15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen eine Reihe mit gelben Aktenordnern, die mit Barcodes markiert sind.
ergänzende Informationen

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil21.04.2015

Klage zum Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21" auch in zweiter Instanz erfolglosBürgerbegehren ist auf rechtswidriges Ziel gerichtet

Der Verwaltungs­gerichts­hof Baden-Württemberg hat entschieden, dass die Landes­hauptstadt Stuttgart das Bürgerbegehren "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21" zu Recht nicht zugelassen hat, da es auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet ist.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kläger sind Vertrauensleute und Mitun­ter­zeichner des Bürgerbegehrens "Ausstieg der Stadt aus dem Projekt Stuttgart 21". Sie halten die Misch­fi­nan­zierung des Projekts Stuttgart 21 durch Beiträge des Bundes, des Landes Baden-Württemberg und der Landes­hauptstadt Stuttgart wegen Verstoßes gegen Artikel 104 a Absatz 1 GG für verfas­sungs­widrig und sehen darin einen Grund, mit dem die beklagte Landes­hauptstadt Stuttgart ihre Beteiligung an dem Projekt beenden kann. Die Beklagte hat das Bürgerbegehren nicht zugelassen. Das Verwal­tungs­gericht hat die Klage im Juli 2013 abgewiesen. Das Grundgesetz verbiete nicht, dass Bund, Länder und Gemeinden bei komplexen Infra­s­truk­tur­pro­jekten zusam­me­n­a­r­beiteten und die Kosten nach dem Anteil ihrer eigenen Aufga­ben­wahr­nehmung teilten.

Mitfinanzierung des Projekts Stuttgart 21 durch Landes­hauptstadt Stuttgart mit Grundgesetz vereinbar

Der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg hat diese Rechts­auf­fassung bestätigt. Das Bürgerbegehren sei unzulässig, weil es darauf ziele, dass die Beklagte gegen vertragliche Bindungen verstoße. Sie könne sich nicht unter Berufung auf einen Verstoß gegen Artikel 104 a Absatz 1 GG von den eingegangenen Finan­zie­rungs­pflichten lösen. Diese Vorschrift sei zwar trotz der 1993 erfolgten Privatisierung der Bahn anwendbar. Denn die Deutsche Bahn AG und ihre Tochter­un­ter­nehmen erfüllten mit dem Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs eine Aufgabe des Bundes. Die Mitfinanzierung des Projekts Stuttgart 21 durch die Beklagte sei jedoch dem Grunde und der Höhe nach mit Artikel 104 a Absatz 1 GG vereinbar.

"Mit-Finanzierungen" im vorliegenden Fall zulässig

Das in dieser Vorschrift verankerte "Konne­xi­täts­prinzip" verbiete, dass der Bund die Erfüllung von Aufgaben mitfinanziere, für die ausschließlich Länder und Gemeinden zuständig seien, und dass Länder und Gemeinden die Wahrnehmung von Aufgaben mitfinanzierten, die zur alleinigen Verwal­tungs­zu­stän­digkeit des Bundes gehörten. Es verbiete aber nicht, dass Bund, Länder und Gemeinden bei der Wahrnehmung jeweils eigener Aufgaben zusam­me­n­a­r­beiteten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Solche "Mit-Finanzierungen" seien zulässig, wenn sich die Verwal­tungs­zu­stän­dig­keiten verschiedener Hoheitsträger bei der Verwirklichung eines Projekts überschnitten, also jeder Hoheitsträger eigene, definierbare Aufgaben erfülle. Nicht zulässig sei dagegen, wenn ein Hoheitsträger außerhalb seiner Zuständigkeit alleinige Aufgaben eines anderen Hoheitsträgers (mit-)finanziere.

Finanzielle Beteiligung der Landes­hauptstadt am Projekt Stuttgart 21 hier gerechtfertigt

Die finanzielle Beteiligung der Beklagten am Projekt Stuttgart 21 sei aufgrund ihrer kommunalen Zuständigkeit für die städtebauliche Entwicklung gerechtfertigt. Die Beklagte wolle 100 ha bisheriger Bahnflächen in bester Innenstadtlage unter Beibehaltung des zentralen Bahnhofs­s­tandorts städtebaulich entwickeln. Sie habe durch Abschluss der Projektverträge und Geltendmachung ihrer Belange im Planfest­stel­lungs­ver­fahren aktiv darauf hingewirkt, dass eine zur Verwirklichung dieses städtebaulichen Ziels vorzugswürdige Planungs­va­riante verwirklicht werde. Von einem bloßen "Kolla­te­ra­l­nutzen“, etwa wenn eine Kommune ohne eigenes Zutun und Wahrnehmung eigener Aufgaben von einer Projektplanung profitiere, könne daher keine Rede sein. Vielmehr handele es sich um ein Verkehrs- und Städte­bau­projekt, bei dem sich die Aufgaben verschiedener Hoheitsträger mit entsprechenden Finan­zie­rungs­kom­pe­tenzen überschnitten.

