21.11.2024
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Dokument-Nr. 15089

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Beschluss24.01.2013BundesgerichtshofI ZR 171/10
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2013, 523Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2013, Seite: 523
  • GRUR 2013, 527Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2013, Seite: 527
  • MMR 2013, 329Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2013, Seite: 329
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Vorinstanzen:
  • Landgericht Köln, Urteil22.10.2009, 31 O 552/08
  • Oberlandesgericht Köln, Urteil03.09.2010, 6 U 196/09
ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Beschluss24.01.2013

BGH legt EuGH Fragen zur Neuregelung des Glückss­piel­rechts vorBGH äußert Zweifel an Vereinbarkeit des deutschen Glückss­piel­rechts mit EU-Recht

Der Bundes­ge­richtshof hat Zweifel an der Vereinbarkeit des deutschen Glückss­piel­rechts mit dem Recht der Europäischen Union geäußert und daher dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vier Fragen zur Neuregelung des Glückss­piel­rechts vorgelegt.

Die Beklagte des zugrunde liegenden Streitfalls bietet im Internet Glücksspiele und Sportwetten an. Die Klägerin, die staatliche Lotto­ge­sell­schaft von Nordrhein-Westfalen, hält dieses Angebot für wettbewerbswidrig. Ihre Unter­las­sungsklage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungs­gericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zu Fragen hinsichtlich der unions­recht­lichen Dienst­leis­tungs­freiheit

Nach der Rechtsprechung des Bundes­ge­richtshofs handelte die Beklagte bis zum 31. Dezember 2011 wettbe­wer­bs­widrig, weil sie gegen die Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiele im Internet gemäß § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 3 Glückss­piel­staats­vertrag 2008 (GlüStV 2008) verstieß (vgl. Bundes­ge­richtshof, Urteil v. 28.09.2011 - I ZR 92/09 u.a.). Nach Recht­s­än­de­rungen stellt sich aber die Frage, ob das deutsche Glückss­pielrecht noch mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Der Bundes­ge­richtshof hat das Verfahren deshalb ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur unions­recht­lichen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) vorgelegt.

Rechtslage Schleswig-Holstein unterscheidet sich wesentlich von Rechtslage des übrigen Bundesgebiets

Seit 1. Januar 2012 gilt in Schleswig-Holstein ein liberalisiertes Glückss­pielrecht. Danach sind Vertrieb und Werbung für Glücksspiele im Internet grundsätzlich zulässig; unter bestimmten objektiven Voraussetzungen ist die Genehmigung für den Vertrieb öffentlicher Wetten jedem Antragsteller aus der EU zu erteilen. In den übrigen Bundesländern gilt dagegen inzwischen ein neuer Glücksspielstaatsvertrag (1. Glückss­pie­l­än­de­rungs­staats­vertrag GlüStV 2012). Der GlüStV 2012 enthält weiterhin Vertriebs- und Werbeverbote für Glücksspiel im Internet. Zwar kann die Verwendung des Internets zu diesen Zwecken unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr erlaubt werden. Auf die Erlaub­ni­s­er­teilung besteht aber kein Rechtsanspruch. Damit unterscheidet sich die Rechtslage im übrigen Bundesgebiet wesentlich von der Schleswig-Holsteins.

Beschränkungen der Glückss­piel­tä­tigkeit muss legitime Allge­mein­in­teressen verfolgen

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Beschränkungen der Glückss­piel­tä­tigkeit nur dann mit der Dienst­leis­tungs­freiheit vereinbar, wenn ihre Eignung, legitime Allge­mein­in­teressen zu verfolgen, nicht durch Ausnahmen und Einschränkungen beseitigt wird (Kohärenzgebot). Die Liberalisierung von Inter­net­vertrieb und -werbung für Glücksspiele in Schleswig-Holstein könnte die Eignung der entsprechenden Verbote in den anderen Bundesländern zur Erreichung der mit dem Glückss­piel­staats­vertrag 2012 verfolgten legitimen Allge­mein­in­teressen erheblich beeinträchtigen. Das könnte möglicherweise dazu führen, dass die Vertriebs- und Werbe­be­schrän­kungen im Internet für Glücksspiele in den anderen Bundesländern wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unanwendbar sind.

Fällt Regelung des Glückss­piel­wesens in Geset­zes­kom­petenz der Länder?

Mit der ersten Frage des Vorab­ent­schei­dungs­er­suchens möchte der Bundes­ge­richtshof wissen, ob eine Verletzung des unions­recht­lichen Kohärenzgebots wegen der unter­schied­lichen Rechtslage in Schleswig-Holstein gegenüber dem übrigen Bundesgebiet schon deshalb ausscheidet, weil die Regelung des Glückss­piel­wesens in die Geset­zes­kom­petenz der Länder fällt und die Möglichkeit unter­schied­licher Regelungen in den Bundesländern daher eine Folge der bundess­taat­lichen Verfassung Deutschlands ist. In der zweiten Frage geht es darum, ob die Antwort auf die erste Frage davon abhängt, in welchem Maß die unter­schiedliche Rechtslage die Wirksamkeit der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels beeinträchtigt.

