23.11.2024
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Amtsgericht Hamburg Urteil10.03.2009

"Dann bekommt ihr auf die Fresse" ist keine BeleidigungStrafrecht schützt nicht vor bloßen - wenn auch groben - Unhöflichkeiten

Dies entschied das Amtsgericht Hamburg und sprach den Angeklagten vom Vorwurf der Beleidigung frei. Dieser war als Besucher in der Justiz­voll­zugs­anstalt Fuhlsbüttel durchsucht worden. Als die zuständigen Vollzugsbeamten ihn wegen eines Verstoßes gegen die Anstaltsordnung aufforderten, das Gefängnis zu verlassen, sagte der später Angeklagte zu den Beamten: "Ihr kommt ja auch noch einmal aus der Anstalt und dann bekommt ihr auf die Fresse!" Auf Nachfrage wiederholte er: "Ja, dann bekommt ihr richtig auf die Fresse!"

Das Amtsgericht Hamburg wies die von der Staats­an­walt­schaft vertretene Auffassung, dass diese Aussage den Straftatbestand der Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) erfülle, zurück. Die Aussage des Angeklagten stelle noch keinen gewichtigen Angriff auf die Ehre eines anderen dar, urteilten die Richter. Es sei nicht Aufgabe des Strafrechts, vor bloßen Ungehörigkeiten, Distanz­lo­sig­keiten und auch groben Unhöflichkeiten zu schützen. Die Aussage des Angeklagten sei vielmehr die Androhung körperlicher Gewalt, welche für sich genommen noch keinen gewichtigen Angriff auf die Ehre eines anderen darstelle.

Androhung einer Straftat ist keine Beleidigung

Die Androhung einer Straftat ist nach § 241 StGB indes nur strafbar, wenn es sich um die Androhung eines schwerwiegenden Verbrechens wie Mord handelt. Die Bedrohung mit einem Vergehen wie einer einfachen Körper­ver­letzung ist dagegen nicht strafbar. Die Richter führten aus, dass es nicht angezeigt sei, Androhungen von bloßen Vergehen als Beleidigung zu behandeln und damit § 185 StGB als Auffang­tat­bestand für § 241 StGB heranzuziehen. Nicht jede Missachtung der körperlichen Integrität oder der Willens­be­tä­ti­gungs­freiheit könne in ein Belei­di­gungs­delikt umgedeutet werden.

Ausdruck "Fresse" ist derb, aber keine Beleidigung

Auch der Ausdruck "Fresse" für Mund oder Gesicht eines anderen Menschen sei keine Beleidigung. Es handele sich dabei um einen "derben" Ausdruck, der keine eindeutige Abwertung der betroffenen Person bedeute. Es sei vielmehr eine, wenn auch grobe, Unhöflichkeit, vor welcher das Strafrecht nicht schütze. Andernfalls müsste auch die umgangs­sprachlich häufig benutzte Aufforderung "Halt deine Fresse" bzw. "Halt die Fresse" ebenso als Beleidigung aufgefasst und geahndet werden.

Auch duzen ist nicht ohne weiteres strafbar - Anrede mehrerer Personen mit "ihr" ist weit verbreitet

Auch die Anrede der Vollzugs­be­diensteten mit "ihr" stelle keine Beleidigung dar. Es hänge bereits sehr vom Einzelfall ab, ob eine Anrede mit "Du" eine Beleidigung sei. Noch anders sei es im Fall der Anrede mehrerer Personen mit "ihr". Aufgrund eines inzwischen weit verbreiteten Sprachgebrauchs sei darin keine ehrenrührige Äußerung zu sehen. Der starke Wandel gesell­schaft­licher Konventionen schlage insofern auch auf die alltägliche Anrede durch, als es viele Menschen inzwischen normal finden, andere Personen, die sie jeweils einzeln siezen würden, im Plural mit "ihr" anzusprechen. Im vorliegenden Fall komme hinzu, dass der Angeklagte aus Ghana stamme und erst seit 2001 in Deutschland lebe. Er spreche nicht fließend Deutsch und beherrsche daher die feinen Abstufungen höflicher Anredeformen in der deutschen Sprache nicht sicher. Dies habe sich auch in der Haupt­ver­handlung gezeigt, in der er mehrfach zwischen "Sie" und "Du" hin- und herwechselte, ohne dass dies die angesprochenen Zeugen gestört hätte oder sie sich gar beleidigt gefühlt hätten.

Vollzugsbeamter fühlte sich vor allem beleidigt, weil seinen Anweisungen nicht gefolgt wurde

Auch die von der Äußerung des Angeklagten betroffenen Vollzugsbeamten konnten nicht darlegen, dass bzw. warum sie sich durch die Äußerung des Angeklagten beleidigt gefühlt hätten. Sie gaben an, sich vor allem bedroht gefühlt zu haben. Einer der beiden Vollzugsbeamten erläuterte auf Nachfrage, er fühle sich beleidigt, "wenn der Tonfall nicht gemäßigt wird" und "wenn man meinen Weisungen nicht folgt". Das, so die Richter, habe jedoch weder mit dem Inhalt der Äußerung des Angeklagten etwas zu tun, noch erfülle das von dem Beamten als beleidigend empfundene Verhalten auch nur im Ansatz die straf­recht­lichen Voraussetzungen einer Beleidigung. Sein Empfinden lasse darauf schließen, dass er von dem ihm gegen­über­tre­tenden Bürger in Gestalt eines Besuchers unbedingten und wider­spruchslosen Gehorsam erwarte und sich bei Nichtbefolgung einer Weisung persönlich angegriffen fühle. Das zeige ein sehr fragwürdiges und nicht mehr zeitgemäßes Verständnis des Verhältnisses zwischen Bürger und den Repräsentanten des Staates und könne ganz sicher keine Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung bilden.

Quelle: ra-online (we)

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