23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.
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Bundesgerichtshof Urteil14.02.1958

Herrenreiter-Fall: BGH billigt erstmals für Verletzung des Allgemeinen Persön­lich­keits­rechts Schmerzensgeld zuEin durch eine unbefugte Bildver­öf­fent­lichung Verletzter kann billige Entschädigung in Geld verlangen

Das Recht zur freien Selbst­be­stimmung der Persönlichkeit ist ein Grundrecht - Die Verletzung kann Schmer­zens­geldansprüche auslösen. Schmer­zens­geld­klagen wegen unbefugter Veröf­fent­lichung von Bildern beschäftigen regelmäßig die Gerichte. Wegbereiter ist das als "Herrenreiter-Fall" in die Rechts­ge­schichte eingegangene Urteil des Bundes­ge­richtshof (BGH) aus dem Jahr 1958. Die Entscheidung enthält grundlegende Ausführungen zum allgemeinen Persön­lich­keitsrecht und zum zivil­recht­lichen Ersatz immaterieller Schäden (BGHZ 26,349).

Der Kläger war ein bekannter Herrenreiter (Dressurreiter) auf Turnieren. Die Beklagte war Herstellerin eines pharma­zeu­tischen Präparats, das nach landläufiger Vorstellung auch der Hebung der sexuellen Potenz diente. Zu Werbezwecken verbreitete die Beklagte ein Plakat, auf dem ein Turnierreiter abgebildet war. Der Abbildung lag ein u.a. durch Retuschierung bearbeitetes Originalfoto des Klägers zugrunde. Dieser hatte keine Einwilligung zur Verwendung seines Bildes erteilt. Er verklagte die Beklagte daraufhin auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens, den er auf mindestens 15.000 DM bezifferte. Er hätte aufgrund seiner geschäftlichen und gesell­schaft­lichen Stellung, die ihm solcherlei nicht gestatteten, sowie aufgrund seiner guten Vermö­gens­ver­hältnisse sein Bild für die Werbezwecke der Beklagten nicht zur Verfügung gestellt, und wenn, dann würde er es nur für ein angemessenes Entgelt getan haben.

Verfahrensgang

Das Landgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 1.000 DM an den Kläger, das Oberlan­des­gericht (OLG) korrigierte den Betrag in der Berufung auf 10.000 DM. Der BGH bestätigte das Urteil des OLG. Allerdings schloss er sich nicht der Begründung der Vorinstanzen an, sondern ging einen neuen materi­ell­recht­lichen Weg. Die Vorinstanzen hatten noch einen Schaden­s­er­satz­an­spruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der entgangenen Lizenzgebühr zugesprochen. Das ist der Betrag, den der Kläger hätte verlangen können, wenn zwischen den Parteien ein Vertrag zu angemessenen Bedingungen zustande gekommen wäre. Dem schloss sich der BGH nicht an.

Kläger hätte das Bild nicht kommerziell verwertet

Denn es könne dann kein Anspruch auf angemessene Vergütung geltend gemacht werden, wenn feststehe, dass der Abgebildete die Verwendung seines Bildes zu Werbezwecken aus besonderen Gründen niemals gestattet hätte. Er habe keinen irgendwie fassbaren Vermö­gens­schaden erlitten. Er verlange in Wahrheit nicht Ersatz eines gar nicht vorhandenen Vermö­gens­schadens, sondern begehre eine fühlbare Genugtuung für einen wider­recht­lichen Eingriff in seine durch § 22 Kunst­ur­he­ber­rechts­gesetz und Art. 1 und 2 Grundgesetz geschützte Persön­lich­keitssphäre. Er begehre Genugtuung dafür, dass ihn das weitverbreitete Plakat, indem es ihn ohne sein Wissen in der Pose des Herrenreiters für das - auch sexuelle - Kräfti­gungs­mittel der Beklagten werben, man könnte fast sagen: reiten ließ, in eine weithin demütigende und lächerliche Lage gebracht habe.

Schadens­be­rechnung nach Lizenzanalogie nur bei materiellem Vermö­gens­schaden

In diesem Fall bestehe gerade kein Schaden­s­er­satz­an­spruch auf Grund der Fiktion eines abgeschlossenen Lizenzvertrags. Eine solche Art der Schadens­be­rechnung komme nur dann in Betracht, wenn davon ausgegangen werden könne, dass ein Vermö­gens­schaden irgendwelcher Art zugefügt worden sei und nur der oft schwierige Nachweis der Schadenshöhe erleichtert werden solle. Sie scheide aber in den Fällen aus, in denen vermö­gens­rechtliche Belange überhaupt nicht betroffen seien. Sie komme nicht in Betracht, wenn sie - wie vorliegend - dem Kläger ein Verhalten unterstellen müsste, dass er als kränkend und als erneute Persön­lich­keits­min­derung empfinden müsste. Denn sie müsste unterstellen, dass der Kläger sich für viel Geld doch freiwillig in die unwürdige Lage gebracht hätte, gegen die er sich nun wehre.

