23.11.2024
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Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil08.04.2015

Luft­fahrt­unter­nehmen hat Anspruch auf Auskunft über einem Mitbewerber eingeräumte Sonder­kon­di­tionen für Flugha­fen­nutzungGericht kann an vorläufige Qualifizierung der Sonder­kon­di­tionen als Beihilfe durch Europäische Kommission gebunden sein

Ein Luft­fahrt­unter­nehmen kann zur Vorbereitung eines auf Rückforderung unzulässiger Beihilfen gerichteten Anspruches gegen eine Flug­hafen­betreiberin von dieser Auskunft verlangen, welche (günstigeren) Sonder­kon­di­tionen einem anderen Luft­fahrt­unter­nehmen für die Nutzung des Flughafens eingeräumt worden sind. Unter bestimmten Voraussetzungen ist dabei ein nationales Gericht an die vorläufige Qualifizierung der Sonder­kon­di­tionen als Beihilfe durch die Europäische Kommission gebunden. Dies entschied das Schleswig-Holsteinische Oberlan­des­gericht.

Die Klägerin, ein Luftfahrt­un­ter­nehmen, klagt gegen die Stadt Lübeck unter anderem auf Auskunft darüber, welche Sonder­kon­di­tionen für die Nutzung des Flughafens einem Mitbewerber in den Jahren 2000 bis 2004 eingeräumt wurden. Die Klägerin meint, dass es sich insoweit um rechtswidrige staatliche Beihilfen handele. Das dem Auskunftsanspruch stattgebende erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Kiel änderte der Senat in einer ersten Entscheidung (Urteil vom 20. Mai 2008) und wies die Klage ab. Die Entscheidung stützte sich darauf, dass die von der Beklagten möglicherweise durch die Einräumung von Sonder­kon­di­tionen verletzte Bestimmung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV (Vertrag von Lissabon über die Arbeitsweise der Europäischen Union) nicht dem Schutz der Klägerin diene. Auf die durch den Senat zugelassene Revision hob der Bundes­ge­richtshof mit Urteil vom 10. Februar 2011 diese Entscheidung auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlan­des­gericht mit der Begründung zurück, dass entgegen der Auffassung des Senats Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV durchaus Schutzwirkung zu Gunsten der Klägerin zukomme.

Europäische Kommission erklärt selbstständige beihil­fe­rechtliche Würdigung des Oberlan­des­ge­richts für entbehrlich

Der mit der Frage nach einer unzulässigen Beihilfe befasste Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberlan­des­ge­richts hat eine Stellungnahme der Europäischen Kommission eingeholt. Diese hat unter Verweis auf die mit Beschluss vom 10. Juli 2007 erfolgte Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens mitgeteilt, dass die seinerzeit mit einem Mitbewerber getroffene Vereinbarung "prima facie" eine Beihilfe darstelle und deshalb "eine selbständige beihil­fe­rechtliche Würdigung" des Senats entbehrlich sei. Auf ein Vorab­ent­schei­dungs­er­suchen des Senats vom 14. Januar 2013 hat der Europäische Gerichtshof mit Beschluss vom 4. April 2014 unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung ausgeführt, dass die Wirksamkeit des Art. 108 AEUV Europäischen Union vereitelt würde, wenn die nationalen Gerichte die Ansicht vertreten dürften, dass eine Maßnahme mit Beihil­fe­e­le­menten, derentwegen die Europäische Kommission ein förmliches Prüfverfahren eröffnet habe, gleichwohl keine Beihilfe darstellen müsse.

OLG bejaht Anspruch auf Auskunft über eingeräumte Sonder­kon­di­tionen

Das Oberlan­des­gericht entschied letztlich, dass die Klägerin von der Beklagten zur Vorbereitung eines auf Rückforderung unzulässiger Beihilfen gerichteten Anspruches Auskunft über einem anderen Luftver­kehrs­un­ter­nehmen eingeräumte Sonder­kon­di­tionen verlangen kann. Gemäß Art. 108 Abs. 3 S.3 AEUV dürfen Mitgliedstaaten Beihil­fe­maß­nahmen nicht durchführen, wenn nicht die Kommission zuvor abschließend deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat. Nach dem bindendem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 4. April 2014 hat der Senat wegen der Eröff­nungs­ent­scheidung der Kommission vom 10. Juli 2007 bis zur ausstehenden endgültigen Entscheidung der Kommission davon auszugehen, dass es sich bei den einem Mitbewerber in den Jahren 2000 bis 2004 eingeräumten Sonder­kon­di­tionen um staatliche Beihilfen handelt. Dem steht der nur vorläufige Charakter der Kommis­si­ons­ent­scheidung bei zutreffender Auslegung des Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs nicht entgegen. Gegenteilige Auffassungen, die eine eigenständige Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe durch nationale Gerichte allgemein oder in bestimmten Fällen eröffnet sehen, teilt der Senat unter Hinweis auf die besondere Konstellation des Einzelfalles nicht. Eine Bindungswirkung entfällt auch nicht deshalb, weil der Europäische Gerichtshof mit der eingeforderten Bindung nationaler Gerichte an Eröff­nungs­ent­schei­dungen der Europäischen Kommission seine Kompetenzen überschritten hätte. Abgesehen davon, dass die Feststellung der Unanwendbarkeit eines vom Gerichtshof aufgestellten Rechts­grund­satzes wegen kompe­ten­z­widrigen Handels der Unionsgewalt allein dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht obliegt, sind Anhaltspunkte für eine nach den strengen Grundsätzen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts erforderliche offensichtliche, erhebliche Kompe­tenz­über­schreitung nicht gegeben. Der Senat hat demnach ohne weitere Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe davon auszugehen, dass die Beklagte mit der Gewährung der Sonder­kon­di­tionen die Vorschrift des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verletzte.

Quelle: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht/ra-online

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