Landes­hauptstadt ist weiter Beurtei­lungs­spielraum bei vertraglichen Pflichten zur Mitfinanzierung des Projekts zuzubilligen

Der Anteil der Beklagten an den 4.526 Mio. Euro Gesamtkosten belaufe sich auf ca. 11,1 %, bestehend aus 291,83 Mio. Euro Finanzierungs-/Risiko­be­tei­ligung und 212 Mio. Euro Zinsverzicht. Dieser Finan­zie­rungs­anteil sei auch in seiner Höhe mit Artikel 104 a Absatz 1 GG vereinbar. Der Beklagten sei wegen der nötigen prognostischen Einschätzung von Effekten für die Stadt­ent­wicklung und wegen der teilweise nicht möglichen Bestimmbarkeit von Kosten ein weiter Beurtei­lungs­spielraum bei der Eingehung vertraglicher Pflichten zur Mitfinanzierung des Projekts zuzubilligen. Überprüft werden könne danach nur, ob die Beklagte den Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemein gültige Wertungs­maßstäbe gehalten, insbesondere das Willkürverbot nicht verletzt habe. Gemessen daran beruhten die finanziellen Verpflichtungen der Beklagten auf einer vertretbaren Bewertung des städtebaulichen Interesses an dem Projekt. Für eine Verletzung des Willkürverbots sei nichts ersichtlich.

Höhe des Mitfi­nan­zie­rungs­anteils war für Gemeinderat ersichtlich

Der Gemeinderat habe auf zutreffender Tatsa­chen­grundlage entschieden. Größe und Lage der freiwerdenden Flächen und das sich daraus ergebende städtebauliche Entwick­lungs­po­tential seien ihm ebenso wie die weiteren mit dem Projekt verbundenen städtebaulichen Effekte bekannt gewesen. Er habe aus den ihm vorliegenden Unterlagen auch die Höhe des Mitfi­nan­zie­rungs­anteils ersehen können.

Keine Anhaltspunkte für nicht marktgerechten Kaufpreis ersichtlich

Der Verzicht auf die Verzinsung des gezahlten Kaufpreises für das Bahngelände für die Zeit, in der es noch nicht - wie kaufvertraglich vereinbart - der Beklagten übergeben worden ist, sei ebenfalls als Finan­zie­rungs­anteil der Beklagten zu bewerten. Die Beklagte habe den Wert dieses Verzichts zutreffend auf 212 Mio. Euro bestimmt. Es sei sachgerecht und rechtlich nicht zu beanstanden, dass der zum 31. Dezember 2001 fällig gewordene Kaufpreis von 424.372.261,40 Euro Bemes­sungs­grundlage der Verzinsung sei. Mit dem Änderungs­vertrag zum Kaufvertrag, dem der Gemeinderat am 4. Oktober 2007 zugestimmt habe, sei dem Umstand Rechnung getragen worden, dass die ursprünglich vereinbarten Termine für die Freimachung der Grundstücke aufgrund des verzögerten Baubeginns nicht einzuhalten waren. Es sei daher vereinbart worden, dass Verzugszinsen erst ab Januar 2021 zu zahlen seien. Der entrichtete Kaufpreis sei kein Finan­zie­rungs­anteil im Sinne des Artikels 104 a Absatz 1 GG, da die Beklagte mit dem Eigentum an den erworbenen Grundstücken einen Gegenwert erhalten habe. Es gebe keine Anhaltspunkte für einen nicht marktgerechten Kaufpreis, der einen versteckten Finan­zie­rungs­anteil darstellen könnte. Das gelte auch für die Regelungen zum Altlasten- und Bodenrisiko im Kaufvertrag. Die Finan­zie­rungs­anteile der Flughafen Stuttgart GmbH und des Verbandes Region Stuttgart müssten außer Betracht bleiben, da nur die Beteiligung der Beklagten am Projekt Stuttgart 21 Gegenstand des Bürgerbegehrens sei.

Artikel 104 a Absatz 1 GG lautet:

Erläuterungen
"Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt."

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil20994

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI