21.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil05.07.1983

Sirius-Fall: BGH zur Abgrenzung zwischen Tötung in mittelbarer Täterschaft und strafloser Teilnahme an SelbsttötungDem Opfer war aufgrund Täuschung die Tragweite des eigenen Tuns nicht bewusst

Täter eines Totschlags­delikts kann auch derjenige sein, der einen anderen Menschen durch Täuschung lenkt und dazu verleitet, eine Ursache für den eigenen Tod zu setzen, ohne dass dieser sich töten will. Dies entschied 1983 der Bundes­ge­richtshof in einem aufsehen erregenden Mordprozess. Der Fall ist aufgrund des bemerkenswerten Sachverhalts sowie der dogmatischen Ausführungen zur Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Teilnahme in die Rechts­ge­schichte eingegangen.

Durch Zufall kreuzen sich zwei Lebenswege: Das spätere Opfer - eine 1951 geborene junge Frau - und der vier Jahre ältere Angeklagte lernten sich 1973/1974 in einer Disko kennen. Zwischen dem Opfer, das nach den Feststellungen des Gerichts "damals noch eine unselbständige und komplexbeladene junge Frau" war, und dem Angeklagten entwickelte sich in der Folge eine intensive Freundschaft, die weniger von sexuellen Kontakten als von Diskussionen über Psychologie und Philosophie geprägt war. Es gab häufigere, teils mehrere Stunden dauernde Telefon­ge­spräche sowie alle paar Monate ein Treffen. Der Angeklagte wurde für die junge Frau zum Mentor in allen Lebensfragen, der immer für sie da war. Laut Einschätzung der Richter "vertraute und glaubte sie ihm blindlings."

Der Retter vom anderen Stern

Nach Festigung der Vertrauensbasis setzte der Angeklagte sein Opfer davon in Kenntnis, dass er nicht von der Erde stamme, sondern ein Bewohner des Sterns Sirius sei. Die Sirianer seien eine Rasse, die philosophisch auf einer weit höheren Stufe stehen als die Menschen. Sie hätten ihn mit dem Auftrag zur Erde entsandt, dafür zu sorgen, dass einige wertvolle Menschen nach dem völligen Zerfall ihrer Körper mit ihrer Seele auf einem anderen Planeten oder dem Sirius weiterleben könnten.

Geistige Weiter­ent­wicklung ist nicht umsonst

Natürlich war seine junge Freundin eine der auserwählten Frauen. Damit sie das Ziel erreiche, müsse sie sich jedoch geistig und philosophisch noch weiter­ent­wickeln. Sie glaubte dem Angeklagten. Dieser ging einen Schritt weiter: Er erläuterte ihr, dass sie die Fähigkeit zum Weiterleben nach dem Tod auf Sirius dadurch erlangen könne, dass sich der ihm bekannte Mönch Uliko für sie in "totale Meditation" versetze. Dadurch werde es ihrem Körper möglich, während des Schlafes mehrere Ebenen zu durchlaufen und dabei eine geistige Entwicklung durchzumachen. Dafür müsse sie aber an das Kloster, in dem der Mönch lebe, 30.000 DM bezahlen. Im Vertrauen auf den Angeklagte beschaffte die Frau daraufhin das Geld durch einen Bankkredit und übergab es ihm. Dieser verbrauchte es für sich.

Wenn der Körper die geistige Weiter­ent­wicklung behindert, muss er vernichtet werden

In den folgenden Monaten erklärte der Angeklagte, der Mönch Uliko habe sich mit seinen Meditationen für die Frau in große Gefahr begeben. Er habe aber keinen Erfolg erzielt, weil sich ihr Bewusstsein gegen die geistige Weiter­ent­wicklung versperre. Ursache sei ihr Körper. Die Blockade könne nur durch Vernichtung des alten und Beschaffung eines neuen Körpers beseitigt werden. Auch hierfür hatte der Angeklagte eine Lösung parat: In einem roten Raum am Genfer See stehe für sie ein neuer Körper bereit, in dem sie sich als Künstlerin wieder finden werde, wenn sie sich von ihrem alten Körper trenne.

Auch auf Sirius lebt es sich nicht kostenlos

Natürlich benötige sie in ihrem neuen Leben Geld. Dies lasse sich beschaffen, indem sie eine Lebens­ver­si­cherung über 250.000 DM (bei Unfalltod 500.000 DM) abschließe, den Angeklagten als Bezugs­be­rech­tigten bestimme und durch einen vorgetäuschten Unfall aus ihrem jetzigen Leben scheide. Nach der Auszahlung werde er ihr die Versi­che­rungssumme überbringen. Die junge Frau schloss einen entsprechenden Versi­che­rungs­vertrag ab.

