23.11.2024
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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil17.07.2013

Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21" - Klage bleibt erfolglosKündigungsgrund wegen verfas­sungs­widriger Misch­fi­nan­zierung liegt nicht vor

Das Verwal­tungs­gericht Stuttgart hat die Klage von Vertrau­ens­leuten und Mitun­ter­zeichnern eines Bürgerbegehrens gegen die Landes­hauptstadt Stuttgart, mit dem der Ausstieg der Stadt aus der Finanzierung des Projekts Stuttgart 21 erreicht werden soll, abgewiesen. Das Gericht erklärte den mit dem Bürgerbegehren erstrebte Bürgerentscheid für nicht zulässig.

Die Kläger des zugrunde liegenden Falls hatten die Verfas­sungs­wid­rigkeit der Misch­fi­nan­zierung des Vorhabens "Projekt Stuttgart 2" durch Finan­zie­rungs­beiträge des Bundes, des Landes Baden-Württemberg und der Landes­hauptstadt Stuttgart geltend gemacht.

Erstrebter Bürgerentscheid nicht zulässig

Nach der Rechtsaufassung des Verwal­tungs­ge­richts Stuttgart ist die Misch­fi­nan­zierung im Fall des Projekts Stuttgart 21 jedoch nicht verfas­sungs­widrig und damit zulässig. Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass der von den Klägern mit dem Bürgerbegehren erstrebte Bürgerentscheid nicht zulässig sei. Die Berufung auf die pauschale Mitfinanzierung des Projekts Stuttgart 21 durch die Stadt Stuttgart rechtfertige entgegen der Begründung des Bürgerbehrens keinen Bürgerentscheid, mit dem der Ausstieg oder die Kündigung der zwischen den Projektpartnern geschlossenen Projekt- und Finan­zie­rungs­verträge zu Stuttgart 21 durch die Stadt erzwungen werden könne.

Stadt würde mit "Ausstieg" aus dem Projekt Stuttgart 21 gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen

Ein Bürgerbegehren dürfe nicht auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet sein, wobei sich die Rechts­wid­rigkeit auch aus einem Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen ergeben könne. Ein solcher Fall sei hier gegeben. Mit einem "Ausstieg" aus dem Projekt Stuttgart 21 wegen Verfas­sungs­wid­rigkeit der Misch­fi­nan­zierung würde die Stadt gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen verstoßen.

Angenommene Kündigungsgrund einer verfas­sungs­widrigen und damit unzulässigen Misch­fi­nan­zierung liegt nicht vor

Im Hinblick auf die bestehenden vertraglichen Bindungen der Stadt sei ein auf den Ausstieg gerichtetes Bürgerbegehren nur zulässig, wenn die Stadt sich z.B. durch ein einseitiges Rücktritts- oder Kündigungsrecht oder durch einen Anspruch auf Vertrags­an­passung bzw. -aufhebung von den eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen lösen könne. Folgerichtig hätten sich die Kläger im Klageverfahren darauf berufen, dass eine solche Kündigung nach Bekanntwerden des Gutachtens von Herrn Prof. Dr. Meyer von der Humboldt-Universität Berlin vom 3. November 2010 wegen nachträglicher Aufdeckung eines gemeinsamen Irrtums über die Verfas­sungs­wid­rigkeit der Projektverträge zulässig sei. Der von den Klägern angenommene Kündigungsgrund einer verfas­sungs­widrigen und damit unzulässigen Misch­fi­nan­zierung des Projekts Stuttgart 21 liege aber nicht vor.

Finanzstarke Länder und Gemeinden dürfen Entscheidungen des Bundes nicht über Mitfi­nan­zie­rungs­an­gebote zu ihren Gunsten beeinflussen

Das Verwal­tungs­gericht verkenne nicht den Hintergrund der auf der Finanz­ver­fas­sungs­reform von 1969 beruhenden Regelung des Art. 104 a Abs. 1 GG, wonach der Bund und die Länger gesondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt. So sollen unter anderem finanzstarke Länder und Gemeinden nicht über Mitfi­nan­zie­rungs­an­gebote die Entscheidung des Bundes zu ihren Gunsten beeinflussen können.

