15.11.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil29.06.2017

Balancierte Translokation: Beamtin hat keinen Anspruch auf Beihilfe für Chromosomen­untersuchungKosten für Gentest müssen selbst finanziert werden

Der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg hat entschieden, dass eine Beamtin mit einer genetischen Veränderung in der Form einer balancierten Translokation die Kosten für eine Chromosomen­untersuchung selbst tragen muss. Ein beihil­fe­recht­licher Anspruch auf Kostenersatz gegen den Dienstherrn besteht nicht.

Bei einer Translokation werden Chromo­so­me­n­ab­schnitte an eine andere Position innerhalb des Chromo­so­men­be­standes verlagert. Im Fall einer unbalancierten Translokation entstehen Zellen mit fehlenden oder doppelt vorhandenen Chromo­so­me­n­ab­schnitten. Sie führen häufig zu Anomalien und Fehlbildungen. Bei einer balancierten Translokation ist ein Chromosom oder ein Chromo­so­me­n­ab­schnitt auf ein anderes Chromosom transloziert, wobei sich die Gesamtmenge des Erbguts nicht ändert, sondern im Gleichgewicht bleibt. Sie bleibt für den Träger in der Regel ohne Auswirkung, da das Genom vollständig erhalten bleibt. Menschen mit einer balancierten Translokation haben jedoch eine erhöhte Wahrschein­lichkeit, Kinder mit einer unbalancierten Translokation zu bekommen.

Klägerin lässt auf Anraten des Univer­si­täts­kli­nikums Chromo­so­men­un­ter­suchung durchführen

Die 1985 geborene Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ließ im Jahr 2014 auf Anraten des Instituts für Humangenetik des Univer­si­täts­kli­nikums Heidelberg bei sich eine Chromo­so­men­un­ter­suchung durchführen, nachdem bei ihrem Vater eine genetische Veränderung in Form einer balancierten Translokation der Chromosomen 2 und 20 festgestellt worden war und ein weiterer (entfernter) Verwandter väter­li­cherseits eine geistige Behinderung sowie Epilepsie aufgrund einer unbalancierten Translokation dieser Chromosomen aufwies. Zudem sind in der väterlichen Familie mehrere Kinder früh verstorben, bei denen vermutet wird, dass sie ebenfalls Träger einer unbalancierten Translokation der genannten Chromosomen gewesen sein könnten. Auch traten in der Familie zahlreiche Fehlgeburten auf. Die Chromo­so­men­un­ter­suchung ergab, dass die Klägerin ebenfalls Trägerin der balancierten Translokation ist.

Antrag auf Koste­n­er­stattung für Chromo­so­men­un­ter­suchung erfolglos

Die Klägerin ist als Landesbeamtin zu 50 % beihil­fe­be­rechtigt. Sie beantragte daher beim Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg die Gewährung von Beihilfe zu den Aufwendungen für die Chromo­so­men­un­ter­suchung in Höhe von 833,61 Euro. Das Landesamt lehnte die Erstattung ab, da die Aufwendungen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Heilung oder Linderung einer Erkrankung oder eines bestehenden Leidens stünden.

VG bejaht anteilige Erstattung der Kosten

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Verwal­tungs­gericht Karlsruhe statt und verpflichtete das beklagte Land Baden-Württemberg, der Klägerin für den Gentest eine Beihilfe in Höhe von 416,81 Euro zu gewähren. Zwar seien die Aufwendungen nicht aus Anlass einer Krankheit entstanden. Die balancierte Translokation wirke sich auf die Körper- und Geistes­funk­tionen der Klägerin - wie sie auch selbst einräume - nicht negativ aus. Die Beihil­fe­fä­higkeit der Aufwendungen ergebe sich aber aus § 10 Abs. 3 Nr. 3 der Beihil­fe­ver­ordnung (BVO), wonach Aufwendungen für ambulante ärztliche Leistungen beihilfefähig seien, wenn diese notwendig seien, um Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (Maßnahmen der Gesund­heits­vorsorge). Die Kenntnis um das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Gendefekts diene der Verhinderung von weiteren Erkrankungen der Klägerin gerade im Fall einer Schwangerschaft.

Behand­lungs­be­dürf­tigkeit im Sinne des Beihilferechts vorliegend nicht gegeben

Auf die Berufung des Beklagten änderte der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg das Urteil des Verwal­tungs­ge­richts und wies die Klage auf Koste­n­er­stattung ab. Zur Begründung, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der für den Gentest entstandenen Aufwendungen habe, führte der Gerichtshof in seinem Urteil aus, dass das Verwal­tungs­gericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass die Aufwendungen für den Gentest nicht nach § 6 Abs. 1 BVO beihilfefähig seien, da sie nicht aus Anlass einer Krankheit angefallen seien. Krankheit sei ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes, der der ärztlichen Behandlung bedürfe. Ob die balancierte Translokation, auch wenn sie der Klägerin keine Beschwerden verursache und sie körperlich und geistig nicht beeinträchtige, als "regelwidriger Zustand" anzusehen sei, könne offen bleiben. Denn es fehle jedenfalls an dessen Behand­lungs­be­dürf­tigkeit im Sinne des Beihilferechts, da die durchgeführte Chromo­so­men­un­ter­suchung die Veränderung des Chromo­so­men­satzes unberührt lasse. Die von der Klägerin geltend gemachten psychischen Beschwerden infolge der Ungewissheit, ob sie unter dem Gendefekt leide, stellten Belastungen dar, die, selbst wenn sie das Ausmaß einer psychischen Krankheit angenommen hätten, nicht durch die Chromo­so­men­un­ter­suchung therapiert würden, sondern psycho­the­ra­peu­tische Maßnahme angezeigt erscheinen ließen.

Chromo­so­men­un­ter­suchung gehört nicht zu beihilfefähigen Früher­ken­nungs­maß­nahmen

Die Chromo­so­men­un­ter­suchung sei zwar eine Früher­ken­nungs­maßnahme, gehöre aber nicht zu den in § 10 Abs. 1 BVO aufgeführten beihilfefähigen Früher­ken­nungs­maß­nahmen. Früher­ken­nungs­maß­nahmen seien bei Erwachsenen nur zur Früherkennung von Krebs­er­kran­kungen sowie in bestimmten Fällen bei Personen vom Beginn des 36. Lebensjahres an erstat­tungsfähig.

Balancierte Translokation ist keine Krankheit im beihil­fe­recht­lichen Sinne

Schließlich sei der Gentest auch keine beihilfefähige Maßnahme der Gesund­heits­vorsorge (medizinische Vorsor­ge­leistung) nach § 10 Abs. 3 BVO. Eine Beihil­fe­fä­higkeit setze insoweit voraus, dass die Aufwendungen notwendig seien, um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen, oder Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden (§ 10 Abs. 3 Nr. 1, 3 BVO). Daran fehle es hier, da die balancierte Translokation keine Krankheit im beihil­fe­recht­lichen Sinne sei. Etwas anderes gelte auch nicht für die von der Klägerin beklagten psychischen Beschwerden und etwaige künftige Schwan­ger­schafts­kom­pli­ka­tionen. Denn medizinische Vorsor­ge­leis­tungen seien auf die Änderung des festgestellten Körper-, Geistes- oder Seelenzustandes des Betroffenen gerichtet. Der Gentest diene jedoch nur der Diagnose und könnte daher nur als Früher­ken­nungs­maßnahme beihilfefähig sein; deren Erstat­tungs­fä­higkeit habe der Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 BVO jedoch abschließend geregelt.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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