Der Tötungsversuch nach Anweisung des Angeklagten

Nach Einsetzen des Versi­che­rungs­schutzes Ende 1979 sollte die junge Frau auf Verlangen und nach den Anweisungen des Angeklagten in ihrer Wohnung ein Wannenbad nehmen und einen eingeschalteten Fön in das Wasser fallen lassen. Diesen Plan setzte sie am 01. Januar 1980 in die Tat um. Jedoch erlitt sie keinen tödlichen Stromstoß. Aus "technischen Gründen" verspürte sie lediglich ein Kribbeln am Körper, als sie den Fön eintauchte. Der Angeklagte gab ihr daraufhin 3 Stunden lang telefonisch Anweisungen zur Fortführung des Tötungsversuchs. Schließlich nahm er von weiteren Bemühungen Abstand, weil er sie für aussichtslos hielt.

Verurteilung wegen versuchten Mordes

Der Angeklagte wurde in dem folgenden Strafprozess vor dem Landgericht Baden-Baden wegen versuchten Mordes aus Habgier, Betrugs, Körperverletzung in Tateinheit mit unbefugter Führung akademischer Grade und einem Vergehen gegen das Heilprak­ti­ker­gesetz verurteilt. Die Richter führten aus, dass die junge Frau bei dem Tötungsversuch in völligem Vertrauen auf die Erklärungen des Angeklagten gehandelt habe. Sie habe den Fön in der Hoffnung ins Wasser fallen lassen, sofort in einem neuen Körper zu erwachen. Der Gedanke an einen "Selbstmord im eigentlichen Sinn", durch den "ihr Leben für immer beendet würde", sei ihr dabei nicht gekommen. Sie habe eine Selbsttötung abgelehnt, da der Mensch dazu kein Recht habe. Dem Angeklagten hingegen sei bewusst gewesen, dass das Verhalten der ihm hörigen Zeugin ganz von seinen Vorspiegelungen und Anweisungen bestimmt worden sei.

Lenkung durch überlegenes Wissen - Opfer als Werkzeug gegen sich selbst

Der Angeklagte legte erfolglos Revision vor dem Bundes­ge­richtshof ein, da versuchter Mord in mittelbarer Täterschaft ausscheide. In Betracht käme allenfalls die straflose Beteiligung an einem Selbst­mord­versuch. Die Richter des Bundes­ge­richtshofs bestätigten jedoch das Urteil des Landgerichts. Sie führten aus, dass die Abgrenzung "strafbarer Tötung­s­tä­ter­schaft von strafloser Selbst­tö­tungs­teilnahme" in Fällen, in denen jemand unter Einfluss oder unter Mitwirkung eines anderen Hand an sich lege und dabei weder einen der von § 20 Strafgesetzbuch genannten psychischen Zustände aufweise noch sich in einer Notstandslage gemäß § 35 Strafgesetzbuch befinde, sondern durch Täuschung zur Vornahme der Tötungshandlung bewogen werde, nicht abstrakt beantwortet werden könne. Die Abgrenzung hänge im Einzelfall von Art und Tragweite des Irrtums ab. Verschleiere er dem sich selbst ans Leben Gehenden die Tatsache, dass er eine Ursache für den eigenen Tod setze, so sei derjenige, der den Irrtum hervorgerufen und mit Hilfe des Irrtums das Geschehen, das zum Tod des Getäuschten führe oder führen solle, bewusst und gewollt ausgelöst habe, Täter eines Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, durch das er den Irrenden lenke, zum Werkzeug gegen sich selbst mache.

Opfer war der Auffassung, nicht zu sterben

Der Angeklagte habe der Frau gerade nicht lediglich vorgespiegelt, es werde durch den Tod in eine transzendente Existenz eingehen. Vielmehr versetzte er sie in den Irrtum, sie werde - obwohl sie scheinbar als Leichnam in der Wanne liege - zunächst als Mensch ihren irdischen Lebensweg fortsetzen. Dabei sei sie körperlich und geistig so gewandelt, dass die Höher­ent­wicklung zum astralen Wesen gewährleistet sei. Dass ihre körperlich-geistige Identität nicht beendet, sondern lediglich modifiziert werde, spiegelte der Angeklagte dadurch vor, dass die Frau zunächst auf der Erde bleibe und Geld zur Deckung ihres Lebensbedarfs brauche. Er habe ihr zudem vorgemacht, dass sie im roten Raum am Genfer See Beruhi­gung­s­pillen und im Nebenzimmer die erforderlichen Papiere vorfinden werde. Der Angeklagte hingegen habe etwas anderes erstrebt: Der sicher erwartete Stromstoß sollte die Frau töten und ihm die Versi­che­rungssumme verschaffen. Er habe das eigentliche Tatgeschehen auch durch stundenlang erteilte Anweisungen maßgeblich gesteuert. Er habe folglich eine versuchte mittelbare Fremdtötung begangen. An dieser rechtlichen Einordnung ändere auch nichts, dass die Frau völlig unglaubhaften Suggestionen erlegen sei.

Erläuterungen

Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1983 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechts­ge­schichte geschrieben haben".

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/we)

der Leitsatz

StGB 1975 § 25 Abs. 1, §§ 211, 212

Zur Abgrenzung von strafbarer Tötung­s­tä­ter­schaft und strafloser Selbst­tö­tungs­teilnahme in Fällen, in denen der Suizident durch Täuschung zur Vornahme der Tötungshandlung bewogen wird.

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