Auch immaterielle Schäden können Ersatzpflicht auslösen - dies folgt aus den Grundrechten

Der Kläger, der keinerlei vermö­gens­recht­lichen Schaden erlitten habe, könne jedoch Ersatz des immateriellen Schadens verlangen, der sich für ihn aus der mit der Abbildung seiner Person auf den Werbeplakaten verbundenen Beein­träch­tigung seiner Persönlichkeit ergeben habe. Dies folge daraus, dass die durch das Grundgesetz (GG) in Art. 1 und 2 geschützte Unantastbarkeit der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch als bürger­lichrecht­liches, von jedem im Privat­rechts­verkehr zu achtendes Recht anzuerkennen sei. Diesem sogenannten allgemeinen Persönlichkeitsrecht komme auch innerhalb der Zivil­rechts­ordnung Rechtsgeltung zu. Es genieße als "sonstiges Recht" den Schutz des § 823 Abs. 1 BGB.

Das allgemeine Persön­lich­keitsrecht

Art. 1 und 2 GG schützen das, was man die menschliche Person­haf­tigkeit nenne. Sie schützen damit unmittelbar jenen inneren Persön­lich­keits­bereich, der grundsätzlich nur der freien und eigen­ver­ant­wort­lichen Selbst­be­stimmung des Einzelnen unterstehe und dessen Verletzung rechtlich dadurch gekennzeichnet sei, dass sie in erster Linie sogenannte immaterielle Schäden, die sich in einer Persön­lich­keits­min­derung ausdrücken, erzeuge. Diesen Bereich zu achten und nicht unbefugt in ihn einzudringen, sei ein rechtliches Gebot, das sich aus dem Grundgesetz selbst ergebe. Ebenso folge aus dem Grundgesetz die Notwendigkeit, bei Verletzung dieses Bereiches Schutz gegen die der Verletzung wesens­ei­gen­tüm­lichen Schäden zu gewähren.

Grundgesetz garantiert umfassenden Schutz der Persönlichkeit

Die unbefugte Veröf­fent­lichung des Bildes eines Menschen stelle einen Eingriff in die Freiheit der Selbst­be­stimmung und der freien Betätigung der Persönlichkeit dar. Dem Abgebildeten werde mit der eigenmächtigen Bildnis­ver­öf­fent­lichung die Freiheit entzogen, auf Grund eigener Entschließung über dieses Gut seiner Indivi­du­al­sphäre zu verfügen. Das Grundgesetz garantiere einen umfassenden Schutz der Persönlichkeit und erkenne die Würde des Menschen sowie das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit als einen Grundwert der Rechtsordnung an. Daraus ergebe sich, dass derjenige, der in der Freiheit der Selbs­t­ent­schließung über seinen persönlichen Lebensbereich verletzt sei, einen Anspruch auf Ersatz des hierdurch hervorgerufenen immateriellen Schadens habe. § 847 BGB sei analog anzuwenden.

Höhe des Schmer­zens­geldes: Ausgleich für Persön­lich­keits­min­derung und Genug­tu­ungs­funktion

Der Schmer­zens­geldan­spruch erfülle maßgeblich die Funktion des angemessenen Ausgleichs für diejenigen Schäden, d.h. für die Lebens- oder Persön­lich­keits­min­derung, die nicht vermö­gens­recht­licher Art seien, sowie die Genug­tu­ungs­funktion, wonach der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung für das schulde, was er ihm angetan habe. In vorliegendem Fall wertete der BGH es in Übereinstimmung mit der Vorinstanz als besonders schwerwiegend, dass es sich um Werbung für ein als Sexua­l­kräf­ti­gungs­mittel geltendes Präparat gehandelt habe, bei dem ein Vergleich mit der Werbung für andere Erzeugnisse gar nicht möglich sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass der Kläger sich in einer Gesell­schafts­schicht bewege, deren Mitglieder überwiegend miteinander bekannt seien und daher die Gefahr, sich lächerlich zu machen, besonders groß sei.

Erläuterungen

Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1958 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechts­ge­schichte geschrieben haben".

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/we)

der Leitsatz

KunstUrhG 22; GG Art. 1, 2; BGB § 847

Nachdem durch GG Art. 1, GG Art. 2 das Recht zur freien Selbst­be­stimmung der Persönlichkeit als ein Grundwert der Rechtsordnung anerkannt ist, ist es gerechtfertigt, in analoger Anwendung des BGB § 847 auch dem durch die unbefugte Veröf­fent­lichung seines Bildes Verletzten wegen eines hierdurch hervorgerufenen, nicht vermö­gens­recht­lichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld zu gewähren.

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