21.11.2024
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Dokument-Nr. 3949

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil06.03.2007

Europäischer Gerichtshof stellt staatliches Wettmonopol in FrageEuGH-Urteil zu einem italienischen Fall nährt Zweifel am staatlichen Wettmonopol in Deutschland

Der Europäische Gerichtshof erklärt es für gemein­schafts­rechts­widrig, dass in Italien Vermittler, die für Rechnung ausländischer Unternehmen Wetten sammeln, mit Strafe bedroht sind. Ein Mitgliedstaat darf keine Strafe wegen Nichterfüllung einer Verwal­tungs­for­malität verhängen, deren Erfüllung er unter Verstoß gegen das Gemein­schaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat.

Nach italienischem Recht darf Glücksspiele nur organisieren und Wetten nur sammeln, wer dafür eine Konzession und polizeiliche Genehmigung besitzt. Für einen Verstoß gegen diese Regelung sieht das italienische Recht Strafen vor, die bis zu drei Jahren Freiheitsentzug reichen können.

Im Jahr 1999 vergaben die zuständigen italienischen Behörden im Wege von Ausschreibungen 1 000 Konzessionen für Wetten auf Sport­ver­an­stal­tungen und 671 neue Wettkon­zes­sionen für Reits­port­ver­an­stal­tungen (329 bestehende Konzessionen wurden automatisch verlängert). Diese Konzessionen galten für sechs Jahre und waren für weitere sechs Jahre verlängerbar. Von den Ausschreibungen waren u. a. diejenigen Wirtschafts­teil­nehmer ausgeschlossen, die die Rechtsform einer Gesellschaft hatten, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt wurden.

Eine dieser Gesellschaften war die englische Gesellschaft Stanley International Betting Ltd, die eine entsprechende Lizenz der Stadt Liverpool besaß. Sie gehört zur Unter­neh­mens­gruppe der Stanley Leisure plc, eine an der Londoner Börse notierte englische Gesellschaft, die damals im Vereinigten Königreich der größte Buchmacher und der größte Betreiber von Glückss­piel­hallen war. In Italien ist Stanley durch "Daten­über­tra­gungs­zentren" (DÜZ) vertreten, die von unabhängigen, aber mit Stanley vertraglich verbundenen Betreibern unterhalten werden. Diese DÜZ stellen den Wettenden Daten­über­tra­gungs­mög­lich­keiten zur Verfügung, mit denen sie auf den Server von Stanley im Vereinigten Königreich zugreifen können.

Die Herren Placanica, Palazzese und Sorricchio sind alle drei Betreiber von DÜZ mit Vertrags­be­ziehung zu Stanley. Im Jahr 2004 erhob die Staats­an­walt­schaft gegen sie in Strafverfahren vor dem Tribunale di Larino und dem Tribunale di Teramo die Beschuldigung, sie sammelten und organisierten Wetten ohne die vorgeschriebene polizeiliche Genehmigung. Die genannten Gerichte haben dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften daraufhin die Frage vorgelegt, ob die italienischen Rechts­vor­schriften über Glücksspiele mit den gemein­schafts­recht­lichen Grundsätzen der Nieder­las­sungs­freiheit und des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs vereinbar sind.

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass eine Rechts­vor­schrift, die unter Strafandrohung Tätigkeiten im Glückss­piel­sektor ohne eine vom Staat erteilte Konzession oder polizeiliche Genehmigung verbietet, Beschränkungen der Nieder­las­sungs­freiheit und der Dienst­leis­tungs­freiheit enthält. Zwar können die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spielen und Wetten einhergehen, solche Beschränkungen rechtfertigen. Die Beschränkungen müssen aber den Anforderungen genügen, die sich aus dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit ergeben. Der Gerichtshof hat demgemäß die verschiedenen im italienischen Recht vorge­schriebenen Bedingungen für Tätigkeiten im Glückss­piel­sektor nacheinander geprüft.

