15.11.2024
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Dokument-Nr. 19226

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Urteil25.11.2014BundesgerichtshofXI ZR 169/13 und XI ZR 480/13
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2015, 398Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2015, Seite: 398
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Vorinstanzen zu XI ZR 169/13 :
  • Landgericht Hamburg, Urteil28.11.2010, 334 O 95/09
  • Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg, Urteil11.04.2013, 6 U 235/10
Vorinstanzen zu XI ZR 480/13 :
  • Landgericht Hamburg, Urteil27.01.2012, 330 O 476/10
  • Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg, Urteil04.12.2013, 13 U 18/12
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil25.11.2014

Lehman-Anleger haben Anspruch auf SchadensersatzBeratende Bank muss bei "Garantie-Zertifikaten" über Sonder­kündigungs­recht der Emittentin und möglichen Totalverlust des Kapitals ungefragt aufklären

Der Bundes­ge­richtshof hatte sich in zwei weiteren Verfahren mit der Frage zu beschäftigen, ob eine beratende Bank im Zusammenhang mit der Empfehlung von Zertifikaten der nieder­län­dischen Tochter­ge­sell­schaft Lehman Brothers Treasury Co. B.V. (Emittentin) der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. (Garantin) zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet ist. Im Mittelpunkt der Entscheidungen stand die Frage, ob eine beratende Bank beim Vertrieb von "Garantie­zerti­fikaten" über Sonder­kündigungs­rechte der Emittentin ungefragt aufzuklären hat. Der Bundes­ge­richtshof hat eine solche Aufklä­rungs­pflicht bejaht.

Im Verfahren XI ZR 480/13 erwarb der Kläger im November 2007 auf Empfehlung eines Mitarbeiters der beklagten Bank 40 Stück des "Lehman Brothers Garan­tie­zer­ti­fikats auf fünf Bankentitel" zum Nennwert von 39.328 Euro. Im Mai 2008 erwarb er auf Empfehlung desselben Mitarbeiters weitere 100 Stück Lehman-Zertifikate "LB 6 Jahres CatchUp Note auf sechs DAX-Werte" zum Nennwert von 100.000 Euro.

Im Verfahren XI ZR 169/13 erwarb der Kläger im Mai 2008 auf Empfehlung eines Mitarbeiters derselben beklagten Bank "Lehman Brothers Aktien Kupon Anleihen auf sechs DAX Werte", d. h. sogenannte Basket­zer­ti­fikate, zum Kurswert von 33.099 Euro. In dem zugehörigen Produktflyer heißt es u.a. "100 % Kapitalschutz am Laufzeitende".

Bank weist Kläger nicht auf Sonder­kün­di­gungsrecht der Emittentin und dessen Rechtsfolgen hin

Den Zertifikaten lagen die Anlei­he­be­din­gungen der Emittentin zum Basisprospekt vom 28. August 2007 zu Grunde. Danach sollte die Emittentin am Laufzeitende unabhängig von der Entwicklung der Basiswerte mindestens 100 % des eingezahlten Kapitals an den Anleger zurückzahlen. In den Anlei­he­be­din­gungen wird der Emittentin ein Sonderkündigungsrecht aus Gründen eines Fusionse­r­eig­nisses, eines Übernah­me­an­gebots, eines Delistings, einer Verstaatlichung, einer Insolvenz der in den Zertifikaten in Bezug genommenen Unternehmen oder wegen einer durchgeführten oder geplanten Veränderung steuer­recht­licher Vorschriften eingeräumt. In diesen Fällen erhält der Anleger einen Rückzah­lungs­betrag, der von einer Berech­nungs­stelle ausgehend von dem marktgerechten Wert der Zertifikate abzüglich angemessener Aufwendungen und Kosten berechnet wird. Dabei wird in den Anlei­he­be­din­gungen ausgeführt, dass der vorzeitige Rückzah­lungs­betrag möglicherweise unter dem Nennbetrag liegen oder sogar Null betragen könne. Auf das Sonder­kün­di­gungsrecht der Emittentin und dessen Rechtsfolgen wurden die Kläger von der Beklagten nicht hingewiesen. Die Anlei­he­be­din­gungen wurden ihnen ebenfalls nicht übergeben.

Vorinstanzen geben Klage auf Rückzahlung des Anlagebetrages im Verfahren XI ZR 480/13 überwiegend statt

Nach der Insolvenz der Emittentin im September 2008 wurden die Zertifikate weitgehend wertlos. Im Verfahren XI ZR 480/13 verlangt der Kläger Rückzahlung des Anlagebetrages abzüglich erhaltener Zahlungen aus dem Insolvenzverfahren in Höhe von 98.709,64 Euro nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Zertifikate, Zahlung vorge­richt­licher Rechts­an­walts­kosten sowie die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Zertifikate in Verzug befindet. Die Klage hatte in den Vorinstanzen ganz überwiegend Erfolg.

