14.11.2024
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Bundesgerichtshof Urteil09.07.2015

Pauschales Kutten-Verbot für Rocker unzulässigTragen einer Kutte mit Kennzeichen des Motorrad-Clubs und Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen "Chapters" nicht grundsätzlich strafbar

Der Bundes­ge­richtshof hat entschieden, dass das Tragen von "Rocker-Kutten", auf denen gleichzeitig Kennzeichen des Motorrad-Clubs und die Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen "Chapters" angebracht sind, nicht strafbar ist.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das Landgericht Bochum hatte die Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, durch das Tragen von Lederwesten mit den Abzeichen der weltweit agierenden Rocke­r­grup­pierung "Bandidos" Kennzeichen eines verbotenen Vereins öffentlich verwendet zu haben.

"Chapter" Aachen und Neumünster der Bandidos verboten

Die dagegen von der Staats­an­walt­schaft eingelegte Revision hat der 3. Strafsenat des Bundes­ge­richtshofs verworfen. Nach den Feststellungen des Landgerichts sind die Angeklagten Mitglieder örtlicher "Chapter" in Unna und Bochum des weltweit auftretenden Motorrad-Clubs "Bandidos". Zwei andere Ortsgruppen in Deutschland, die "Chapter" Aachen und Neumünster, sind durch Verfügungen der zuständigen Innen­mi­nis­terien verboten, wobei das Verbot des "Chapters" Aachen noch nicht rechtskräftig ist. Das Auftreten der "Bandidos" wird wesentlich auch durch das gemeinsame Tragen von Lederwesten, sogenannte Kutten, bestimmt, deren Gestaltung sich weltweit im Wesentlichen einheitlich darstellt: Unterhalb des Schriftzugs "Bandidos" (sogenannte Top-Rocker) befindet sich als Mittelemblem die Figur eines mit einem Sombrero und einem Poncho bekleideten, mit einer Machete und einem Revolver bewaffneten Mexikaners (sogenannter Fat Mexican). Darunter steht ein weiterer Schriftzug (sogenannter Bottom-Rocker), der in Deutschland entweder auf die nationale Hauptgruppe "Germany" verweist, oder die Bezeichnung der jeweiligen Ortsgruppe enthält.

LG verneint strafbares Handeln durch Tragen einer Kutte mit Ortsbezeichnung eines nicht verbotenen "Chapters"

Die Angeklagten begaben sich am 1. August 2014 in Begleitung ihrer Verteidiger zum Polizei­prä­sidium Bochum. Sie trugen jeder eine Weste, auf der sich als Mittelabzeichen der "Fat Mexican" und darüber der beschriebene Aufnäher mit dem Schriftzug "Bandidos" befanden. Jeweils als untere Abgrenzung waren Aufnäher mit den Ortsbe­zeich­nungen ihrer "Chapter" Unna und Bochum angebracht. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, dass sich die Angeklagten hierdurch nicht gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5; § 9 Abs. 1 VereinsG strafbar gemacht hätten. Es sei nicht auf eine verbotene Ortsgruppe hingewiesen worden. Das mit den unter­schied­lichen "Bottom-Rockern" zusam­men­ge­setzte Kennzeichen sei mit dem der verbotenen Vereine in Aachen und Neumünster auch nicht zum Verwechseln ähnlich. Schließlich könne auch nicht festgestellt werden, dass die Ortsgruppen der Angeklagten die Ziele der beiden verbotenen "Chapter" geteilt hätten.

BGH verneint Verstoß gegen Schutzzweck des Vereinsverbots

Der Bundes­ge­richtshof hat den Freispruch im Ergebnis bestätigt. Die Angeklagten hatten auf ihren Kutten mit dem stilistisch einheitlich gestalteten "Bandidos"-Schriftzug und dem "Fat Mexican" zwar Kennzeichen auch des verbotenen "Chapters" Neumünster angebracht. Darin allein liegt indes, wie der Bundes­ge­richtshof bereits in ähnlicher Konstellation zu § 86 a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfas­sungs­widriger Organisationen) entschieden hat, dann kein tatbe­stands­mäßiges Verwenden der Kennzeichen, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Schutzzweck der Norm im konkreten Fall nicht berührt wird. So verhält es sich hier: Aus dem jeweiligen Ortszusatz ergibt sich eindeutig, dass die Angeklagten den "Bandidos"-Schriftzug und den "Fat Mexican" nicht als Kennzeichen des verbotenen "Chapters", sondern als solche ihrer jeweiligen, nicht mit einer Verbots­ver­fügung belegten Ortsgruppen trugen und damit gerade nicht gegen den Schutzzweck des - auf die jeweiligen Ortsgruppen beschränkten - Vereinsverbots verstießen.

Tragen einer Kutte mit Kennzeichen des Clubs zusammen mit nicht verbotenem "Chapter" zwar polizei­rechtlich verboten aber nicht strafbar

Eine Strafbarkeit wegen Tragens von Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von einem - nicht verbotenen - Schwesterverein verwendet wird (§ 9 Abs. 3 VereinsG), hat der Bundes­ge­richtshof aus Rechtsgründen ausgeschlossen, weil der Gesetzgeber diese Regelung nicht in die Strafvorschrift des Vereinsgesetzes einbezogen hat. Im Jahr 2003 hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 9 Abs. 3 in das Vereinsgesetz eingeführt, um "klarzustellen", dass die Hinzufügung eines Ortszusatzes zur Abgrenzung von dem verbotenen Verein nicht ausreichen solle, wenn der Schwesterverein dessen Zielrichtung teile. Diese Regelung betrifft jedoch unmittelbar nur das polizei­rechtliche Kennzei­chen­verbot des § 9 VereinsG. Die hier anzuwendende Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG enthält jedoch keinen ausdrücklichen Bezug auf § 9 Abs. 3 VereinsG, sondern (in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG) lediglich auf dessen Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2. Eine Verurteilung der Angeklagten ohne eine ausdrückliche Einbeziehung von § 9 Abs. 3 VereinsG in die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 VereinsG durch den Gesetzgeber verstieße aber gegen den verfas­sungs­rechtlich abgesicherten Grundsatz "Keine Strafe ohne Gesetz" (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB). Dies bedeutet, dass das Tragen einer Kutte mit den von allen "Chaptern" der "Bandidos" benutzten Kennzeichen ("Bandidos"-Schriftzug und "Fat Mexican") zusammen mit dem Ortszusatz eines nicht verbotenen "Chapters" unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 VereinsG nach derzeitiger Rechtslage zwar polizei­rechtlich verboten sein kann, nicht aber strafbar ist.

§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2 VereinsG:

Erläuterungen
Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

[...]

5. Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betäti­gungs­verbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Straf­ge­setz­buches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 entsprechend.

§ 9 VereinsG:

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1. öffentlich, in einer Versammlung oder

2. in Schriften, Ton- oder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind, verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staats­bür­ger­lichen Aufklärung, der Abwehr verfas­sungs­widriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sehen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilor­ga­ni­sa­tionen oder von selbständigen, die Zielrichtung des verbotenen Vereins teilenden Vereinen verwendet werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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