03.12.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil12.05.2009

Äußerung "Durchgeknallter Staatsanwalt" stellt nicht zwingend eine Beleidigung darKontext der Aussage muss berücksichtigt werden – Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung bleibt bestehen

Die Äußerung "durchgeknallter Staatsanwalt" stellt nicht unbedingt eine Beleidigung dar. Generell muss eine genaue Abwägung zwischen dem Persönlich­keits­recht und der Meinungs­freiheit vorgenommen werden. Dies entschied das Bundes­verfassungs­gericht.

Der Beschwer­de­führer Michael Naumann ist Journalist, Verleger, Publizist und Mitherausgeber einer großen deutschen Zeitung. Im. Juni 2003 strahlte der Fernsehsender "n-tv" die Sendung "Talk in Berlin" aus, an der sich der Beschwer­de­führer als Diskus­si­ons­teil­nehmer beteiligte. Die Sendung befasste sich mit dem seinerzeit in den Medien viel beachteten Ermitt­lungs­ver­fahren gegen den damaligen Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden, Rechtsanwalt und Moderator Dr. Michel Friedman, der in den Verdacht des unerlaubten Umgangs mit Betäu­bungs­mitteln geraten war. Im Rahmen der Sendung äußerte der Beschwer­de­führer u.a.:

"Und ich bin ganz sicher, dass dieser staats­an­waltliche, man muss wirklich sagen: Skandal eines ganz offenkundig, ich sag`s ganz offen, durchgeknallten Staatsanwaltes, der hier in Berlin einen außerordentlich schlechten Ruf hat, der vor einem Jahr vom Dienst suspendiert worden ist, der zum ersten Mal überhaupt wieder tätig wird. Dieser Skandal wird zweifellos dazu führen, dass sich die hiesige Justizbehörde und die ihr zugeordnete Staats­an­walt­schaft fragen muss, ob man auf diese Art und Weise gegen Privatpersonen vorgehen kann."

Schmähkritik, die einzig auf die Diffamierung des Betroffenen abzielt

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Beschwer­de­führer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 300,00 €. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Bezeichnung als „durchgeknallt“ umgangs­sprachlich in dem Sinne von „verrückt“ oder „durchgedreht“ verstanden werde. Hierin liege aber eine Schmähkritik, die allein auf die Diffamierung des Betroffenen ziele und deshalb generell unzulässig sei. Die Revision gegen das Urteil verwarf das Kammergericht auf Antrag der General­staats­an­walt­schaft ohne weitere Begründung.

Abwägung von Persön­lich­keitsrecht zum einen und Meinungs­freiheit zum anderen nicht ausreichend abgewägt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die Entscheidungen aufgehoben, weil sie das Grundrecht des Beschwer­de­führers auf Meinungs­freiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Gerichte haben die Bezeichnung als „durchgeknallt“ zu Unrecht als generell unzulässige Schmähkritik angesehen und deshalb die hier gebotene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungs­freiheit des Beschwer­de­führers nicht vorgenommen. Weil der Begriff der Schmähkritik eine besonders gravierende Ehrverletzung bezeichnet, bei der noch nicht einmal mehr eine Abwägung mit der Meinungs­freiheit stattfindet, sondern die Meinungs­freiheit absolut verdrängt wird, ist dieser Begriff eng zu definieren. Selbst eine für sich genommen herabsetzende Äußerung wird zu einer Schmähkritik erst dann, wenn nicht mehr die Ausein­an­der­setzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch wenn der Bezeichnung als „durchgeknallt“ als solcher ehrverletzender Gehalt zukommt, muss bei Beurteilung einer schmähenden Wirkung der Zusammenhang berücksichtigt werden, in dem die Äußerung fällt.

Herauslösen des Begriffs aus Kontext verfälscht Zusammenhang der Aussage

Der Kontext der Äußerung im Zusammenhang mit der Kritik an der Infor­ma­ti­o­ns­politik der zuständigen Staats­an­walt­schaft spricht hier gegen die Annahme, dass der Beschwer­de­führer dem Betroffenen pauschal die geistige Gesundheit habe absprechen und ihn damit ungeachtet seines Sachanliegens habe diffamieren wollen. Vielmehr liegt es aus Sicht des unvor­ein­ge­nommenen Publikums nahe, dass er auch durch diese Begriffswahl Kritik an dem Umgang des General­staats­an­waltes mit den Persön­lich­keits­rechten eines Beschuldigten üben wollte. Die Herauslösung des Begriffes "durchgeknallt" aus diesem Kontext verstellt den Blick darauf, dass die umstrittene Äußerung im Zusammenhang mit einer Sachaus­ein­an­der­setzung um die Ausübung staatlicher Straf­ver­fol­gungs­be­fugnisse fiel. In diesem Kontext kann der verwendeten Begriffswahl aber nicht jeglicher Sachbezug abgesprochen werden, da sie - wenn auch in polemischer und in herabsetzender Form - durchaus die Sachaussage transportieren kann, dass ein als verantwortlich angesehener Staatsanwalt im Zuge der Straf­ver­fol­gung­s­tä­tigkeit die gebotene Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf das Persön­lich­keitsrecht eines Beschuldigten in unsachgemäßer und übertriebener Weise habe vermissen lassen.

Keine schwerwiegende Diffamierung

Die Bezeichnung als „durchgeknallt“ weist auch nicht einen derart schwerwiegenden diffamierenden Gehalt auf, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzu­sam­menhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erschiene und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden müsste, wie dies bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann.

Teil der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Freiheit, seine Meinung in selbst­be­stimmter Form zum Ausdruck zu bringen, ist auch, dass der Äußernde von ihm als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und perso­na­li­sierter Weise für die zu kritisierende Art der Machtausübung angreifen kann, ohne befürchten zu müssen, dass die perso­nen­be­zogenen Elemente seiner Äußerung aus diesem Kontext herausgelöst betrachtet werden und als solche die Grundlage für eine einschneidende gerichtliche Sanktion bilden. Die Perso­na­li­sierung eines Sachanliegens in anklagender Form ist in solch unter­schied­licher Form und Intensität möglich, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungs­freiheit in diesen Fällen wie bei Schmähungen stets und ungeachtet der weiteren Umstände zurücktreten zu lassen. Vielmehr ist es erforderlich, in die gebotene Abwägung einzustellen, ob der Betreffende als private Person oder sein öffentliches Wirken mit seinen weitreichenden gesell­schaft­lichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung ausgehen.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

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