OLG: Kläger im Verfahren XI ZR 169/13 hätte Garantin seine Forderungen im Insol­venz­ver­fahren rechtzeitig anmelden müssen

Der Kläger im Verfahren XI ZR 169/13 begehrt die Rückzahlung des investierten Kapitals in Höhe von 33.099 Euro sowie die Zahlung vorge­richt­licher Rechts­an­walts­kosten. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Oberlan­des­gericht hat das Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte lediglich zur Zahlung von 27.472,17 Euro Zug um Zug gegen Übertragung der Zertifikate und der Ansprüche des Klägers im Insol­venz­ver­fahren der Emittentin verpflichtet ist. Die weitergehende Klage hat es mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger gegen seine Schadens­min­de­rungs­pflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB*) verstoßen habe, weil er es unterlassen habe, seine Forderungen im Insol­venz­ver­fahren der Garantin mit der Aussicht auf den Erhalt einer Vergütung von 17 % seiner Forderung rechtzeitig anzumelden.

BGH: Empfehlung der Zertifikate war in beiden Verfahren nicht anlagegerecht

Die Revisionen der beklagten Bank sind in beiden Verfahren erfolglos geblieben. Gleiches gilt für die im Verfahren XI ZR 169/13 erhobene Anschluss­re­vision des Klägers. Nach Auffassung des Bundes­ge­richtshofs haben die Berufungs­ge­richte in beiden Rechtsstreiten zu Recht eine schuldhafte Verletzung der Pflichten aus dem geschlossenen Anlage­be­ra­tungs­vertrag bejaht und damit die beklagte Bank rechts­feh­lerfrei zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt (§ 280 Abs. 1 BGB**). Die Empfehlung der Zertifikate war in beiden Verfahren nicht anlagegerecht. Bei den Zertifikaten handelte es sich um Inhaber­schuld­ver­schrei­bungen mit einem zugesicherten Kapitalschutz. Bei solchen "Garantie-Zertifikaten" muss eine beratende Bank die Anleger über das in den jeweiligen Anlei­he­be­din­gungen geregelte Sonder­kün­di­gungsrecht der Emittentin, das zu einem Totalverlust des Kapitals führen kann, ungefragt aufklären. Denn ein Sonder­kün­di­gungsrecht stellt einen für die Anlage­ent­scheidung wesentlichen und damit aufklä­rungs­be­dürftigen Umstand dar. Wesentliches Merkmal eines Garan­tie­zer­ti­fikats mit 100 prozentigem Kapitalschutz ist, dass sich das Risiko des Anlegers darauf beschränkt, mit dem Anlagebetrag während der Anlagezeit möglicherweise keine Gewinne zu erwirtschaften oder dass die Emittentin insolvent wird. Dem steht ein Sonder­kün­di­gungsrecht diametral entgegen, bei dem der von der Berech­nungs­stelle nach billigem Ermessen festzulegende Marktwert den Anlagebetrag unterschreiten oder sogar Null betragen kann.

Kläger im Verfahren XI ZR 169/13 muss Kürzung des Schaden­s­er­satz­an­spruches wegen nicht angemeldeter Ansprüche in Kauf nehmen

Im Verfahren XI ZR 169/13 hat das Berufungs­gericht den geltend gemachten Schadensersatz des Klägers nach Ansicht des Bundes­ge­richtshofs auch rechts­feh­lerfrei um 17 % gekürzt. Das Berufungs­gericht hat die Anforderungen an die Schadens­min­de­rungs­pflicht nicht überspannt, denn nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB trifft einen Anleger die Obliegenheit, den Schaden durch Maßnahmen, die nach Lage der Sache erforderlich scheinen und zumutbar sind, möglichst gering zu halten. Verstößt er - wie hier - gegen diese Obliegenheit, weil er seine Ansprüche im Insol­venz­ver­fahren gegen die Garantin nicht anmeldet, muss er eine Kürzung seines Schaden­s­er­satz­an­spruches in Höhe des Betrages in Kauf nehmen, den er im Insol­venz­ver­fahren hätte erlangen können (§ 287 Abs. 1 ZPO***).

* § 254 BGB

Erläuterungen
(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. [...]

** § 280 BGB

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuld­ver­hältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflicht­ver­letzung nicht zu vertreten hat.

(2) [...]

*** § 287 ZPO

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. [...]

(2) [...]

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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