18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss27.10.2011

VGH Baden-Württemberg: Wohnungs­durch­su­chungen bei mutmaßlichen Mitgliedern der Hells Angels nach Vereinsverbot rechtmäßigDurchsuchung zur Beschlagnahme beweis­re­le­vanter Unterlagen für Vereinsverbot gerechtfertigt

Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg hat die Durchsuchung der Wohnungen von mutmaßlichen Mitgliedern eines Pforzheimer Vereins der Hells Angels im Zuge eines Vereins­ver­bots­ver­fahrens für gerechtfertigt erklärt.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Innen­mi­nis­terium am 6. Juni 2011 den Pforzheimer Verein der Hells Angels verboten. Daraufhin erließ das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe am 7. Juni 2011 auf Antrag des Regie­rungs­prä­sidiums Karlsruhe zahlreiche Durch­su­chungs­a­n­ord­nungen, die am 10. Juni 2011 im Rahmen einer Großrazzia vollstreckt worden sind. Betroffen waren Wohnungen von Funkti­o­ns­trägern, von mutmaßlichen Vereins­mit­gliedern, von Anwärtern (so genannten „prospects“), der Freundin eines Anwärters sowie Fahrzeuge und ein Haftraum eines in Strafhaft befindlichen Vereins­mit­glieds. In 21 Fällen legten die Betroffenen gegen die Durch­su­chungs­a­n­ord­nungen Beschwerden ein. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg wies diese weitgehend zurück. Nur in einem Fall wurde die Durch­su­chungs­a­n­ordnung teilweise für rechtswidrig erklärt.

Durchsuchung der Räume des Vereins und der Wohnungen zum Zweck der Beschlagnahme beweis­re­le­vanter Unterlagen für Vereinsverbot zulässig

Die Durchsuchung der Räume des Vereins und der Wohnungen von Mitgliedern und Hintermännern könne zum Zweck der Beschlagnahme beweis­re­le­vanter Unterlagen für ein Vereinsverbot und zum Zweck der Sicherstellung von Vereinsvermögen erfolgen, führte der Verwal­tungs­ge­richtshof in den Gründen aus. Das Verwal­tungs­gericht habe zu Recht angenommen, dass gegen den Pforzheimer Verein der Hells Angels der Anfangsverdacht eines den Strafgesetzen zuwider­lau­fenden Vereinszwecks bestehe, der eine Beschlagnahme beweis­re­le­vanter Unterlagen für ein Vereinsverbot rechtfertige. Zwar sei eine Vereinigung als solche nicht straffähig. Der straf­ge­set­z­widrige Zweck und die straf­ge­set­z­widrige Tätigkeit einer Vereinigung ergäben sich aber aus den Absichten und Verhal­tens­weisen ihrer Mitglieder, die einen vom einzelnen Mitglied losgelösten Gruppenwillen bildeten und insofern eine eigene Zweckrichtung festlegten sowie selbstständig handeln könnten. Insoweit ergebe sich aus der Verbots­ver­fügung des Innen­mi­nis­teriums hinreichend deutlich, dass nach dem Ergebnis staats­an­walt­schaft­licher Ermitt­lungs­ver­fahren viele Mitglieder des Vereins erheblicher Straftaten verdächtig seien (u.a. Verstöße gegen das Betäu­bungs­mittel- und Waffengesetz, ein versuchter schwerer Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körper­ver­letzung als Auftrags­straftat, Straftaten im Zusammenhang mit einer Ausein­an­der­setzung mit den „United Tribuns“, eine Verbre­chens­ver­ab­redung zum Mord). Dieses straf­ge­set­z­widrige Verhalten könne dem Verein voraussichtlich zugerechnet werden, weil die Straftaten ausweislich der Verbots­ver­fügung teilweise von den Vereinsorganen angeordnet, jedenfalls mit deren Wissen und Billigung begangen worden seien und im inneren Zusammenhang mit dem Verein stünden. Teilweise stellten sich die Straftaten auch nach außen als Vereins­ak­ti­vitäten dar, wobei die Vereinigung diesen Umstand gekannt und gebilligt oder jedenfalls widerspruchslos hingenommen habe. Schließlich liege ein Zurech­nungsgrund voraussichtlich deshalb vor, weil der Verein - entsprechend seinem „Ehrenkodex“ - Straftaten nachträglich gedeckt habe, indem er seinen straffälligen Mitgliedern durch eigene Hilfestellung oder Hilfestellung anderer Mitglieder Rückhalt geboten habe.

Gegenstände von ideeller Bedeutung Teil des Vereins­ver­mögens

Die Durchsuchung zum Zweck der Sicherstellung von Vereinsvermögen solle dem Verein die Mittel zur Fortsetzung der als rechtswidrig erachteten Tätigkeit nehmen, so der Verwal­tungs­ge­richtshof weiter. Zum Vereinsvermögen zählten nicht nur Gegenstände von wirtschaft­licher, sondern auch von ideeller Bedeutung, wie zum Beispiel die von Mitgliedern und „prospects“ getragene Kutte, eine ärmellose Lederjacke mit Vereinsemblem. Diese Kutte dokumentiere die Vereins­zu­ge­hö­rigkeit seines Trägers und bringe dessen Stellung innerhalb des Vereins zum Ausdruck. Die Annahme, die Betroffenen hätten ihre Kutten - ohne dass es der Durch­su­chungs­a­n­ordnung bedurft hätte - freiwillig herausgegeben, erscheine fernliegend. Bei einem in Strafhaft befindlichen Vereinsmitglied sah der Verwal­tungs­ge­richtshof es allerdings als unwahr­scheinlich an, dass die Kutte oder andere Sachen aus dem Vereinsvermögen im Haftraum aufzufinden sein könnten. Seine Beschwerde hatte daher teilweise Erfolg.

Erlassene Durch­su­chungs­a­n­ord­nungen waren hinreichend bestimmt

Schließlich seien die vom Verwal­tungs­gericht erlassenen Durch­su­chungs­a­n­ord­nungen auch hinreichend bestimmt gewesen. Das Regie­rungs­prä­sidium sei zudem nicht verpflichtet gewesen, bereits vor der Durchsuchung der Wohnungen einen Sicher­stel­lungs­be­scheid auszufertigen, in dem die sicher­zu­stel­lenden Gegenstände konkret bezeichnet seien.

Wann über die beim Verwal­tungs­ge­richtshof anhängige Klage gegen das Vereinsverbot entschieden wird, ist noch nicht absehbar. In dem Eilverfahren, in dem sich der Verein der Hells Angels gegen den Sofortvollzug dieses Verbots wendet, wird die Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richtshofs voraussichtlich Ende des Jahres ergehen.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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