Artikel 104 a Abs. 1 GG steht gemeinsamer Finanzierung einer Maßnahme durch mehrere Aufgabenträger nicht entgegen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht habe jedoch bereits mit Urteil vom 15. März 1989 den Inhalt der Verfas­sungs­vor­schrift folgendermaßen beschrieben: Art. 104 a Abs. 1 GG verbiete, dass der Bund in ausschließlich den Ländern und den Gemeinden zugewiesenen Kompe­tenz­be­reichen die Erfüllung von Aufgaben mitfinanziere und dass umgekehrt die Länder und die Gemeinden in Bereichen ausschließ­licher Verwal­tungs­kom­petenz des Bundes die Aufga­ben­wahr­nehmung mitfinanzierten. Er verbiete hingegen nicht, dass Bund, Länder und Gemeinden in Wahrnehmung jeweils eigener Aufga­ben­zu­stän­dig­keiten zur Erreichung eines bestimmten Ziels zusam­me­n­a­r­beiteten und dabei Vereinbarungen über eine Kosten­auf­teilung nach dem Maß ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Wahrnehmung der Aufgabe abschlössen. Eine zulässige Zusammenarbeit habe das Bundes­ver­wal­tungs­gericht insbesondere im Bereich des öffentlichen Perso­nen­verkehrs gesehen. Die verfas­sungs­rechtliche Kommen­ta­r­li­teratur zu Art. 104 a GG folge überwiegend dieser Rechts­auf­fassung. Auch der Gesetzgeber gehe - etwa im Eisen­bahn­kreu­zungs­gesetz oder im Wasser­stra­ßen­gesetz - davon aus, dass Art. 104 a Abs. 1 GG der gemeinsamen Finanzierung einer Maßnahme durch mehrere Aufgabenträger nicht entgegenstehe.

Gericht bejaht Verschränkung und Überschneidung von Aufgaben verschiedener Hoheitsträger im Fall von Stuttgart 21

Eine solche Verschränkung und Überschneidung von Aufgaben verschiedener Hoheitsträger mit entsprechenden Finan­zie­rungs­kom­pe­tenzen liege nach Auffassung des Gerichts im Fall von Stuttgart 21 vor. Die Aufgaben des Bundes im Bereich der Eisenbahnen ergäben sich aus Art. 87 e GG, wobei das Gericht offen lasse, welche Folgen die Aufga­ben­pri­va­ti­sierung durch Art. 87 e Abs. 3 GG im Bereich der Eisen­bahn­ver­kehrs­dienst­leistung und des Netzbetriebs habe.

Das Land sei nach dem Vorbehalt in Art. 87 e Abs. 4 GG für das Verkehrsangebot im Schie­nen­per­so­nen­nah­verkehr zuständig. Die Stadt Stuttgart sei über Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG unter anderem für die städtebauliche Entwicklung, die gemeindliche Verkehrspolitik und die örtliche Wirtschafts­för­derung zuständig. Die konkrete Planung von Stuttgart 21, die unter anderem den Durch­gangs­bahnhof am bisherigen Standort belasse, unterirdische Zulaufstrecken zu einem Ring schließe, den Flughafen und die Landesmesse anbinde und etwa 100 ha bisherige Bahnflächen für eine andere städtebauliche Nutzung im Zentrum der Landes­hauptstadt freigebe, berücksichtige die verschiedenen Aufgaben der Projektpartner. Sie beruhe auf deren gemeinsamen Vorstellungen, die bereits 1995 Eingang in die Rahmen­ver­ein­barung gefunden hätten. Das Projekt Stuttgart 21 beinhalte daher für die Stadt weit mehr als einen "Kolla­te­ra­l­nutzen", der mit jedem Eisen­bahn­projekt der Bahn verbunden sei.

Möglicher willkürlich gewählter Finan­zie­rungs­anteil der Stadt würde keine Kündigung der Verträge rechtfertigen

Soweit die Kläger gerügt hätten, dass der Finan­zie­rungs­anteil der Stadt willkürlich gewählt sei, würde dies nach Auffassung des Gerichts allenfalls eine Vertrags­an­passung, nicht jedoch eine Kündigung der Verträge rechtfertigen.

Behauptete mangelnde Finan­zier­barkeit des Projekts nicht Streit­ge­genstand des Verfahrens

Andere Kündigungs- oder Ausstiegsgründe, wie etwa die behauptete mangelnde Finan­zier­barkeit des Projekts oder die von den Klägern vorgetragene mögliche Täuschung der Vertragspartner, seien nicht Streit­ge­genstand des Verfahrens.

Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart/ra-online

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