21.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil02.08.2012

Soldatin der Bundeswehr hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine künstliche BefruchtungUnentgeltliche truppen­ärztliche Versorgung ist nicht auf medizinische Leistungen zur Erhaltung oder Wieder­her­stellung der Dienst- und Einsatz­fä­higkeit der Soldatinnen und Soldaten beschränkt

Die unentgeltliche truppen­ärztliche Versorgung der Bundeswehr dient nicht nur zur Erhaltung oder Wieder­her­stellung der Dienst- und Einsatz­fä­higkeit von Soldatinnen und Soldaten. Bei einer organisch bedingten Sterilität umfasst sie daher auch medizinische Leistungen für eine künstliche Befruchtung in Form der so genannten homologen In-vitro-Fertilisation. Dies entschied der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg. Die Berufung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Wehrbe­reichs­ver­waltung Süd in Stuttgart (Beklagte), gegen ein Urteil des Verwal­tungs­ge­richts Sigmaringen blieb damit erfolglos.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Streitfalls ist Soldatin auf Zeit und Oberfeldwebel bei der Bundeswehr. Sie leidet an einem beiderseitigen Verschluss der Eileiter und kann auf normalem Weg kein Kind empfangen. Sie beantragte, im Rahmen der truppen­ärzt­lichen Versorgung die Kosten für eine künstliche Befruchtung in Form der homologen In-vitro-Fertilisation zu übernehmen. Dabei werden der Frau Eizellen aus dem Eierstock entnommen und außerhalb des Mutterleibs mit dem Samen des Ehemanns befruchtet. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die truppen­ärztliche Versorgung auf die Erhaltung oder Wieder­her­stellung der Dienst- und Einsatz­fä­higkeit von Soldaten und Soldatinnen beschränkt sei. Eine Verwal­tungs­vor­schrift der Beklagten regele ausdrücklich, dass die unentgeltliche truppen­ärztliche Versorgung keine Maßnahmen zur Familienplanung umfasse. Das Verwal­tungs­gericht Sigmaringen hob den Ableh­nungs­be­scheid auf und verpflichtete die Beklagte zur erneuten Entscheidung. Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg hat dieses Urteil bestätigt.

Dienstherr zur Sicherung angemessenen Lebens­un­terhalts auch bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheit verpflichtet

Die unentgeltliche truppen­ärztliche Versorgung sei nicht auf medizinische Leistungen zur Erhaltung oder Wieder­her­stellung der Dienst- und Einsatz­fä­higkeit der Soldatinnen und Soldaten beschränkt. Sie sei Ausdruck der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Der Dienstherr müsse Vorkehrungen treffen, um den angemessenen Lebensunterhalt der Soldatinnen und Soldaten auch bei Eintritt besonderer finanzieller Belastungen durch Krankheit zu sichern. Diese Verpflichtung sei umfassend. Eine Krankheit sei der regelwidrige, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichende Zustand des Körpers oder des Geistes. Ob die Krankheit die Wehrdienst­fä­higkeit berühre, sei unerheblich.

Verwal­tungs­vor­schrift über Ausschluss von Maßnahmen der Familienplanung bei organisch bedingter Sterilität nicht anwendbar

Die homologe In-vitro-Fertilisation sei eine zur Behandlung einer Krankheit erforderliche medizinische Leistung. Die organisch bedingte Sterilität stelle einen regelwidrigen Körperzustand dar, der von der generell bestehenden Fortpflan­zungs­fä­higkeit erwachsener Menschen als Normalzustand abweiche. Dieser regelwidrige Körperzustand sei behand­lungs­be­dürftig und therapierbar. Die künstliche Befruchtung ermögliche, die Folgen eines regelwidrigen Körperzustands zu überwinden und der Klägerin zu einem genetisch gemeinsamen Kind mit ihrem Ehemann zu verhelfen. Die von der Beklagten angeführte Allgemeine Verwal­tungs­vor­schrift über den Ausschluss von Maßnahmen der Familienplanung sei nicht anwendbar. Sie genüge nicht dem verfas­sungs­recht­lichen Geset­zes­vor­behalt. Die Exekutive könne die tragenden Struk­tur­prin­zipien der truppen­ärzt­lichen Versorgung, zu denen auch wesentliche Einschränkungen medizinischer Leistungen gehörten, nicht selbst regeln. Dies sei allein Sache des parla­men­ta­rischen Gesetzgebers.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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