leider ... verpasst" worden, eine AU-Bescheinigung (wegen Zustands nach Mamma-Carcinom und Chemotherapie) auszustellen und bejahte nachträglich durchgehende AU. In diesem Fall hat die beklagte Krankenkasse den Klageanspruch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundes­so­zi­al­gericht anerkannt.

Krankengeld muss auch bei Fehlein­schätzung des Arztes über AU aus nicht­me­di­zi­nischen Gründen gewährt werden

Die Weitergewährung von Krankengeld hängt nach den gesetzlichen Vorschriften (in der bis 22. Juli 2015 geltenden Fassung) davon ab, dass am letzten Tag der bestehenden AU für die Folgezeit erneut AU ärztlich festgestellt wird. Schon bisher war aber ausnahmsweise Krankengeld zu zahlen, wenn der Arzt die AU-Folge­be­schei­nigung aufgrund einer medizinischen Fehlbeurteilung nicht erstellte, der Versicherte aber selbst insoweit alles in seiner Macht Stehende getan hatte. Das Bundes­so­zi­al­gericht entschied, dass eine Krankenkasse ausnahmsweise Krankengeld auch gewähren muss, wenn die Fehlein­schätzung des Arztes über die Notwendigkeit einer AU-Bescheinigung auf nicht­me­di­zi­nischen Gründen beruht. Dies gilt aber nur unter engen Voraussetzungen. Der Versicherte darf auch insoweit nicht auf - ungewisse - Regress­ansprüche gegen den Arzt verwiesen werden. Aufgrund der AU-Richtlinien des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses (GBA), die - anders als das Gesetz - eine rückwirkende AU-Attestierung erlauben, kann regelmäßig nicht angenommen werden, dass ein Vertragsarzt weiß, dass ein solches Attest aber zum Verlust langzeitiger Krankengeld-Ansprüche des Versicherten führt. Die Krankenkassen wirken durch Vertreter an den Beschlüssen im GBA mit. Deshalb erscheint es treuwidrig, wenn sich die Krankenkassen bei dieser Sachlage trotz ihrer Mitver­ant­wortung für die Richtlinien von ihrer Leistungs­pflicht befreien könnten.

Hinweis auf Rechts­vor­schriften

Erläuterungen

§ 46 S. 1 Nr. 2 Sozial­ge­setzbuch - Fünftes Buch (SGB V) (in der bis 22.07.2015 geltenden Fassung)

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht

1. [...]

2. [...] von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.

§ 46 S. 1 Nr. 2 und S 2 SGB V (i.d.F. ab 23.07.2015, Gesetz vom 16.07.2015, BGBl I 1211)

Der Anspruch auf Krankengeld entsteht

1. [... ]

2. [...] von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeits­un­fä­higkeit an.

Der Anspruch auf Krankengeld bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeits­un­fä­higkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeits­un­fä­higkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage.

§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V

(1) Die Mitgliedschaft Versi­che­rungs­pflichtiger bleibt erhalten, solange

1. [...]

2. Anspruch auf Krankengeld oder Mutter­schaftsgeld besteht oder eine dieser Leistungen oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Pflege­un­ter­stüt­zungsgeld bezogen wird

Richtlinien des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses über die Beurteilung der Arbeits­un­fä­higkeit [...] (Arbeits­un­fä­higkeits-RL) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V i.d.F. vom 01.12.2003 (BAnz Nr. 61 S. 6501 vom 27.03.2004; aktuell i.d.F. vom 14.11.2013, BAnz vom 27.01.2014)

Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Entgeltfortzahlung'>

(1) Nach Ablauf der Entgelt­fort­zahlung bzw. der Fortzahlung von Entgel­ter­satz­leis­tungen ist ein Fortbestehen der Arbeits­un­fä­higkeit vom Vertragsarzt auf der "Bescheinigung für die Kranken­geld­zahlung" (Muster Nr. 17) zu attestieren [...]

(2) Die Bescheinigung für die Kranken­geld­zahlung soll in der Regel nicht für einen mehr als sieben Tage zurückliegenden und nicht mehr als zwei Tage im Voraus liegenden Zeitraum erfolgen. Ist es auf Grund der Erkrankung oder eines besonderen Krank­heits­verlaufs offensichtlich sachgerecht, können längere Zeiträume der Arbeits­un­fä­higkeit bescheinigt werden.

Quelle: Bundessozialgericht/ra-online

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