03.12.2024
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Bundesgerichtshof Urteil03.11.2011

Freispruch wegen irrtümlicher Notwehrlage: Hells Angels Mitglied tötete Polizeibeamten in der Annahme einen Angriff der Bandidos abzuwehrenIrrtümliche Annahme einer Notwehrlage ist ebenso zu behandeln wie Fall tatsächlich gegebener Notwehr

Die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage ist im Ergebnis ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr. Dies entschied der Bundes­ge­richtshof und hob die Verurteilung wegen Totschlags eines Mitglieds der Hells Angels auf, der in der Annahme von einem Mitglied des verfeindeten Clubs "Bandidos" angegriffen zu werden, irrtümlich in Notwehr einen SEK-Beamten erschoss.

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Koblenz festgestellt, dass der Angeklagte, ein führendes Mitglied des Motorradclubs "Hell´s Angels", erfahren hatte, dass er von Mitgliedern des konkurrierenden Clubs "Bandidos" ermordet werden solle. Zeitgleich erließ das Amtsgericht in einem gegen den Angeklagten geführten Ermitt­lungs­ver­fahren einen Durch­su­chungs­befehl für seine Wohnung. Wegen der zu befürchtenden Gewalt­be­reit­schaft des Angeklagten und seiner polizei­be­kannten Bewaffnung wurde zur Vollstreckung des Durch­su­chungs­befehls ein Sonder­ein­satz­kommando (SEK)der Polizei hinzugezogen.

Angeklagter hält SEK-Beamte irrtümlich für Bandidos-Mitglieder

Am Tattag versuchte das SEK gegen 6 Uhr morgens, die Tür des Wohnhauses des Angeklagten aufzubrechen, um ihn und seine Verlobte im Schlaf zu überraschen. Der Angeklagte erwachte durch die Geräusche an der Eingangstür, bewaffnete sich mit einer Pistole Kaliber 45, die mit acht Patronen geladen war, und begab sich ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er erblickte von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen. Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwer­be­waffnete Mitglieder der "Bandidos", die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: "Verpisst Euch!" Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die vor der Tür befindlichen SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türver­rie­ge­lungen aufzubrechen.

Polizist wird durch Schüsse des Angeklagten tödlich getroffen

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoss er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür, wobei er billigend in Kauf nahm, einen der Angreifer tödlich zu treffen. Das Geschoss durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten ein und tötete diesen.

Landgericht verurteilt Angeklagten wegen Totschlags zu Freiheitsstrafe

Die Schwur­ge­richts­kammer des Landgerichts hat den Angeklagten wegen dieses Geschehens wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe zwar irrtümlich die Voraussetzungen einer Notwehrlage angenommen, er habe aber auch unter diesen Voraussetzungen nicht ohne Vorwarnung die tödliche Waffe einsetzen dürfen.

Angeklagten war in – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr Abgabe eines Warnschusses nicht zuzumuten

Der Bundes­ge­richtshof hat die Verurteilung aufgehoben und den Angeklagten insoweit freigesprochen, weil auf der Grundlage der landge­richt­lichen Feststellungen ein Fall strafloser Putativnotwehr gegeben war. Nach ständiger Rechtsprechung ist die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage im Ergebnis ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr. Danach muss der gezielte Einsatz einer lebens­ge­fähr­lichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und ggf. auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener muss aber nicht das Risiko des Fehlschlags einer Vertei­di­gungs­handlung eingehen. Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten "Kampflage" keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, darf auch eine lebens­ge­fährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden. Nach den für das Revisi­ons­gericht bindenden Feststellungen des Landgerichts war hier ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine "Kampf-Position" unter Umständen zu schwächen.

BGH verneint Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung

Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, war dem Angeklagten daher nicht anzulasten. Weil dieser seinen Irrtum auch nicht fahrlässig verursacht hatte, konnte er auch wegen fahrlässiger Tötung nicht verurteilt werden.

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online

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