18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen einen Schreibtisch mit einem Tablet, einer Kaffeetasse und einem Urteil.
ergänzende Informationen

Verwaltungsgericht Freiburg Urteil07.05.2008

Baden-Württemberg: Keine Befreiung von der Studiengebühr für zöliakiekranken StudentenBefreiung von Studiengebühren kann nur bei behinderungs­bedingtem erheblichen Zeitnachteil beim Studieren gewährt werden

Die Universtität Freiburg ist nicht verpflichtet, einen an Zöliakie erkrankten Studenten von der Studien­gebühren­pflicht zu befreien. Dies entschied das Verwal­tungs­gericht Freiburg.

Geklagt hatte ein Student, der an der chronischen Stoff­wech­se­l­er­krankung Zöliakie leidet. Diese Krankheit besteht in der Unver­träg­lichkeit des Klebe­r­ei­weiß­stoffs „Gluten“, das in zahlreichen Getreidesorten und Lebensmitteln sowie in Fertigprodukten in Form von Emulgatoren, Stabilisatoren u.sw. enthalten ist und massiv die Verdau­ung­s­tä­tigkeit des Erkrankten behindert und stört. Therapierbar ist die Erkrankung nicht. Ihre Folgen (Durchfall, Erbrechen, Gewichtsverlust, Lethargie etc.) können nur durch eine strenge glutenfreie Ernährung vermieden werden. Kartoffeln, Salate, Früchte, Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte können dabei verzehrt werden, wenn sie keine sonstigen glutenhaltigen Zusatzstoffe oder Zubereitungen aufweisen.

Student macht 150 Euro monatlichen Mehrbedarf und zeitlichen Mehraufwand für Ernährung geltend

Der Kläger hatte geltend gemacht, er habe einen erheblichen zeitlichen Nachteil beim Studieren, da er keine Mahlzeiten in der Mensa oder am Imbissstand zu sich nehmen könne, sondern gezwungen sei, sich jeden Abend zu Hause eine warme Mahlzeit selbst zuzubereiten und dazu täglich frische Zutaten einkaufen müsse. Außerdem müsse er zeitaufwendig seine glutenfreien Nahrungsmittel in verschiedenen Spezi­al­ge­schäften einkaufen und benötige auch sonst beim Einkaufen mehr Zeit durch Prüfung der Inhaltss­tof­f­angaben auf Glutenfreiheit. Schließlich habe er einen erhöhten Planungs- und Organi­sa­ti­o­ns­aufwand, da er seine gesamte Nahrungs­aufnahme am Tag immer streng an seiner Diät orientieren müsse. Hinzu kämen häufige Ausfallzeiten infolge unverschuldeter, nämlich trotz aller Sorgfalt unvermeidlicher Aufnahme von Spurenelementen von Gluten in der Nahrung. Schließlich habe er durch die glutenfreie Ernährung einen finanziellen Mehrbedarf von 150 Euro im Monat, den er durch Jobben neben dem Studium abdecken müsse.

Gericht: Befreiung setzt erhebliche studie­n­er­schwerende Auswirkung voraus

Das Gericht entschied nach ausführlicher Anhörung des Klägers, das Hochschul­ge­büh­ren­gesetz gewähre ein Befreiung nicht als Entschädigung für den zweifellos gegebenen Verlust an Lebensqualität, an dem jeder Behinderte leide, sondern setze eine „erhebliche studie­n­er­schwerende Auswirkung“ der hier unstreitig gegebenen Behinderung voraus. Daran fehle es aber im Fall des Klägers. Die Behinderung müsse sich zwar nicht „studi­en­zeit­ver­längernd“ auswirken. Vor dem Hintergrund aber, dass das Gesetz die Befreiung ggf. schon ab dem ersten Semester und ohne jede Abstufung im vollen Umfang der Studiengebühr von 500 Euro je Semester gewähre, und gemessen am Gewicht der sonstigen gesetzlichen Befrei­ung­s­tat­be­stände sei nur ein behin­de­rungs­be­dingter Zeitnachteil beim Studieren "erheblich", der mindestens mehrere Stunden am Tag umfasse, so wie etwa der Zeitaufwand für die Erziehung und Pflege eines bis zu 8 Jahre alten Kindes, für den Studierende von der Gebühr freigestellt würden.

Erheblicher Zeitnachteil von mehreren Stunden am Tag als Voraussetzung für Befreiung nicht erfüllt

Ein solcher Zeitnachteil liege beim Kläger eindeutig nicht vor. Der zeitliche Mehrbedarf für Einkauf von Lebensmitteln und die Zubereitung von Mahlzeiten betrage gegenüber einem durch­schnittlich gesunden Studierenden vielleicht ein halbe Stunde pro Tag. Glutenfreie Nahrungsmittel seien inzwischen auch in Supermärkten und Drogerien zunehmend erhältlich. Aufgrund entsprechender Listen glutenfreier Lebensmittel und der mehr als zweijährigen Erfahrung des Klägers mit der glutenfreien Diät sei auch der zusätzliche Zeitaufwand für die Auswahl an Lebensmitteln sehr begrenzt. Beim Einkaufen könne sich der Kläger Vorräte anlegen, tagsüber könne er sich aus mitgebrachten glutenfreien Nahrungsmitteln ernähren. Nur durch­schnittlich einmal im Monat komme es nach Angaben des Klägers zu einer Ausfallzeit infolge eines Diätfehlers. Der finanzielle Mehrbedarf belaufe sich nach den Sozia­l­leis­tungs­richt­sätzen auf eine Summe von knapp 70 Euro monatlich. Der Kläger jobbe ohnehin 9 Stunden pro Woche, um sein sonstiges Studentenleben zu finanzieren. Selbst wenn er einen Teil des damit erzielten Verdienstes für den Mehrbedarf aufwenden müsse, ergebe sich daraus allenfalls eine zeitliche Belastung von wöchentlich maximal 2 bis 3 Stunden.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des VG Freiburg vom 02.06.2008

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil6140

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI