21.11.2024
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Verfassungsgerichtshof Sachsen Beschluss16.10.2008

Sachsen: Verfas­sungs­be­schwerden der Betreiber von Ein-Raum-Gaststätten und Diskotheken gegen das Sächsische Nicht­rau­cher­schutz­gesetz erfolgreichGesetzgeber muss das Sächsische Nicht­rau­cher­schutz­gesetz überarbeiten

Mit mehreren Beschlüssen erklärte der Verfas­sungs­ge­richtshof des Freistaates Sachsen das im Sächsischen Nicht­rau­cher­schutz­gesetz für Gaststätten geregelte allgemeine Rauchverbot für mit dem Grundrecht der Betreiber kleiner Ein-Raum-Gaststätten auf Berufsfreiheit unvereinbar. Darüber hinaus verletze die Regelung auch die Betreiber von Diskotheken in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit sowie den allgemeinen Gleichheitssatz, soweit für Diskotheken, zu denen Jugendliche keinen Zutritt haben, die Möglichkeit ausgeschlossen sei, Raucherräume einzurichten.

Am 1. Februar 2008 trat das Sächsische Nichtraucherschutzgesetz in Kraft. In § 2 SächsNSG werden die Einrichtungen aufgeführt, in denen ein allgemeines Rauchverbot gilt; hierunter fallen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 8 SächsNSG alle Gaststätten im Sinne des Gaststät­ten­ge­setzes. Ausnahmen vom allgemeinen Rauchverbot lässt § 3 Nr. 3 SächsNSG für abgetrennte Nebenräume von Gaststätten zu, mit Ausnahme von Diskotheken.

Betreiber von Ein-Raum-Gaststätten durch Rauchverbot in wirtschaft­licher Existenz gefährdet

Mehrere Inhaber so genannter Ein-Raum-Gaststätten, denen die Einrichtung eines separaten Raucherraumes nicht möglich ist, hatten unter anderem einen Eingriff in ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit geltend gemacht, da sie einem generellen Rauchverbot unterlägen, das ihre wirtschaftliche Existenz gefährde. Die Betreiber der Diskotheken hatten darüber hinaus gerügt, die für Diskotheken geltende „Ausnahme von der Ausnahme“ verstoße gegen den Gleichheitssatz, da kein sachlicher Grund für die Ungleich­be­handlung gegenüber anderen Gastronomen bestehe.

Die Verfas­sungs­be­schwerden hatten Erfolg. Zwar werde das Rauchverbot im Ausgangspunkt von ausreichenden Gemein­wohl­gründen getragen. Der Schutz der Bevölkerung vor Gesund­heits­ge­fahren – besonders bei Minderjährigen – gehöre zu den legitimen Aufgaben des Staates und lasse Beschränkungen der Berufs­aus­übungs­freiheit zu. Auch habe sich der Gesetzgeber in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise für ein die wechselseitigen Belange ausgleichendes Schutzkonzept entschieden, mit dem er seine Ziele nicht unbedingt verfolge, sondern Ausnahmen hiervon zulasse. Dieses Konzept nehme auf kollidierende Interessen der Inhaber und Raucher Rücksicht und mildere den Eingriff in die Berufsfreiheit der Gastwirte dadurch ab, dass sie ihren Gästen in abgetrennten, besonders gekenn­zeichneten Nebenräumen das Rauchen gestatten dürften.

Richter: Betreiber von Ein-Raum-Gaststätten übermäßig durch das Nicht­rauch­schutz­gesetz belastet

Die angegriffene Regelung führe aber zu einer übermäßigen Belastung der Betreiber kleiner Ein-Raum-Gaststätten. Diese Betriebe unterschieden sich nicht nur durch eine geringe Zahl von Sitzplätzen sowie das vorwiegend an Getränken ausgerichtete Angebot von den übrigen Gaststätten, sondern auch durch die besondere Gästestruktur. Solche Gaststätten sprächen überwiegend Stammgäste an, unter denen sich eine vergleichsweise große Zahl von Rauchern befinde. Da die Betreiber aufgrund der begrenzten räumlichen Kapazitäten keine Raucherräume anbieten könnten, sei zu erwarten, dass sich die rauchenden Kunden von den kleineren Gaststätten abwendeten und größere Gaststätten mit Raucherräumen besuchten. Die gewählte gesetz­ge­be­rische Konzeption trage somit dazu bei, dass sich die wirtschaftliche Lage der Klein­ga­s­tronomie weiter verschlechtere, indem sie größeren Gaststätten, in denen abgetrennte Raucherräume eingerichtet werden könnten, Vorteile im Wettbewerb um die Gäste verschaffe. Die damit verbundene Schlech­ter­stellung der Ein-Raum-Gaststätten überschreite die Grenze des Zumutbaren.

