18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss07.07.2015

Journalist hat vor Ablauf der Sperrfrist keinen Anspruch auf Einsicht in archivierte Akten zu StrafverfahrenRecher­che­in­teresse in wichtiger öffentlicher Angelegenheit begründet keine notwendige "Unerläss­lichkeit" für Sperr­zeit­ver­kürzung

Ein Journalist der Tageszeitung "Bild" hat keinen Anspruch auf Einsicht in die beim Landesarchiv Baden-Württemberg gelagerten Akten eines straf­recht­lichen Ermittlungs­verfahrens gegen einen Sportmediziner, dem vorgeworfen wird, Sportler mit Dopingmitteln versorgt zu haben. Dies entschied der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg in einem Eilverfahren.

Der Antragsteller des zugrunde liegenden Verfahrens ist Journalist der Tageszeitung "Bild". Er recherchiert zum Fall eines Sportmediziners, dem vorgeworfen wird, in den 1970iger und 1980iger Jahren Sportler mit Dopingmitteln versorgt zu haben. Er wandte sich an das Landesarchiv Baden-Württemberg und bat um Einsicht in dort gelagerte Ermitt­lungsakten der Staats­an­walt­schaft Freiburg. Nach dem Landes­a­r­chiv­gesetz (LArchG) hat jedermann, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, das Recht, das Archivgut nach Ablauf der Sperrfrist zu nutzen. Die Sperrfrist läuft bei Akten, die sich auf eine natürliche Person beziehen, frühestens zehn Jahre nach deren Tod ab. Sie kann auf Antrag verkürzt werden, wenn die Nutzung zu wissen­schaft­lichen Zwecken oder zur Wahrnehmung berechtigter Belange, die im überwiegenden Interesse einer anderen Person oder Stelle liegen, "unerlässlich" ist.

Landesarchiv lehnt Akteneinsicht mit Verweis auf gesetzliche Sperrfrist ab und verneint Sperr­frist­ver­kürzung

Das Landesarchiv Baden-Württemberg teilte dem Journalisten mit, dass die betreffenden Akten noch der gesetzlichen Sperrfrist unterlägen. Der Antragsteller beantragte daraufhin unter Berufung auf sein journa­lis­tisches Recher­che­in­teresse die Verkürzung der Sperrfrist für Akten von Ermitt­lungs­ver­fahren der Staats­an­walt­schaft Freiburg gegen den Sportmediziner aus den Jahren 1986 und 1995. Das Landesarchiv lehnte dies ab; die Voraussetzungen für eine Verkürzung der Sperrfrist seien nicht erfüllt.

VG lehnt Eilantrag auf Akteneinsicht

Daraufhin begehrte der Antragsteller beim Verwal­tungs­gericht Stuttgart, den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, ihm Zugang bzw. Einsicht zu den Ermitt­lungs­ver­fahren gegen den Sportmediziner aus den Jahren 1986 und 1995 zu gewähren. Er machte u.a. auch geltend, der Antragsgegner habe in zwei Fällen Dritten Zugang zu den streitigen Akten gewährt und aufgrund dieser Akteneinsicht hätten eine Rundfunkanstalt und eine Zeitung über den Inhalt dieser Akten berichtet. Das Verwal­tungs­gericht lehnte den Eilantrag ab.

Verneinte Akteneinsicht führt nicht zu gravierendem und unzumutbarem Schaden für Pressefreiheit

Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg hat die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Verkürzung der Sperrfrist seien nicht erfüllt. Mit dem Tatbe­stands­merkmal der "Unerläss­lichkeit" messe der Gesetzgeber den Belangen der Personen, die von einer Akteneinsicht betroffen seien, bewusst ein besonderes Gewicht bei. Eine Sperr­zeit­ver­kürzung setze daher nicht nur voraus, dass das Interesse an der Nutzung des Archivgutes das Schutzinteresse des Betroffenen im Einzelfall überwiege. Hinzukommen müsse, dass die Nutzung des Archivguts für die Verwirklichung eines besonders gewichtigen Belangs unabdingbar, in jeder Hinsicht unverzichtbar sei. Daran fehle es hier auch unter Berück­sich­tigung der besonderen Bedeutung der Pressefreiheit. Das Recher­che­in­teresse des Antragstellers in einer wichtigen öffentlichen Angelegenheit könne allein die Unerläss­lichkeit nicht begründen. Denn sonst führte jedes solche Recher­che­in­teresse dazu, dass die vom Gesetzgeber verfas­sungsgemäß vorgenommene Inter­es­sen­be­wertung mit dem besonderen Schutz des Persön­lich­keits­rechts des Betroffenen umgekehrt würde. Darüber hinausgehende besondere Umstände, dass der Antragsteller für seine Recherche unabdingbar gerade auf die genannten Akten angewiesen sei und daher bei Ablehnung der Akteneinsicht mangels sonstiger Erkennt­nis­quellen ein gravierender und unzumutbarer Schaden für die Pressefreiheit in einer besonders gewichtigen Angelegenheit entstünde, lägen nicht vor.

Akteneinsicht bei Forschungs­an­trägen gerechtfertigt

Der Antragsteller könne sich auch nicht auf das Gleich­be­hand­lungsgebot berufen. Der Umstand, dass der Antragsgegner in zwei Fällen Dritten Zugang zu den streitigen Akten gewährt und dass aufgrund dieser Akteneinsicht eine Rundfunkanstalt und eine Zeitung über den Inhalt dieser Akten berichtet hätten, verletze das Gleich­be­hand­lungsgebot nicht. Denn der Antragsgegner habe alle journa­lis­tischen Akten­ein­sichts­anträge abgelehnt und lediglich Forschungs­an­trägen mit Auflagen stattgegeben, die für eine journalistische Akteneinsicht nicht gälten. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass er Einsichts­an­trägen, die als Forschungs­anträge bezeichnet gewesen seien, in dem Wissen stattgegeben habe, dass diese nur zum Schein als Forschungs­anträge bezeichnet seien.

Quelle: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof/ra-online

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