18.10.2024
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil25.07.2013

Kosten für nicht vorsätzlich ausgelösten Polizeieinsatz dürfen nicht in Rechnung gestellt werdenVersender eines als Paketbombe verdächtigten "Scherzpakets" muss Polizeieinsatz nicht bezahlen

Der Versender eines "Scherzpakets", das im Mai 2011 von der Landespolizei als Paketbombe verdächtigt wurde, muss den Polizeieinsatz nicht bezahlen, weil er ihn glaubhaft für nicht möglich gehalten hat. Denn der in der Gebüh­ren­ver­ordnung des Innen­mi­nis­teriums Baden-Württemberg festgelegte Gebüh­ren­tat­bestand für die missbräuchliche Veranlassung von Polizei­e­in­sätzen erfordert zumindest ein bedingt vorsätzliches Handeln; Fahrlässigkeit genügt nicht. Der Verord­nungsgeber kann den Gebüh­ren­tat­bestand aber entsprechend erweitern. Dies hat der Verwaltungs­gerichtshof Baden-Württemberg (VGH) entschieden. Damit blieb die Berufung des Landes Baden-Württemberg (Beklagter) gegen ein Urteil des Verwal­tungs­ge­richts Freiburg (VG) erfolglos, das den Gebüh­ren­be­scheid auf die Klage des Paketversenders (Kläger) aufgehoben hatte.

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 20.05.2011 ging bei einer Firma ein Paket mit einem außen angebrachten, an eine Mitarbeiterin persönlich adressierten Begleit­schreiben ein. Dieses enthielt den Briefkopf einer arabischen Botschaft in Berlin, den Zusatz "Bill of Lading“, den Text "You receive important and secret documents best regards“ und eine Unterschrift mit Zusatz "Consul“. Die Botschaft teilte auf Nachfrage mit, sie habe kein solches Paket abgeschickt. Die sodann verständigte Polizei forderte Spreng­stof­f­ex­perten an, die mit Hubschrauber einflogen und das Paket öffneten. Darin lagen nur ein Teller und ein Gruß des Klägers, eines Bekannten der Mitarbeiterin, der sich einen Scherz erlauben wollte. Die Polizei forderte vom Kläger 3.690 Euro Gebühren wegen missbräuch­licher Veranlassung des Polizei­ein­satzes bzw. Vortäuschens einer Gefahrenlage. Der Kläger wandte ein, er habe mit einem solchen Geschehen nicht gerechnet. Das VG glaubte ihm und hob den Gebührenbescheid auf, weil der vom Beklagten herangezogene Gebührentatbestand Absicht oder Vorsatz voraussetze. Dem hat sich der VGH angeschlossen.

Missbräuch­liches Handeln erfasst nicht auch unüberlegtes Handeln

Nach dem Landes­ge­büh­ren­gesetz könne eine Gebührenpflicht für öffentliche Leistungen nur entstehen, soweit die obersten Landesbehörden gebüh­ren­pflichtige Tatbestände und deren Höhe durch Rechts­ver­ordnung festgesetzt hätten. Das sei für Leistungen des Polizei­voll­zugs­dienstes in einer Gebüh­ren­ver­ordnung des Innen­mi­nis­teriums geschehen. Darin sei zwar ein Gebüh­ren­tat­bestand für die "missbräuchliche Veranlassung von Polizei­e­in­sätzen, insbesondere eine missbräuchliche Alarmierung oder eine Vortäuschung einer Gefahrenlage" festgesetzt. Das erfordere aber, dass der Verursacher den Polizeieinsatz entweder bezwecke (Absicht) oder als sicher erwarte (direkter Vorsatz) oder jedenfalls für möglich halte und billigend in Kauf nehme bzw. sich damit abfinde (bedingter Vorsatz). Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Begriffe "missbräuchlich" und "Täuschung" auch unüberlegtes, in seiner Tragweite nicht erfasstes Handeln (Fahrlässigkeit) erfassten. Dagegen sprächen auch die Verwendung des Begriffs "missbrauchen" im allgemeinen Sprachgebrauch und die Auslegung vergleichbarer Gebüh­ren­tat­be­stände in anderen Bundesländern. Entscheidend für eine enge Auslegung spreche schließlich der Grundsatz der Kostenfreiheit des Polizeihandelns. Ausnahmen davon bedürften einer eindeutigen und unmiss­ver­ständ­lichen Rechtsgrundlage.

Kläger hat nicht mit schweren Folgen gerechnet

Der VGH habe sich nach infor­ma­to­rischer Anhörung des Klägers nicht davon überzeugen können, dass ihm zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen sei. Der Kläger habe es glaubhaft nicht für möglich gehalten, dass seine Bekannte oder deren Firma das Paket als verdächtig einstufen könnten. Allerdings neige der VGH dazu, sein Verhalten als grob fahrlässig zu bewerten.

Verord­nungsgeber zur Neufassung des fraglichen Gebüh­ren­tat­be­stands befugt

Zur Vermeidung von Missver­ständ­nissen weist der VGH noch darauf hin, der Verordnungsgeber sei rechtlich nicht gehindert, bei einer Neufassung des fraglichen Gebüh­ren­tat­be­standes auch den fahrlässigen Verursacher eines objektiv nicht erforderlichen Polizei­ein­satzes zu Kosten heranzuziehen, wenn dieser eine Anscheinsgefahr oder einen Gefah­ren­verdacht zurechenbar veranlasst habe.

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

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