14.11.2024
14.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dokument-Nr. 20669

Drucken
Urteil24.02.2015BundesgerichtshofXI ZR 47/14 und XI ZR 193/14
Vorinstanzen zu XI ZR 47/14:
  • Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil09.04.2013, 30 C 2877/11
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil13.01.2014, 24 S 95/13
Vorinstanzen zu XI ZR 193/14:
  • Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil02.07.2013, 30 C 128/13
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil21.03.2014, 24 S 139/13
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil24.02.2015

Bundes­ge­richtshof bejaht Zahlungs­ver­pflichtung der Republik Argentinien gegenüber privaten Gläubigern aus den von ihr begebenen StaatsanleihenSchuldnerstaat steht gegenüber privaten Gläubigern keine Berechtigung zur Zahlungs­verweigerung wegen Staatsnotstands zu

Der Bundes­ge­richtshof hat sich in zwei weiteren Verfahren damit beschäftigt, ob die Republik Argentinien die Erfüllung von Zahlungs­ansprüchen privater Gläubiger aus von ihr begebenen Inhaber­schuld­ver­schreibungen unter Berufung auf den von ihr wegen Zahlungs­un­fä­higkeit erklärten Staatsnotstand oder wegen der mit der Mehrheit der Gläubiger freiwillig zustande gekommenen Umschuldung verweigern kann. Der Bundes­ge­richtshof hat dies verneint.

In den beiden zugrunde liegenden Verfahren macht der jeweilige Kläger Ansprüche aus Inhaber­schuld­ver­schrei­bungen geltend, die von dem beklagten Staat im Jahr 1997 (Sache XI ZR 193/14) bzw. im Jahr 1996 (Sache XI ZR 47/14) ausgegeben wurden. Der Kläger in der Sache XI ZR 193/14 begehrt die Rückzahlung des Nominalbetrags des von ihm erworbenen Mitei­gen­tums­anteils an den Ende Oktober 2009 fällig gewordenen Schuld­ver­schrei­bungen nebst den am 30. Oktober 2008 und 30. Oktober 2009 fällig gewordenen Zinsen. Der Kläger in der Sache XI ZR 47/14 begehrt die Zahlung der aus den Schuld­ver­schrei­bungen am 13. November 2005 fällig gewordenen Zinsen für das Jahr 2005 nebst einem nach seiner Behauptung wegen der Nichtzahlung dieser Zinsen entgangenen Gewinn.

Volks­wirt­schaftliche Probleme des Staates weiten sich zumindest zeitweise bis zu einer Finanzkrise aus

Die Beklagte sieht sich seit 1999 mit erheblichen volks­wirt­schaft­lichen Problemen konfrontiert, die sich zumindest zeitweise bis zu einer Finanzkrise des Staates ausgeweitet hatten. Mit Gesetz Nr. 25.561 über den öffentlichen Notstand und die Reform des Wechsel­kur­s­systems vom 6. Januar 2002 wurde der "öffentliche Notstand auf sozialem, wirtschaft­lichem, administrativem, finanziellem und währungs­po­li­tischem Gebiet" erklärt. Auf der Grundlage der daraufhin erlassenen Verordnung 256/2002 vom 6. Februar 2002 zur Umstruk­tu­rierung der Verbind­lich­keiten und Schul­den­zah­lungen der argentinischen Regierung wurde der Auslands­schul­den­dienst durch die Beklagte ausgesetzt, um ihn neu zu ordnen. Das Gesetz über den öffentlichen Notstand wurde immer wieder - zuletzt ein weiteres Mal bis zum 31. Dezember 2015 - verlängert. Aufgrund dessen fielen auch die beiden Kläger mit den von ihnen nunmehr im Klagewege geltend gemachten Ansprüchen aus.

Schuldnerstaat kommt kein völkerrechtlich begründetes Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht zu

Das Amtsgericht hat den beiden Klagen im Wesentlichen stattgegeben. Das Landgericht hat die dagegen gerichteten Berufungen der Beklagten vollständig (Sache XI ZR 193/14) bzw. ganz überwiegend (Sache XI ZR 47/14) zurückgewiesen. Es hat dabei unter anderem die Ansicht der Beklagten abgelehnt, dass einem Schuldnerstaat, der sich in einer Finanzkrise befunden und mit einer Mehrheit seiner Gläubiger eine Umstruk­tu­rierung seiner Schulden vereinbart habe, ein völkerrechtlich begründetes Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht gegenüber sogenannten Holdout-Gläubigern auch dann zukommen solle, wenn die Bedingungen der zugrunde liegenden Schuld­ver­schreibung entsprechende (Umschuldungs-)Klauseln ("Collective Action Clauses") nicht enthalten haben. Mit der vom Landgericht jeweils zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihre Klagab­wei­sungs­be­gehren weiter.

Völkerrecht kennt weder einheitliches noch kodifiziertes Konkursrecht der Staaten

Die Revisionen der Beklagten hatten keinen Erfolg. Der Bundes­ge­richtshof kam zu dem Ergebnis, dass keine allgemeine Regel des Völkerrechts feststellbar ist, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtigt, die Erfüllung fälliger privat­recht­licher Zahlungs­ansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungs­un­fä­higkeit erklärten Staatsnotstand oder wegen einer mit der Mehrheit der Gläubiger freiwillig zustande gekommenen Umschuldung zeitweise zu verweigern. Dabei hat der Bundes­ge­richtshof an die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts angeknüpft, das bereits im Jahr 2007 - auf mehrere Vorlagen des Amtsgerichts Frankfurt am Main - im Zusammenhang mit anderen Staatsanleihen der Beklagten festgestellt hatte, dass das Völkerrecht weder ein einheitliches noch ein kodifiziertes Konkursrecht der Staaten kennt (BVerfGE 118, 124). Diese Feststellungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts haben nach wie vor Gültigkeit.

Notleidend gewordenen Staat steht kein Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht hinsichtlich fälliger Zahlungs­ansprüche aus Privat­rechts­ver­hält­nissen zu

Entgegen der Auffassung der Revision hat sich insbesondere nicht als Folge der Weltfi­nanz­ma­rktkrise in den Jahren 2008 und 2009 und der sogenannten Euro-Rettungs­maß­nahmen für Griechenland und Zypern eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG mit dem Inhalt herausgebildet, dass sich sämtliche privaten Gläubiger eines Staates im Falle eines wirtschaft­lichen und finanziellen Staatsnotstands an einer Umstruk­tu­rierung der Schulden beteiligen müssen und dem notleidend gewordenen Staat bis zu einer entsprechenden Vereinbarung ein Leistungs­ver­wei­ge­rungsrecht hinsichtlich fälliger Zahlungs­ansprüche aus Privat­rechts­ver­hält­nissen zusteht. Denn in der Sache besagt dieser Ansatz nichts anderes, als dass dadurch das völker­ge­wohn­heits­rechtliche Institut des Notstands für den Sonderfall der Zahlungs­un­fä­higkeit in Voraussetzungen und Rechtsfolgen konkretisiert wird. Im Kern beinhaltet er damit die Behauptung eines von der Staaten­ge­mein­schaft anerkannten Insolvenzrechts der Staaten. Ein solches besteht indes unzweifelhaft nicht, so dass es auch einer Vorlage an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht nach Art. 100 Abs. 2 i.V.m. Art. 25 GG nicht bedurfte.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil20669

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI