21.11.2024
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Preußisches Obertribunal Urteil05.05.1859

Rose-Rosahl-Fall: Zur Auswirkung des Personenirrtums (error in persona) auf die Strafbarkeit von Täter und AnstifterEntlastet die Verwechslung des Mordopfers den Täter und seinen Anstifter?

Wie wirkt es sich aus, wenn jemand einen bestimmten Menschen töten will, aber bei der Tatausführung einen anderen Menschen trifft. Handelt es sich um einen unbeachtlichen error in persona, oder um ein beachtliches Fehlgehen der Tat (aberratio ictus)? Werden Täter und Anstifter wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts bestraft, oder nur wegen des Versuchs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung? Ein vor dem Preußischen Obertribunal im Jahr 1859 verhandelter Mordfall führt in eine der klassischen Streitfragen des Strafrechts ein, die bis heute diskutiert wird.

Am 11.09.1858 findet der Zimmermann Schliebe auf dem Weg von Schliepzig nach Lieskau bei Halle den 17-jährige Gymnasiasten Ernst Harnisch tot an der Straße. Die Täter sind schnell ausgemacht: Es sind der Holzhändler Rosahl und einer seiner Arbeiter Namens Rose. Rosahl, der sich aus Holzgeschäften mit Schliebe von diesem übervorteilt glaubte, hatte Rose beauftragt, Schliebe zu töten. Er gab ihm Geld für eine Schusswaffe und erläuterte ihm den Tatplan. Für die Tötung versprach er ihm: "Ich gebe dir 300 Reichsthaler und 1 Thaler die Woche, wenn du ihn wegbringst." Am Tatabend wusste Rosahl, dass Schliebe den Weg von Schliepzig nach Lieskau entlanggehen würde und beauftragte Rose mit der Tatausführung. Dieser lauerte daraufhin dem Schliebe am Straßenrand auf. Als er Schritte kommen hörte, schoss er, ohne sich zuvor der Person zu vergewissern, auf die herankommende Person. Er schoss ein zweites mal auf ihn und zertrümmerte ihm mit dem Gewehrkolben den Schädel. Dass es nicht der Schliebe, sondern der Schüler Harnisch war, erfuhr er erst am nächsten Tag.

Unbeacht­lichkeit des error in persona

Der Schwur­ge­richtshof zu Halle verurteilte Rose wegen Mordes und Rosahl wegen Teilnahme am Mord zur Todesstrafe. Das Preußische Obertribunal bestätigte das Urteil. Rose hatte sich mit dem Argument verteidigt, er habe keinen Vorsatz in Bezug auf die Person des tatsächlich Getöteten gehabt, da er diesen nur irrtümlich getötet habe. Dieser Ansicht schlossen sich die Richter nicht an. Der Rose habe vorsätzlich einen Menschen getötet und sich lediglich über die Person geirrt: "Rose sah, als er dem Schliebe auflauerte, keineswegs den Harnisch, [...] sondern einen Menschen kommen, den er für den Schliebe hielt und den er in dieser Meinung mit Vorsatz und Überlegung, diesen zu töten, tötete, um dadurch sich den für die Tötung des Schliebe ihm versprochenen Lohn zu verdienen."

Vorsätzliche Tötung eines Menschen ist strafbar

Rose habe "vorsätzlich und mit Überlegung" einen Menschen getötet. Der Irrtum, in welchem er sich hierbei über die Person des Getöteten befunden habe, könne ihm "weder zur Entschuldigung, noch zur Strafmilderung dienen, weil das Gesetz die Tötung jeder Person, jedes Menschen mit der Strafe" bedrohe. Die Nichtidentität des Objektes könne daran nichts ändern, weil die Handlungen "ja von der Absicht, zu töten, auch dem wirklich Getöteten gegenüber begleitet gewesen" seien.

Lediglich Fehlgehen des Tatmittels (aberratio ictus) aus Sicht des Anstifters Rosahl?

Rosahl vertrat in dem Prozess die Auffassung, er habe keinen Anstif­ter­vorsatz zur Tötung des Harnisch gehabt. Es liege ein von seiner Vorstellung abweichender Kausalverlauf vor, indem das Tatmittel - der ausführende Täter Rose - bei der Tat fehlgegangen sei (aberratio ictus). Es stelle sich die Frage, inwieweit der intellektuelle Urheber auch für alle Überschrei­tungen und Abweichungen des Täters verantwortlich werde. Der verwirklichte Erfolg - die Tötung Harnischs - sei zufällig und gegen seinen Willen eingetreten. Ihm könne kein verbre­che­rischer Vorsatz angerechnet werden. Die Auffassung der Anklage, dass ohne seine Anstiftung die ausgeführte Tat - wenn auch durch Verwechslung der zu tötenden Person - gar nicht stattgefunden hätte, sei verfehlt. Denn damit würde "die Haftung für alle auch nur zufälligen Folgen des Auftrags, also für alle ohne oder gar wider den Willen" des Anstifters verübten strafbaren Handlungen des beauftragten Täters ausgesprochen sein. Deshalb habe er sich lediglich wegen versuchter Anstiftung zum Mord strafbar gemacht.

