21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil16.04.2015

Elektronische Leseplätze: Bibliotheken dürfen Bücher in digitalisierter Form zugänglich machenBGH zur Zulässigkeit elektronischer Leseplätze in Bibliotheken

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, unter welchen Voraussetzungen an elektronischen Leseplätzen in Bibliotheken elektronische Bücher auch ohne Einwilligung des Rechtsinhabers zugänglich gemacht werden dürfen.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist ein Verlag. Die beklagte Technische Universität Darmstadt hat in ihrer öffentlich zugänglichen Bibliothek elektronische Leseplätze eingerichtet, an denen Biblio­theks­nutzer Zugang zu bestimmten Werken aus dem Biblio­theks­bestand haben. Darunter befand sich das im Verlag der Klägerin erschienene Lehrbuch "Einführung in die neuere Geschichte". Die Beklagte hatte das Buch digitalisiert, um es an den elektronischen Leseplätzen bereitzustellen. Die Nutzer der Leseplätze konnten das Werk ganz oder teilweise auf Papier ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern. Auf ein Angebot der Klägerin, von ihr herausgegebene Lehrbücher als E-Books zu erwerben und zu nutzen, ist die Beklagte nicht eingegangen.

Verlag hält Vorgehensweise der Universität für unzulässig und nicht von der Schran­ken­re­gelung des & 52b UrhG gedeckt

Die Klägerin ist der Ansicht, eine solche Nutzung der in ihrem Verlag erschienenen Werke sei nicht von der Schran­ken­re­gelung des § 52 b UrhG gedeckt. Nach dieser Bestimmung ist es zulässig, veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaft­lichen oder Erwerbszweck verfolgen, ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich zu machen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen. Die Klägerin nimmt die Beklagte unter anderem auf Unterlassung in Anspruch.

LG untersagt Ausdruck und Abspeichern der Werke durch Biblio­theks­nutzer

Das Landgericht Frankfurt am Main hat zwar den Antrag der Klägerin abgewiesen, der Beklagten zu verbieten, Bücher aus dem Verlag der Klägerin zu digitalisieren und in digitalisierter Form an elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zu benutzen, wenn die Klägerin ihr für diese Nutzung einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet. Es hat der Beklagten jedoch - wie von der Klägerin beantragt - untersagt, Biblio­theks­nutzern zu ermöglichen, digitale Versionen von Büchern aus ihrem Verlag an elektronischen Leseplätzen auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Mit ihrer vom Bundes­ge­richtshof zugelassenen Sprungrevision hat die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage erstrebt. Die Klägerin hat mit ihrer Anschluss­re­vision ihren Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Der Bundes­ge­richtshof hat mit Beschluss vom 20. September 2012 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt. Die Regelung des § 52 b UrhG setzt Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG um und ist daher richt­li­ni­en­konform auszulegen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat hierüber durch Urteil vom 11. September 2014 entschieden.

Universität durfte Bücher in digitalisierter Form an elektronischen Leseplätzen der Bibliothek zugänglich machen

Der Bundes­ge­richtshof hat die Klage nun mit seiner Entscheidung insgesamt abgewiesen. Dass die Klägerin der Beklagten den Abschluss eines Lizenzvertrages angeboten hat, der die Beklagte dazu berechtigt hätte, im Verlag der Klägerin erschienene Bücher in digitalisierter Form an den elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen, hat die Beklagte rechtlich nicht daran gehindert, diese Bücher unter Berufung auf § 52 b UrhG auch ohne Einwilligung der Klägerin auf diese Weise zu nutzen. Unter "vertraglichen Regelungen", die nach § 52 b UrhG einer solchen Nutzung entgegenstehen, sind allein Regelungen in bestehenden Verträgen und keine bloßen Vertrags­an­gebote zu verstehen.

Universität ist zur Digitalisierung von Bücher ihres Biblio­theks­be­standes berechtigt

Die Beklagte ist auch berechtigt, im Verlag der Klägerin erschienene Bücher ihres Biblio­theks­be­standes zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist, um diese Bücher an elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen. § 52 b UrhG sieht zwar keine solche Berechtigung vor. Jedoch ist in diesen Fällen die unmittelbar für das öffentliche Zugäng­lich­machen von Werken in Unterricht und Forschung geltende Regelung des § 52 a Abs. 3 UrhG entsprechend anwendbar, die zur Zugäng­lich­machung erforderliche Verviel­fäl­ti­gungen erlaubt. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung ist geboten, weil das Recht zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen einen großen Teil seines sachlichen Gehalts und sogar seiner praktischen Wirksamkeit verlieren würde, wenn die Bibliotheken kein akzessorisches Recht zur Digitalisierung der betroffenen Werke besäßen.

Ausdrucken oder Abspeichernder Werke auf USB-Sticks verletzt keine Urheberrechte

Die Beklagte hat das Urheberrecht an dem Buch auch nicht dadurch verletzt, dass sie es Biblio­theks­nutzern ermöglicht hat, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Der Beklagten war es nach § 52 b UrhG erlaubt, das Buch an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. § 52 b UrhG ist im Blick auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass Werke an elektronischen Leseplätzen nur in der Weise zugänglich gemacht werden dürfen, dass sie von Nutzern dort nur gelesen und nicht auch ausgedruckt oder abgespeichert werden können. Die Beklagte haftet auch nicht für unbefugte Verviel­fäl­ti­gungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze. Das Berufungs­gericht hat nicht festgestellt, dass es zu unberechtigten Verviel­fäl­ti­gungen durch Nutzer der Leseplätze gekommen ist. Davon kann auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ein Ausdrucken oder Abspeichern von an elektronischen Leseplätzen bereit­ge­stellten Werken kann in vielen Fällen als Verviel­fäl­tigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG zulässig sein.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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