23.11.2024
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Verwaltungsgericht Münster Urteil08.03.2017

Syrer erhalten wegen drohender Verfolgung im Heimatland weiterhin vollen Flücht­lings­schutzSyrische Sicher­heits­dienste agieren de facto im rechtsfreien Raum und wenden im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab an

Das Verwal­tungs­gericht Münster hat die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, einer Familie aus Syrien, der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits der sogenannte subsidiäre Schutz gewährt worden war, die Flüchtlings­eigenschaft zuzuerkennen.

Das Verwal­tungs­gericht widersprach damit der Rechtsprechung des Oberver­wal­tungs­ge­richts Nordrhein-Westfalen, das mit Urteil vom 21. Februar 2017 (Az. 14 A 2316/16.A) einen generellen Anspruch syrischer Flüchtlinge auf Zuerkennung der Flücht­lings­ei­gen­schaft verneint hatte.

Aus dem Ausland Rückkehrende werden nach wie vor durch syrisches Regime befragt

In den Entschei­dungs­gründen führte das Verwal­tungs­gericht dazu aus, dass Deutschland zurückkehrende syrische Asylbewerber grundsätzlich mit beachtlicher Wahrschein­lichkeit nach ihrer Rückkehr mit einer politischen Verfolgung durch das Assad-Regime rechnen müssten. Unter Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse vermöge sich das Gericht der im Urteil des Oberver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2017 gegebenen Begründung für seinen Wechsel der ständigen Rechtsprechung nicht anzuschließen. Die Erkenntnislage gebe zur Überzeugung des Verwal­tungs­ge­richts entgegen der Begründung des Oberver­wal­tungs­ge­richts her, dass aus dem Ausland Rückkehrende nach wie vor durch das syrische Regime befragt würden. Es sei bekannt, dass die syrischen Sicher­heits­dienste de facto im rechtsfreien Raum agierten und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwendeten. Dabei werde den Rückkehrern nicht nur vorgeworfen, Missstände in Syrien angeprangert und den syrischen Staat international in ein schlechtes Licht gerückt zu haben, sondern sie würden auch beschuldigt, dem als feindlich angesehenen Westen mögliche Argumente für ein diplomatisches oder gar militärisches Vorgehen gegen das Assad-Regime geliefert zu haben.

Obersten Repräsentanten des syrischen Unrechtsregimes fehlt es an jeglicher Glaubwürdigkeit

Auch wenn dem syrischen Staat bekannt sei, dass die übergroße Zahl der syrischen Asylbewerber vor den Gefahren des Bürgerkriegs nach Westeuropa geflohen sei, folge daraus nicht, dass Rückkehrern generell keine regime­feindliche Gesinnung unterstellt werde. Das verbale Bekenntnis des syrischen Staats­prä­si­denten vor der ausländischen Presse aus dem Jahr 2015, dass es sich bei der Mehrheit der Flüchtlinge um "gute Syrer und Patrioten" handele, führe ersichtlich nicht weiter. Es fehle dem obersten Repräsentanten des syrischen Unrechtsregimes, das massenhaft seine eigenen Staats­an­ge­hörigen unterdrücke, foltere und töte, bereits an jeglicher Glaubwürdigkeit. Daher vermöge sich das Gericht auch nicht der Begründung des Oberver­wal­tungs­ge­richts anzuschließen, die Annahme, das syrische Regime erkenne nicht, dass die Masse der Flüchtlinge vor dem Bürgerkrieg fliehe, hieße, ihm ohne greifbaren Anhalt Reali­täts­blindheit zu unterstellen.

Selbst Kindern drohen Verfol­gungs­maß­nahmen

Für die Annahme einer drohenden politischen Verfolgung spreche zudem die vom Assad-Regime wie auch von anderen Konflikt­parteien angewandte so genannte Reflex­ver­folgung, bei der ganze Familien, Stämme, religiöse und ethnische Gruppen sowie Städte und Dörfer zum Ziel von Vergel­tungs­ak­tionen würden. Auch minderjährige syrische Staats­an­ge­hörige, die selbst oder über ihre Eltern in Deutschland Asyl beantragt hätten, hätten im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien Verfolgung durch syrische Hoheitsträger zu befürchten. Kindern drohten Verfol­gungs­maß­nahmen, weil sie als Druckmittel gegen Eltern, Familien­an­ge­hörige oder Verwandte infrage kämen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermuteten Überzeugung im Visier des Assad-Regimes sein könnten. Zudem bestehe im Fall des Klägers zu 1. die beachtliche Wahrschein­lichkeit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, weil er sich durch seine unerlaubte Ausreise aus Syrien dem Militärdienst entzogen habe und deswegen als Regimegegner betrachtet werde.

Quelle: Verwaltungsgericht Münster/ra-online

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