21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.02.2012

Mindestabstand zwischen Wettan­nah­me­stellen nicht mit europäischem Unionsrecht vereinbarEuGH prüft Maßnahmen Italiens zur Behebung rechtswidrig erklärter Ausschlüsse einzelner Glückss­pie­lan­bieter

Eine nationale Regelung über Glücksspiele, die einen Mindestabstand zwischen Wettan­nah­me­stellen vorschreibt, steht dem Unionsrecht dann entgegen, wenn damit die Geschäfts­po­si­tionen der bestehenden Betreiber geschützt werden sollen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union und prüfte die Maßnahmen Italiens zur Behebung des von ihm 2007 für rechtswidrig erklärten Ausschlusses bestimmter Glückss­pie­lan­bieter.

Die geltende italienische Regelung sieht vor, dass die Tätigkeiten des Sammelns und der Verwaltung von Wetten nur von Personen ausgeübt werden, die aufgrund einer Ausschreibung eine Konzession erlangt und ferner eine ordnungs­po­li­zeiliche Genehmigung erhalten haben. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften ist strafbar.

EuGH erklärt 2007 Ausschluss Einzelner von Ausschreibungen für rechtswidrig

1999 hatten die italienischen Behörden nach Ausschreibungen eine große Zahl von Konzessionen für Sport- und Pferde­renn­wetten vergeben. Von den Ausschreibungen waren u. a. Gesellschaften, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt werden, ausgeschlossen. Mit Urteil vom 6. März 2007 stellte der Gerichtshof der Europäischen Union die Rechts­wid­rigkeit dieses Ausschlusses fest.

Italien setzt Mindestabstände für Wettan­nah­me­stellen fest

2006 begann Italien, den Glückss­piel­sektor zu reformieren, um ihn an die Anforderungen des Unionsrechts anzupassen. Insbesondere schrieb Italien eine große Zahl von neuen Konzessionen aus und legte u. a. fest, dass die neuen Wettan­nah­me­stellen Mindestabstände zu den Annahmestellen einhalten müssen, für die bereits im Zuge der Ausschreibung von 1999 eine Konzession vergeben worden war.

Belangung wegen unerlaubter Wetttätigkeit

Herr Costa und Herr Cifone, die Daten­über­tra­gungs­zentren (DÜZ) betreiben und vertraglich an die englische Gesellschaft Stanley International Betting Ltd gebunden sind, wurden wegen unerlaubter Wetttätigkeit belangt, weil sie, ohne die Voraussetzungen nach der italienischen Regelung zu erfüllen, Wetten angenommen hatten. Stanley ist in Italien ausschließlich durch mehr als 200 Agenturen tätig, die als DÜZ betrieben werden. Das Unternehmen war von der Ausschreibung im Jahr 1999 rechtswidrig ausgeschlossen worden und hatte von einer Teilnahme an der Ausschreibung von 2006 mangels einer zufrie­den­stel­lenden Antwort der italienischen Behörden auf seine Ersuchen um Klarstellung zu der neuen Regelung Abstand genommen.

Nationales Gericht äußert Zweifel an Vereinbarkeit von nationaler Regelung mit unionsrechtlich gewährleisteter Nieder­las­sungs­freiheit

Die Corte suprema di cassazione (italienischer Kassationshof), bei der diese Verfahren anhängig sind, hat Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit der durch das Unionsrecht gewährleisteten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Diese Regelung scheint nämlich nach Auffassung des italienischen Gerichts diskri­mi­nierende Züge aufzuweisen, weshalb es dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen vorgelegt hat.

Einhalten eines Mindestabstands zu bereits vorhandenen Konzessionären nachteilig und diskriminierend für neue Konzessionäre

Als Erstes prüfte der Gerichtshof der Europäischen Union die nationale Bestimmung, nach der die neuen Konzessionäre mit ihren Einrichtungen einen Mindestabstand zu den bereits vorhandenen Konzessionären einzuhalten haben. Diese Maßnahme bewirkt nach Auffassung des Gerichtshofs, dass die von den bereits etablierten Betreibern erworbenen Geschäfts­po­si­tionen zum Nachteil der neuen Konzessionäre geschützt sind, die sich an Orten niederlassen müssen, die geschäftlich weniger interessant sind als die der etablierten Betreiber. Eine solche Maßnahme bedeutet somit eine Diskriminierung der von der Ausschreibung von 1999 ausge­schlossenen Wirtschafts­teil­nehmer.

