Der Sachverhalt ist banal: Fünf Bekannte haben sich zu einer Lottospielgemeinschaft zusammengeschlossen. Sie "tippen" jede Woche mit einem Einsatz von insgesamt 50 DM mit einer bestimmten festliegenden Zahlenreihe. Sie zahlen ihren Beitrag von jeweils 10 DM jede Woche beim späteren Beklagten ein. Dieser hat die Aufgabe, die Lottozettel im eigenen Namen auszufüllen und sie bei der Annahmestelle abzugeben. Zu einer Ausspielung im Oktober 1971 versäumt er es jedoch, die Lottozettel mit den verabredeten Zahlenreihen auszufüllen. Just in diesem Spiel hätte die Gemeinschaft mit ihrer festen Zahlenreihe richtig gelegen und einen Gewinn von insgesamt 10.550 DM gemacht. Diesen Betrag machen daraufhin drei der Mitglieder gegen den Beklagten geltend.
Die Klage wurde in allen drei Instanzen abgewiesen. Für den BGH war - anders als in den Vorinstanzen - die Frage ausschlaggebend, ob die vom Beklagten übernommene Aufgabe, die Lottoscheine auszufüllen und einzureichen, als Verpflichtung rechtlich bindend vereinbart worden war oder nicht. Grundsätzlich gilt, dass zwischen den Mitgliedern einer mündlich verabredeten Lotto- oder Totospielgemeinschaft rechtliche Beziehungen bestehen. So besteht u.a. bei einem Spielgewinn die Rechtspflicht, den Gewinn wie verabredet zu verteilen. Die Mitglieder können je nach Absprache auch zur Leistung der vereinbarten Spieleinsätze verpflichtet sein.
Jedoch befanden die Richter des BGH, dass sich aus diesen Rechtsbeziehungen nicht ohne weiteres ergebe, dass auch eine rechtliche Bindung insoweit bestehe, als einer der Mitspieler es übernommen habe, die Spielscheine in der verabredeten Weise auszufüllen und bei der Lotto-Annahmestelle einzureichen. Soweit ein ausdrücklich oder stillschweigend erklärter Wille der Beteiligten nicht feststellbar sei, könne dies nur unter Berücksichtigung der Interessenlage beider Parteien nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte geprüft werden. Dabei komme es zum einen auf die wesentlichen (insbesondere wirtschaftlichen) Interessen der Mitglieder an, die auf dem Spiel stehen.
Zum anderen komme es darauf an, ob die Annahme einer entsprechenden Rechtspflicht und das sich daraus ergebende Schadensersatzrisiko auch für den "Beauftragten" unter Berücksichtigung der Unentgeltlichkeit der übernommenen Geschäftsbesorgung zumutbar sei. In Fällen der vorliegenden Art ergebe diese Interessenabwägung, dass eine solche rechtsgeschäftliche Verpflichtung, die Spielscheine wie verabredet auszufüllen und einzureichen, im allgemeinen zu verneinen sei. Eine andere Wertung würde ein außerordentliches Schadensersatzrisiko bedeuten. Die Gefahr, dass der beauftragte Spieler gegen die von den Mitspielern getroffene Abrede verstoße, sei verhältnismäßig groß. Es könne leicht vorkommen, dass er das Ausfüllen einmal vergesse, wegen anderer Verpflichtungen daran gehindert werde oder versehentlich andere als die verabredeten Zahlen ankreuze. Zugleich sei die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem solchen Fehler ein erheblicher Schaden erwachse - so wie die Chance eines hohen Gewinns - sehr klein. Die statistische Wahrscheinlichkeit eines Lottospielgewinns spricht für sich.
Wenn sich aber die geringe Gewinnchance verwirkliche, könnte der Gewinn eine außergewöhnliche Höhe erreichen und die wirtschaftliche Existenz des beauftragten Spielers vernichten. Sie würde ihn jedenfalls ungleich härter treffen, als wenn den Mitspielern ein Ersatzanspruch wegen des entgangenen Spielgewinns, mit dem sie nicht ernsthaft hätten rechnen können, versagt werde. Zwar sei allgemein ein entgangener Gewinn nicht weniger schadensersatzwürdig als der Verlust bereits vorhandener Vermögenswerte. Jedoch handele es sich in vorliegendem Fall nicht um einen normalen Gewinn, der durch einen etwa gleichwertigen Einsatz "verdient" worden sei und mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte erwartet werden können. Zu ersetzen wäre vielmehr ein Spielgewinn, der nur einen unverhältnismäßig geringen Einsatz gekostet hätte und für den Gewinner einen ganz außerordentlichen und gar nicht zu erwartenden Glücksfall bedeutet hätte.
Eine Spielgemeinschaft werde schließlich meist mit dem Ziel verabredet, durch den erhöhten Einsatz die geringe Gewinnschance etwas zu erweitern. Es liege aber völlig außerhalb der Vorstellung der Beteiligten, dass sich aus ihrem Zusammenschluss für einen von ihnen eine - unter Umständen existenzvernichtende - Schadensersatzpflicht ergeben könnte. Keiner der Spieler würde ein solches Risiko wissentlich übernehmen oder es den Mitspielern zumuten. Das Glücksspiel bleibe ein Spiel und damit ein freies, außerhalb wirtschaftlicher Zwecke und Notwendigkeiten stehendes Handeln. Rechtlicher Zwang und Schadenseratz, wie er sonst zum Schutz wesentlicher Interessen und Güter notwendig sei, sei damit nicht vereinbar.
Erläuterungen
Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1974 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechtsgeschichte geschrieben haben".
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.02.2011
Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/we)