Unter­schiedliche Regelungen innerhalb eines Mitgliedstaats sollten nicht als zusam­men­hangslose Beschränkungen der Dienst­leis­tungs­freiheit angesehen werden

Nach Ansicht des Bundes­ge­richtshof sprechen insbesondere die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie der Verhält­nis­mä­ßigkeit dafür, in der bundess­taat­lichen Ordnung begründete unter­schiedliche Regelungen innerhalb eines Mitgliedstaats nicht als inkohärente Beschränkungen der Dienst­leis­tungs­freiheit anzusehen, soweit sie in der EU nicht harmonisierte Sektoren wie das Glücksspiel betreffen. Jedenfalls sollte es aber nicht zu einer Inkohärenz der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen führen, wenn ihre Eignung durch eine liberalere Regelung in einem einzelnen kleineren Bundesland nur unerheblich beeinträchtigt wird.

Dürfen bereits erteilte Konzessionen während mehrjähriger Übergangszeit fortgelten?

Da die neue Landesregierung in Schleswig-Holstein beabsichtigt, dem GlüStV 2012 beizutreten, hat der Bundes­ge­richtshof den EuGH für den Fall, dass ein solcher Beitritt bis zur Entscheidung des EuGH erfolgt ist, um die Beantwortung der dritten Vorlagefrage gebeten: Mit ihr soll geklärt werden, ob eine möglicherweise bestehende unions­rechtliche Inkohärenz dadurch beseitigt wird, dass Schleswig-Holstein die im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die großzügigeren Regelungen in diesem Bundesland für dort bereits erteilte Konzessionen noch während einer mehrjährigen Übergangszeit fortgelten, weil sie nicht oder nur gegen hohe Entschädigungen widerrufen werden können. Auch hier möchte der Bundes­ge­richtshof - dies ist die vierte Frage - wissen, ob es für die Antwort darauf ankommt, ob während der Übergangszeit die Wirksamkeit der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird.

Nach Ansicht des Bundes­ge­richtshof sollte es mit dem Unionsrecht vereinbar sein, wenn zulässige Regelungen für den Glückss­piel­bereich, auf die sich die Länder eines Bundesstaates geeinigt haben, in einem Bundesland erst nach einer mehrjährigen Übergangszeit in Kraft gesetzt werden, auch wenn die Wirksamkeit dieser Regelungen im übrigen Bundesgebiet in der Zwischenzeit beeinträchtigt wird. Jedenfalls sollte dies gelten, wenn die Beein­träch­tigung nur unerheblich ist.

Die Fragen des BGH an den EuGH im Einzelnen

Der Bundes­ge­richtshof hat das Verfahren vorläufig ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung des Art. 56 AEUV folgende Fragen vorgelegt:

Erläuterungen

1. Stellt es eine inkohärente Beschränkung des Glückss­piel­sektors dar,

- wenn einerseits in einem als Bundesstaat verfassten Mitgliedstaat die Veranstaltung und die Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet nach dem in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer geltenden Recht grundsätzlich verboten ist und - ohne Rechtsanspruch - nur für Lotterien und Sportwetten ausnahmsweise erlaubt werden kann, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glückss­pie­l­angebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entge­gen­zu­wirken,

- wenn andererseits in einem Bundesland dieses Mitgliedstaats nach dem dort geltenden Recht unter näher bestimmten objektiven Voraussetzungen jedem Unionsbürger und jeder diesem gleich­ge­stellten juristischen Person eine Genehmigung für den Vertrieb von Sportwetten im Internet erteilt werden muss und dadurch die Eignung der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkung des Glückss­piel­ver­triebs im Internet zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls beeinträchtigt werden kann?

2. Kommt es für die Antwort auf die erste Frage darauf an, ob die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls aufhebt oder erheblich beeinträchtigt?

Falls die erste Frage bejaht wird:

3. Wird die Inkohärenz dadurch beseitigt, dass das Bundesland mit der abweichenden Regelung die in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die bisherigen großzügigeren Regelungen des Inter­net­glücksspiels in diesem Bundesland hinsichtlich der dort bereits erteilten Konzessionen noch für eine mehrjährige Übergangszeit fortgelten, weil diese Genehmigungen nicht oder nur gegen für das Bundesland schwer tragbare Entschä­di­gungs­zah­lungen widerrufen werden könnten?

4. Kommt es für die Antwort auf die dritte Frage darauf an, ob während der mehrjährigen Übergangszeit die Eignung der in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird?

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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