Minde­st­ab­s­tands­re­gelung würde nicht für bereits etablierte, sondern nur für neue Konzessionäre gelten

Eine solche Ungleich­be­handlung kann nach dem Unionsrecht durch zwingende Gründe des Allge­mein­in­teresses gerechtfertigt sein. Die italienische Regierung führt zwei Gründe an. Zum einen solle verhindert werden, dass Verbraucher, die in der Nähe von Wettan­nah­me­stellen wohnen, einem Überangebot ausgesetzt seien. Der Gerichtshof weist dieses Argument zurück, weil der italienische Glückss­piel­sektor lange Zeit durch eine expansive Politik gekennzeichnet war, die mit dem Ziel einer Erhöhung der Staatseinnahmen betrieben wurde. Zum anderen trägt Italien vor, die Regelung solle der Gefahr entgegentreten, dass sich die in schlechter versorgten Orten lebenden Verbraucher auf illegale Spiele einließen. Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass die zur Verwirklichung des geltend gemachten Ziels eingesetzten Mittel kohärent sein und systematisch gelten müssen. Im vorliegenden Fall gilt die Minde­st­ab­s­tands­re­gelung nicht für die bereits etablierten, sondern für die neuen Konzessionäre und würde daher nur für diese zu Nachteilen führen.

Schutz von Geschäfts­po­si­tionen bestehender Betreiber durch Minde­st­ab­s­tands­re­gelung unzulässig

Jedenfalls ließe sich eine nationale Regelung, die einen Mindestabstand zwischen Annahmestellen vorschreibt, nur dann rechtfertigen, wenn ihr wirkliches Ziel nicht im Schutz der Geschäfts­po­si­tionen der bestehenden Betreiber bestünde, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist. Das italienische Gericht hat gegebenenfalls auch zu prüfen, ob die Verpflichtung zur Einhaltung von Minde­stab­s­tänden, die der Einrichtung zusätzlicher Annahmestellen in vom Publikum stark frequentierten Zonen entgegensteht, zur Erreichung des angegebenen Ziels geeignet ist und die neuen Betreiber dazu veranlasst, sich an weniger frequentierten Orten niederzulassen, womit das nationale Hoheitsgebiet abgedeckt wird.

Als Zweites prüft der Gerichtshof die italienische Regelung, die den Entzug der Konzession (und den Verfall der für ihre Erlangung gestellten finanziellen Sicherheit) vorsieht, wenn der Konzes­si­ons­inhaber oder der Geschäftsführer unerlaubte Spiele anbietet und damit einen Straftatbestand erfüllt, „der geeignet ist, die vom Vertrauen getragenen Beziehungen mit der Staats­mo­no­pol­ver­waltung zu zerrütten“.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Grundsätze der Dienst­leis­tungs­freiheit und des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs Sanktionen gegen Personen (wie Herrn Costa und Herrn Cifone), die an einen Wirtschafts­teil­nehmer (wie Stanley) gebunden sind, entgegenstehen, wenn dieser von einer Ausschreibung unions­rechts­widrig ausgeschlossen worden ist. Diese Feststellung gilt auch für die Neuaus­schreibung zur Behebung dieses rechtswidrigen Ausschlusses des Wirtschafts­teil­nehmers, wenn dieses Ziel durch die Neuaus­schreibung nicht erreicht werden konnte, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

Bestimmungen zum Entzug von Konzessionen müssen klar, genau und eindeutig formuliert sein

Ferner stellt der Gerichtshof fest, dass die Bedingungen und Modalitäten eines Verga­be­ver­fahrens und insbesondere Bestimmungen, die den Entzug von Konzessionen vorsehen, klar, genau und eindeutig formuliert sein müssen, was vorliegend nicht der Fall ist. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, dies zu prüfen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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