23.11.2024
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Dokument-Nr. 4492

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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.05.2007

Argentinien-Anleihen: Staatsnotstand berechtigt nicht zur Zahlungs­ver­wei­gerung gegenüber privaten Gläubigern

Der argentinische Staat muss seine Zahlungs­ver­pflich­tungen aus den Argentinien-Anleihen erfüllen. Das hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden. Der 2002 erklärte Staatsnotstand von Argentinien sei kein Grund, den deutschen Anlegern die Auszahlung zu verweigern.

Die Republik Argentinien bediente sich im Zusammenhang mit der argentinischen Finanzkrise in erheblichem Umfang des Instruments der Staatsanleihen. Solche Anleihen wurden auch auf dem deutschen Kapitalmarkt aufgelegt und von deutschen Gläubigern gezeichnet. Anfang 2002 erklärte sich Argentinien für zahlungsunfähig und berief sich dabei auf einen Staatsnotstand. Anlässlich mehrerer Klagen deutscher Anleger gegen die Republik Argentinien legte das Amtsgericht Frankfurt dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vor, ob der seitens der Republik Argentinien erklärte Staatsnotstand wegen Zahlungsunfähigkeit diese kraft einer allgemeinen Regel des Völkerrechts berechtigt, die Erfüllung fälliger Zahlungs­ansprüche zeitweise zu verweigern.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kam zu dem Ergebnis, dass keine allgemeine Regel des Völkerrechts feststellbar ist, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtigt, die Erfüllung fälliger privat­recht­licher Zahlungs­ansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungs­un­fä­higkeit erklärten Staatsnotstand zeitweise zu verweigern.

Die Richterin Lübbe-Wolff hat der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Zum Beleg einer gewohn­heits­recht­lichen Geltung kann nicht auf den Konven­ti­o­ns­entwurf der Völker­rechts­kom­mission der Vereinten Nationen zur Staaten­ver­ant­wort­lichkeit verwiesen werden, der in Artikel 25 den völker­recht­lichen Staatsnotstand als Recht­fer­ti­gungsgrund regelt. Es ist zwar allgemein anerkannt, dass diese Regelung geltendes Völker­ge­wohn­heitsrecht darstellt. Allerdings handelt es sich bei dem dort geregelten Notstand um einen Recht­fer­ti­gungsgrund in einem Völker­rechts­ver­hältnis, nicht aber im Verhältnis zwischen Staat und privaten Gläubigern.

Auch die einschlägige Rechtsprechung internationaler und nationaler Gerichte erlaubt nicht die positive Feststellung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts, wonach ein Staat berechtigt wäre, gegenüber Privatpersonen den Staatsnotstand einzuwenden. Es fehlt an einer einheitlichen Staatenpraxis, die einen solchen Recht­fer­ti­gungsgrund kraft Völkerrechts anerkennt. Die Praxis internationaler Gerichtshöfe bildet insoweit keine hinreichende Grundlage. Zwar haben verschiedene internationale Gerichte (International Centre for Settlement of Investment Disputes; Ständiger Internationaler Gerichtshof; Französisch- Venezolanisch Gemischte Schieds­kom­mission) die Berufung von Staaten auf den Notstand als Rechtfertigung bereits geprüft. Dennoch geben diese Fälle keine Anhaltspunkte für die Übertragbarkeit der Einrede des Staatsnotstands auf Privat­rechts­ver­hältnisse. Denn die Einrede des Notstandes beschränkte sich in den jeweiligen Verfahren auf die völker­recht­lichen Pflichten zwischen den Staaten. Zu der Frage, ob einem Privaten der Staatsnotstand unmittelbar entge­gen­ge­halten werden könne, nehmen die Entscheidungen nicht Stellung. Auch die Betrachtung der nationalen Rechtsprechung zur Frage des Staatsnotstands führt mangels überein­stim­mender Praxis nicht zu dem Ergebnis, dass die Anerkennung des Staatsnotstands mit Auswirkung auf Privat­rechts­ver­hältnisse gewohn­heits­rechtlich verankert sei.

Sondervotum der Richterin Lübbe-Wolff

Nach Auffassung von Richterin Lübbe-Wolff hat der Senat über die Zulässigkeit der Vorlagen nicht nach den in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben entschieden. Zudem beantworte der Senat eine Vorlagefrage, die ihm zwar in - zwischen­zeitlich aufgehobenen - Vorla­ge­be­schlüssen des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt, nicht aber vom Amtsgericht Frankfurt gestellt war, über dessen Vorlagen der Senat allein noch zu entscheiden hatte. Auch die materielle Rechtslage sei nicht die, die der Senat festgestellt habe. Bei der völker­recht­lichen Einrede des Staatsnotstands handle es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, hinter dem allgemein anerkannte Überzeugungen über die Grenzen der Durch­setz­barkeit von Forderungen und den Vorrang elementarer Gemein­wohl­belange stehen. Es gehe dabei um den Vorrang der Pflicht des Staates zur Aufrecht­er­haltung elementarer Sicherheits- und Daseins­vor­sor­ge­leis­tungen gegenüber den Forderungen Privater, z.B. der Gläubiger spekulativer Anleihen. Die Notstand­s­einrede, die diesem Vorrang Geltung verschaffe, sei nicht in der vom Senat angenommenen Weise beschränkt.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 75/07 des BVerfG vom 05.07.2007

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