Unbeacht­lichkeit des Irrtums für den Anstifter

Das Gericht folgte der Auffassung der Verteidigung nicht: "Der Anstifter soll dem Strafgesetz verfallen, welches die auszuführende Tat bedroht. [...] Seine Strafbarkeit ist von der Tätigkeit des Angestifteten, in dessen Hand er die Ausführung gelegt und dessen Geschicktheit oder Ungeschicktheit er diese anvertraut hat, dergestalt abgängig, dass nur ein wirklicher Exzess ihm nicht zuzurechnen ist. Ein solcher wirklicher Exzess liegt aber da nicht vor, wo, wie hier, der gedungene Angestiftete, der Lohnmörder, nur durch Irrtum in der Person desjenigen, [...] gegen den sich seine Tätigkeit richtet, sich in dem Schlachtopfer vergreift." Rose habe jedoch nicht bloß bei Gelegenheit der Ausführung des Auftrags gehandelt, so dass die Einwirkung des Anstifters auf ihn nur das Motiv zu einem eigenen selbständigen Entschlusse gewesen sei. Vielmehr sei für ihn die Anstiftung "dergestalt fortdauernd bestimmend gewesen, dass seine Tat als Produkt der Anstiftung erscheine. Lediglich der Zweck des Anstifters sei durch den Irrtum des Täters nicht erreicht worden. Dies sei aber für den Tatbestand des angestifteten Verbrechens und für die Strafbarkeit ohne rechtliche Bedeutung.

Rose glaubte, Schliebe zu töten -Qualitative Gleich­wer­tigkeit von ausgeführter Tat und derjenigen, zu der angestiftet wurde

Rosahl habe den Rose angestiftet, den Schliebe zu töten - also denjenigen, den er als Schliebe erkennen würde. Dies habe Rose getan: "Er hat den Schliebe, dem er auflauerte, in der ihm entge­gen­kom­menden Person erkannt und diese Person getötet." Die Perso­nen­ver­wechslung sei "Ungeschick­lichkeit des Angestifteten in der Ausführung" gewesen, welche den Anstifter von der vollen Verant­wort­lichkeit für den eingetretenen Erfolg nicht befreie, weil darin seine eigene Entschließung liege, also ein wahrer Exzess nicht vorhanden sei. "Vielmehr ist eine mit der aufgetragenen Handlung - einem Mord - qualitativ gleiche Handlung - ein Mord, dessen Tatbestand vorhanden ist, wenn jemand mit überlegtem Vorsatz einen Menschen töten wollte und in seiner durch solchen Vorsatz bestimmten Tätigkeit einen Menschen, gegen den diese Tätigkeit gerichtet ist, wirklich tötet - ausgeführt."

Rechtlicher Meinungsstreit bis heute

Bis heute werden die im Rose-Rosahl-Fall abgehandelten Fragen zur Irrtums­pro­blematik in Wissenschaft und Rechtsprechung kontrovers diskutiert. Der Bundes­ge­richtshof hält an der Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals im Wesentlichen fest. Richtungs­weisend ist der sogenannte "Hoferbenfall", der eine dem Rose-Rosahl-Fall erstaunlich ähnliche Sachver­halts­kon­stel­lation aufweist und im Oktober 1990 entschieden wurde.

Grabdenkmal und Blutstein: Persönliches Schicksal in historischem Ereignis

Von dem historischen Verbrechen kündet bis heute der als "Blutstein" oder "Mörderstein" bekannte Gedenkstein an der Stelle, an der Ernst Harnisch - das irrtümliche Mordopfer - tot aufgefunden wurde: "Hier fiel durch Mörderhand am 11. September 1858 Ernst Heinrich Harnisch". Vom persönlichen Unglück Harnischs kündet sein Grabdenkmal an der Lieskauer Kirche: "Statt des Nächsten traf mich Armen, in der Nacht des Mörders Hand. Schaut das göttliche Erbarmen, welchen Wunderweg es fand: Mein Tod war für ihn das Leben, mir fiel zu das ew'ge Gut, das der Sünder hat gegeben, Jesus Christus durch sein Blut."

Erläuterungen

Die Entscheidung ist aus dem Jahr 1859 und erscheint im Rahmen der Reihe "Urteile, die Rechts­ge­schichte geschrieben haben".

Quelle: ra-online (vt/we), GA 7, 322

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