Das Amtsgericht Hamburg wies die von der Staatsanwaltschaft vertretene Auffassung, dass diese Aussage den Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) erfülle, zurück. Die Aussage des Angeklagten stelle noch keinen gewichtigen Angriff auf die Ehre eines anderen dar, urteilten die Richter. Es sei nicht Aufgabe des Strafrechts, vor bloßen Ungehörigkeiten, Distanzlosigkeiten und auch groben Unhöflichkeiten zu schützen. Die Aussage des Angeklagten sei vielmehr die Androhung körperlicher Gewalt, welche für sich genommen noch keinen gewichtigen Angriff auf die Ehre eines anderen darstelle.
Die Androhung einer Straftat ist nach § 241 StGB indes nur strafbar, wenn es sich um die Androhung eines schwerwiegenden Verbrechens wie Mord handelt. Die Bedrohung mit einem Vergehen wie einer einfachen Körperverletzung ist dagegen nicht strafbar. Die Richter führten aus, dass es nicht angezeigt sei, Androhungen von bloßen Vergehen als Beleidigung zu behandeln und damit § 185 StGB als Auffangtatbestand für § 241 StGB heranzuziehen. Nicht jede Missachtung der körperlichen Integrität oder der Willensbetätigungsfreiheit könne in ein Beleidigungsdelikt umgedeutet werden.
Auch der Ausdruck "Fresse" für Mund oder Gesicht eines anderen Menschen sei keine Beleidigung. Es handele sich dabei um einen "derben" Ausdruck, der keine eindeutige Abwertung der betroffenen Person bedeute. Es sei vielmehr eine, wenn auch grobe, Unhöflichkeit, vor welcher das Strafrecht nicht schütze. Andernfalls müsste auch die umgangssprachlich häufig benutzte Aufforderung "Halt deine Fresse" bzw. "Halt die Fresse" ebenso als Beleidigung aufgefasst und geahndet werden.
Auch die Anrede der Vollzugsbediensteten mit "ihr" stelle keine Beleidigung dar. Es hänge bereits sehr vom Einzelfall ab, ob eine Anrede mit "Du" eine Beleidigung sei. Noch anders sei es im Fall der Anrede mehrerer Personen mit "ihr". Aufgrund eines inzwischen weit verbreiteten Sprachgebrauchs sei darin keine ehrenrührige Äußerung zu sehen. Der starke Wandel gesellschaftlicher Konventionen schlage insofern auch auf die alltägliche Anrede durch, als es viele Menschen inzwischen normal finden, andere Personen, die sie jeweils einzeln siezen würden, im Plural mit "ihr" anzusprechen. Im vorliegenden Fall komme hinzu, dass der Angeklagte aus Ghana stamme und erst seit 2001 in Deutschland lebe. Er spreche nicht fließend Deutsch und beherrsche daher die feinen Abstufungen höflicher Anredeformen in der deutschen Sprache nicht sicher. Dies habe sich auch in der Hauptverhandlung gezeigt, in der er mehrfach zwischen "Sie" und "Du" hin- und herwechselte, ohne dass dies die angesprochenen Zeugen gestört hätte oder sie sich gar beleidigt gefühlt hätten.
Auch die von der Äußerung des Angeklagten betroffenen Vollzugsbeamten konnten nicht darlegen, dass bzw. warum sie sich durch die Äußerung des Angeklagten beleidigt gefühlt hätten. Sie gaben an, sich vor allem bedroht gefühlt zu haben. Einer der beiden Vollzugsbeamten erläuterte auf Nachfrage, er fühle sich beleidigt, "wenn der Tonfall nicht gemäßigt wird" und "wenn man meinen Weisungen nicht folgt". Das, so die Richter, habe jedoch weder mit dem Inhalt der Äußerung des Angeklagten etwas zu tun, noch erfülle das von dem Beamten als beleidigend empfundene Verhalten auch nur im Ansatz die strafrechtlichen Voraussetzungen einer Beleidigung. Sein Empfinden lasse darauf schließen, dass er von dem ihm gegenübertretenden Bürger in Gestalt eines Besuchers unbedingten und widerspruchslosen Gehorsam erwarte und sich bei Nichtbefolgung einer Weisung persönlich angegriffen fühle. Das zeige ein sehr fragwürdiges und nicht mehr zeitgemäßes Verständnis des Verhältnisses zwischen Bürger und den Repräsentanten des Staates und könne ganz sicher keine Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung bilden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.08.2009
Quelle: ra-online (we)