21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.11.2016

Digitale Verviel­fäl­tigung im Handel vergriffener Bücher ohne Zustimmung des Urhebers verstößt gegen Urheberrechts­richtlinieUrhebern muss Möglichkeit zur Unterbindung der Nutzung ohne Förmlichkeiten gegeben werden

Die Urheberrechts­richtlinie steht einer nationalen Regelung entgegen, die die digitale Verviel­fäl­tigung im Handel vergriffener Bücher unter Missachtung der ausschließ­lichen Rechte der Urheber gestattet. Mit einer solchen Regelung muss der den Urhebern durch die Richtlinie gewährte Schutz sichergestellt und insbesondere dafür gesorgt werden, dass sie von der geplanten digitalen Nutzung ihres Werks tatsächlich informiert werden und die Möglichkeit haben, diese Nutzung ohne Förmlichkeiten zu unterbinden. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

In Frankreich versteht man unter einem "vergriffenen Buch" ein vor dem 1. Januar 2001 veröf­fent­lichtes Buch, das nicht mehr gewerbsmäßig verbreitet und nicht mehr in gedruckter oder digitaler Form publiziert wird. Nach der französischen Regelung ist eine zugelassene Verwer­tungs­ge­sell­schaft namens SOFIA damit betraut, die Verviel­fäl­tigung und Wiedergabe vergriffener Bücher in digitaler Form zu erlauben, wobei die Urheber der Bücher oder ihre Rechts­nach­folger der Ausübung dieser Rechte unter bestimmten Voraussetzungen widersprechen oder sie unterbinden können.

Französische Autoren beantragen Nichti­g­er­klärung des Dekrets

Zwei französische Autoren (Marc Soulier, besser bekannt unter dem Namen Ayerdhal und mittlerweile verstorben, und Sara Doke) beantragten die Nichti­g­er­klärung eines Dekrets, in dem bestimmte Aspekte dieser Regelung präzisiert werden und das ihres Erachtens nicht mit der Urheber­rechts­richt­linie* vereinbar ist. Sie machen insbesondere geltend, dass mit der französischen Regelung eine nicht vorgesehene Ausnahme bzw. Beschränkung in Bezug auf die den Urhebern durch die Richtlinie gewährten ausschließ­lichen Rechte geschaffen werde. Der mit der Rechtssache befasste französische Conseil d’État befragt hierzu den Gerichtshof.

Urheber dürfen über Verviel­fäl­tigung und öffentliche Wiedergabe ihrer Werke entscheiden

Der Gerichtshof weist in seinem Urteil darauf hin, dass Urheber vorbehaltlich der in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen das ausschließliche Recht haben, die Verviel­fäl­tigung und die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu untersagen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch die vorherige Zustimmung eines Urhebers zur Nutzung eines seiner Werke implizit erfolgen. Das Vorliegen einer solchen Zustimmung setzt insbesondere voraus, dass jeder Urheber über die künftige Nutzung seines Werks durch einen Dritten informiert wird sowie darüber, mit welchen Mitteln er die Nutzung untersagen kann, sofern er dies wünscht.

Fehlende Kenntnis betroffener Urheber über geplanten Nutzung ihrer Werke kann nicht ausgeschlossen werden

Die französische Regelung sieht derzeit vor, dass der SOFIA das Recht, die digitale Nutzung vergriffener Bücher zu erlauben, übertragen wird, wenn der Urheber dem nicht binnen sechs Monaten nach der Aufnahme seiner Bücher in eine hierfür eingerichtete Datenbank widerspricht. Der Conseil d’État hat nicht angegeben, ob die Regelung gewährleistet, dass jeder Urheber tatsächlich individuell informiert wird. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass einige betroffene Urheber faktisch keine Kenntnis von der geplanten Nutzung ihrer Werke haben und daher nicht in der Lage sind, zu ihr Stellung zu nehmen. Unter diesen Voraussetzungen kann die bloße Tatsache, dass sie der Nutzung nicht widersprechen, nicht als Ausdruck ihrer impliziten Zustimmung angesehen werden. Dies gilt umso mehr, als vernünf­ti­gerweise nicht angenommen werden kann, dass sämtliche Urheber "vergriffener" Bücher, die nicht widersprechen, damit einverstanden sind, dass ihre Werke zwecks gewerbsmäßiger Nutzung in digitaler Form "wiederaufleben". Zudem ist die Verfolgung des Ziels, die digitale Nutzung vergriffener Bücher im kulturellen Interesse der Verbraucher und der Gesellschaft zu ermöglichen, zwar an sich mit der Richtlinie vereinbar, doch kann dies keine vom Unions­ge­setzgeber nicht vorgesehene Ausnahme von dem den Urhebern durch die Richtlinie gewährten Schutz rechtfertigen.

Urheber eines Werks muss Möglichkeit zur Unterbindung der Nutzung seines Werks in digitaler Form haben

Überdies weist der Gerichtshof darauf hin, dass die französische Regelung es den Urhebern ermöglicht, die gewerbsmäßige Nutzung ihrer Werke in digitaler Form zu unterbinden, indem sie entweder im Einvernehmen mit den Herausgebern der gedruckten Form dieser Werke oder alleine handeln. Im letztgenannten Fall müssen sie jedoch nachweisen, dass sie die alleinigen Inhaber der Rechte an den Werken sind. Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass der Urheber das Recht, die künftige Nutzung seines Werks in digitaler Form zu unterbinden, ausüben können muss, ohne auf die Zustimmung anderer als der zur digitalen Nutzung befugten Personen und somit die Zustimmung des Herausgebers, der nur die Rechte zur Nutzung des Werks in gedruckter Form innehat, angewiesen zu sein. Außerdem muss der Urheber eines Werks die Möglichkeit haben, die Ausübung der Rechte zur Nutzung des Werks in digitaler Form zu unterbinden, ohne zuvor zusätzliche Förmlichkeiten beachten zu müssen.

Erläuterungen

*Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft (ABl. 2001 L 167, S. 10).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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