18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss14.03.2012

"Hells Angels": Verbot zum Tragen von Motorradwesten in Gerichts­ge­bäuden nicht zu beanstandenBundes­ver­fassungs­gericht zum Grundsatz der Verfahrens­öffentlichkeit

Das Verbot, während einer Gerichts­ver­handlung Motorradwesten zu tragen, die die Zugehörigkeit als Mitglieder des Hells Angels Motorcycle Club demonstrieren, stellt weder einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs.1 GG) dar, noch werden die Betroffenen hierdurch in ihrem Recht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt. Dies entschied das Bundes­ver­fassungs­gericht.

Im zugrunde liegenden Streitfall wurde dem Beschwer­de­führer und zwei Mitangeklagten in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Potsdam vorgeworfen, als Mitglieder des Hells Angels Motorcycle Club diverse Straftaten, unter anderem räuberische Erpressung, begangen zu haben, wobei sie die Geschädigten massiv bedroht und später derart unter Druck gesetzt haben sollen, dass diese ihre Aussage zeitweilig zurückgenommen hätten. Nach Durchführung einer Sicher­heits­kon­ferenz unter Beteiligung von Mitarbeitern des Gerichts, der Staats­an­walt­schaft, der Polizei und des Justizvollzugs erließ der Landge­richts­prä­sident mehrere Sicher­heits­ver­fü­gungen, wonach an allen Haupt­ver­hand­lungstagen im Justizzentrum unter anderem das Tragen von Motorradwesten, so genannte Kutten, und sonstigen Beklei­dungs­ge­gen­ständen, die die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub demonstrieren, untersagt wurde; die Kutten seien in eigener Verantwortung außerhalb des Gebäudes zu deponieren.

Massenhaftes Tragen szenetypischer Kleidung stellt nicht hinnehmbare Macht­de­mon­s­tration dar

Die vom Verteidiger des Beschwer­de­führers beantragte Aufhebung des Verbots lehnte der Gerichts­prä­sident mit der Begründung ab, dass ein massenhaftes Tragen szenetypischer Kleidung eine nicht hinnehmbare Macht­de­mon­s­tration darstelle, die bei der Öffentlichkeit ein Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung hervorrufen sowie Verfah­rens­be­teiligte einschüchtern und beeinflussen könne. Das Landgericht verurteilte den Beschwer­de­führer wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und seine Mitangeklagten wegen weiterer gleich­ge­la­gerter Straftaten jeweils zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe. Seine Revision gegen das landge­richtliche Urteil, mit der der Beschwer­de­führer auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen rügte, blieb vor dem Bundes­ge­richtshof ohne Erfolg.

Beschwer­de­führer rügt Verletzung des Rechts auf faires Verfahren

Der Beschwer­de­führer sieht sich durch die mit der Verfas­sungs­be­schwerde angegriffenen straf­ge­richt­lichen Entscheidungen in seinem Recht auf ein faires Verfahren sowie auf eine willkürfreie Rechtsanwendung verletzt.

BverfG verneint Verstoß gegen Willkürverbot oder Verletzung des Rechts auf faires Strafverfahren

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es liegt weder ein Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs.1 GG) vor noch ist der Beschwer­de­führer in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.

Festlegen geeigneter vorbeugender Maßnahmen für sichere und ungestörte Durchführung einer Verhandlung zulässig

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Danach ist die Auslegung und Anwendung des in § 169 Satz 1 GVG normierten Öffent­lich­keits­grund­satzes durch die Fachgerichte nicht willkürlich. Nach der oberge­richt­lichen Rechtsprechung kann der Grundsatz der Öffentlichkeit auch durch gesetzlich nicht erfasste unabweisbare Bedürfnisse der Rechtspflege modifiziert werden. Dazu gehört die Notwendigkeit, durch geeignete vorbeugende Maßnahmen für eine sichere und ungestörte Durchführung der Verhandlung zu sorgen. Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichts­ver­handlung nur unwesentlich erschweren und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach bestimmten persönlichen Merkmalen vermeiden, sind zulässig, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht. Diese Erwägungen sind verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Des Weiteren ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Einschätzung und Bewertung sowohl einer möglichen Beein­träch­tigung der Hauptverhandlung durch das Tragen bestimmter Kleidung oder Abzeichen als auch der zur Abwehr dieser Gefahr geeigneten und erforderlichen Maßnahmen verfas­sungs­rechtlich bedenklich wären.

Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen bleibt auch durch festgelegt Zugangs­mo­da­litäten gewahrt

Der Beschwer­de­führer ist auch nicht in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren verletzt. Es kann dahin stehen, ob ein Verstoß gegen den Öffent­lich­keits­grundsatz einen Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzen kann. Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen wurde hier gewahrt. Die Sicher­heits­ver­fü­gungen des Gerichts­prä­si­denten führten weder ausdrücklich noch faktisch zum Ausschluss der Öffentlichkeit insgesamt oder auch nur einzelner Personengruppen oder Personen. Sie legten ausschließlich Zugangs­mo­da­litäten fest, deren Befolgung ohne weiteres möglich und zumutbar war.

"Kleiderordnung" stellt nur geringfügige Beschränkung dar

Die Sicher­heits­ver­fü­gungen widersprechen schließlich nicht den Anforderungen an eine öffentliche Verhandlung nach der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK), die bei der Auslegung des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind. Die Sicher­heits­ver­fü­gungen führten nicht zu einem tatsächlichen Hindernis, als Zuschauer an der Haupt­ver­handlung teilnehmen zu können. Das Gerichtsgebäude war auch für Träger der betreffenden Oberbekleidung nach wie vor einfach zugänglich, da diese nur ausgezogen und außerhalb des Gerichts­ge­bäudes hätte deponiert werden müssen. Es handelte sich ersichtlich um eine ganz geringfügige Beschränkung.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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