Die Konzession

Italien verfolgt im Glückss­piel­sektor eine expansive Politik, um Spieler, die als solchen verbotenen Tätigkeiten geheimer Spiele und Wetten nachgehen, dazu zu veranlassen, zu genehmigten und reglementierten Tätigkeiten überzuwechseln. Der Gerichtshof erkennt an, dass für die Verwirklichung dieses Zieles die zugelassenen Betreiber eine verlässliche, aber gleichzeitig attraktive Alternative zu einer verbotenen Tätigkeit bereitstellen müssen, was das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertrie­bs­techniken erfordern kann.

Das Erfordernis einer Konzession wird seitens Italiens mit der Zielsetzung gerechtfertigt, eine Ausbeutung von Glückss­piel­tä­tig­keiten zu kriminellen Zwecken zu verhindern. Der Gerichtshof hat insoweit anerkannt, dass ein Konzes­si­ons­system einen wirksamen Mechanismus darstellen kann, um die in diesem Bereich tätigen Betreiber zu kontrollieren.

Hingegen verfügt der Gerichtshof nicht über hinreichende tatsächliche Angaben für eine Beurteilung der Frage, ob die Begrenzung der Gesamtzahl der Konzessionäre mit dem Gemein­schaftsrecht vereinbar ist. Dabei werden die sich aus dieser Begrenzung ergebenden Hemmnisse für die Dienst­leis­tungs­freiheit nicht bereits dadurch gerechtfertigt, dass die festgelegte Zahl der Konzessionen nach einer spezifischen Schätzung als für das Inland "ausreichend" erachtet worden war. Der Gerichtshof hat deshalb den vorlegenden Gerichten die Prüfung der Frage aufgegeben, ob die nationale Regelung mit der Begrenzung der im Glückss­piel­sektor tätigen Betreiber tatsächlich das geltend gemachte Ziel verfolgt, einer Ausbeutung der Tätigkeiten im Glückss­piel­sektor zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen.

Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass der vollständige Ausschluss von Kapital­ge­sell­schaften von den Ausschreibungen für die Konzes­si­ons­vergabe über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist, zu verhindern, dass Betreiber des Glückss­piel­sektors in kriminelle oder betrügerische Aktivitäten einbezogen werden. Denn für die Kontrolle der Konten und Tätigkeiten der Betreiber stehen auch andere Mittel zur Verfügung, die die Nieder­las­sungs­freiheit oder Dienst­leis­tungs­freiheit weniger beschränken (so etwa die Einholung von Informationen über ihre Vertreter oder Hauptaktionäre). Der Gerichtshof hat ferner darauf hingewiesen, dass die Rechts­wid­rigkeit des Ausschlusses bestimmter Betreiber von den Ausschreibungen den betreffenden Mitgliedstaat dazu verpflichtet, verfah­rens­rechtliche Modalitäten vorzusehen, die den sich für die Betreiber aus dem Gemein­schaftsrecht ergebenden Schutz sicherstellen (etwa die Rücknahme und Neuverteilung alter Konzessionen). Derweil darf das Fehlen einer Konzession nicht zum Anlass für Sanktionen gegen die betroffenen Betreiber genommen werden.

Die polizeiliche Genehmigung

Nach dem in Italien angewandten Verfahren setzte die Erteilung einer polizeilichen Genehmigung den Besitz einer Konzession voraus, womit dem polizeilichen Geneh­mi­gungs­ver­fahren die gleichen Mängel wie der Konzes­si­ons­vergabe anhaften. Das Fehlen einer polizeilichen Genehmigung kann daher nicht Personen zur Last gelegt werden, die sich eine solche Genehmigung deshalb nicht beschaffen konnten, weil ihnen unter Verstoß gegen das Gemein­schaftsrecht die Gewährung einer Konzession versagt worden war.

Die straf­recht­lichen Sanktionen

Grundsätzlich sind für das Strafrecht zwar die Mitgliedstaaten zuständig, jedoch setzt das Gemein­schaftsrecht dieser Zuständigkeit Grenzen. So darf das Strafrecht nicht die vom Gemein­schaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beeinträchtigen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bekräftigt, dass ein Mitgliedstaat keine straf­recht­lichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwal­tungs­for­malität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemein­schaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. Die Italienische Republik darf daher gegen Personen wie die in den Ausgangs­ver­fahren Beschuldigten keine Strafen wegen der Ausübung einer Tätigkeit des organisierten Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung verhängen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 20/07 des EuGH vom 06.03.2007

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