Raucherräume in Diskotheken

Darüber hinaus füge sich der Ausschluss der Diskotheken von der Möglichkeit, abgetrennte Raucherräume einzurichten, nicht in das vom Gesetzgeber entwickelte Regelungs­konzept ein. Es fehlten hinreichende Recht­fer­ti­gungs­gründe dafür, bei Diskotheken von dem gewählten ausgleichenden Nicht­rau­cher­schutz­konzept generell abzuweichen. Der Gesichtspunkt des Minder­jäh­ri­gen­schutzes rechtfertige den Begüns­ti­gungs­aus­schluss lediglich für diejenigen Diskotheken, bei denen Personen unter 18 Jahren Zutritt gewährt werde. Auch die gesteigerte Schutzpflicht gegenüber jungen Menschen über 18 Jahren und die Absicht, gruppen­dy­na­mischen Prozessen entge­gen­zu­wirken, rechtfertige die ungleich stärker belastende Beschränkung der Berufs­aus­übungs­freiheit von Disko­the­ken­be­treibern nicht. Der Gesetzgeber habe schon mit der Zulassung von Raucherräumen in Gaststätten in Kauf genommen, dass sich dort auch Nichtraucher aufhielten. Damit seien Nachfol­ge­effekte bei Erwachsenen akzeptiert worden, die nicht in gleich­heits­widriger Weise bei Diskotheken unterbunden werden dürften. Den gruppen­dy­na­mischen Prozessen könne auf weniger belastende Weise auch dadurch entgegengewirkt werden, dass die Attraktivität der Raucherräume verringert werde, indem dort keine Tanzmög­lich­keiten angeboten werden dürften.

Richter verpflichten Gesetzgeber zur Neuregelung bis zum 31. Dezember 2009

Bis zu einer verfas­sungs­gemäßen Neuregelung, die der Landtag bis zum 31. Dezember 2009 zu treffen hat, bleiben die angegriffenen Regelungen weiterhin anwendbar. Zur Vermeidung erheblicher wirtschaft­licher Nachteile wurde jedoch angeordnet, dass in Ein-Raum-Gaststätten mit weniger als 75 qm Gastfläche und ohne abgetrennten Nebenraum, zu denen Personen mit nicht vollendetem 18. Lebensjahr keinen Zutritt erhalten, der Gaststät­ten­be­treiber das Rauchen gestatten darf, wenn die Gaststätte am Eingangsbereich in deutlich sichtbarer Weise als Raucher­gast­stätte, zu der Personen mit nicht vollendetem 18. Lebensjahr keinen Zutritt haben, gekennzeichnet ist. Ferner wurde für die Zwischenzeit angeordnet, dass das absolute Rauchverbot nicht für solche Diskotheken gilt, zu denen Personen unter 18 Jahren keinen Zutritt haben. Dort ist es den Disko­the­ken­be­treibern gestattet, einen abgetrennten, besonders gekenn­zeichneten Raum einzurichten, in dem jedoch keine Tanzmög­lich­keiten angeboten werden dürfen.

SächsVerfGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – Vf. 26-IV-08(HS), Vf. 28-IV-08(HS), Vf. 30-IV-08(HS), Vf. 34-IV-08(HS), Vf. 36-IV-08(HS), Vf. 42-IV-08(HS), Vf. 44-IV-08(HS)

SächsVerfGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – Vf. 15-IV-08, Vf. 59-IV-08

SächsVerfGH, Beschluss vom 16. Oktober 2008 – Vf. 92-IV-08

Auszug aus dem Gesetz:

§ 2 Allgemeines Rauchverbot

(1) Das Rauchen ist in folgenden Einrichtungen untersagt: (...)

(2) Soweit nicht von Absatz 1 erfasst, gilt das Rauchverbot auch in folgenden Einrichtungen: (...)

8. Gaststätten im Sinne von § 1 des Gaststät­ten­ge­setzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. November 1998 (BGBl. I S. 3418), das zuletzt durch Artikel 149 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407, 2424) geändert worden ist, in der am 1. März 2007 geltenden Fassung, sowie Einrichtungen, die den Vorschriften des Gaststät­ten­ge­setzes unterliegen; (...).

§ 3 Ausnahmen

Das allgemeine Rauchverbot gilt nicht in (...)

3. abgetrennten Nebenräumen von Gaststätten, sofern diese als Räume, in denen das Rauchen zugelassen ist, gekennzeichnet sind, mit Ausnahme von Diskotheken; (...).

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofs Sachsen vom 16.10.2008

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