21.11.2024
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Sozialgericht Stuttgart Urteil20.07.2018

Kein Versi­che­rungs­schutz für Unfall bei Unterbrechung des Arbeitswegs zum Betanken des FahrzeugsAuftanken eines Fahrzeugs ist als Vorbereitungs­handlung einer versicherten Tätigkeit dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzuordnen

Unterbricht ein Beschäftigter auf der Fahrt von seiner Arbeitsstelle zu seiner Wohnung seine Heimfahrt, indem er zum Tanken seines Fahrzeugs (hier Mofa) eine Tankstelle anfährt und auf dem Tankstel­len­gelände von einem anderen Fahrzeug gerammt und dadurch verletzt wird, so ist der Versicherte bei diesem Ereignis keiner versicherten Tätigkeit nachgegangen, die dem Versi­che­rungs­schutz der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung unterliegt.

Der Kläger des zugrunde liegenden Falls hatte auf der Fahrt von seiner Arbeitsstelle zu seiner Wohnung seine Heimfahrt unterbrochen, indem er zum Tanken seines Mofas eine Tankstelle angefahren hatte. Auf dem Tankstel­len­gelände wurde er von einem anderen Fahrzeug gerammt. Hierbei zog er sich eine Prellung der Wirbelsäule zu.

Vorbe­rei­tungs­hand­lungen sind trotz ihrer Betrie­bs­dien­lichkeit grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen

Seine auf Feststellung des Unfal­le­r­eig­nisses als Arbeitsunfall gerichtete Klage wies das Sozialgericht Stuttgart ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass das Zurücklegen von Wegen stellt nach der Rechtsprechung des Bundes­so­zi­al­ge­richts und der Instanzgerichte regelmäßig nicht die Ausübung der versicherten Tätigkeit selbst dar, sondern ist eine der versicherten Tätigkeit vor oder nachgelagerte Tätigkeit, die zu der eigentlichen Tätigkeit, weswegen das Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis eingegangen wurde, in einer mehr oder weniger engen Beziehung steht. Allgemeine Maßnahmen zur Aufrecht­er­haltung oder Wieder­her­stellung der Betrie­bs­fä­higkeit eines Fahrzeugs, wenn dieses wie hier kein Arbeitsgerät im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII ist, sind als Vorbe­rei­tungs­hand­lungen unversichert. Dies gilt für das Tanken, Inspektionen und Reparaturen, auch wenn sie letztlich mit einer auf die grundsätzlich versicherte Tätigkeit bezogenen Handlungs­tendenz unternommen werden (BSG Urteil vom 04.09.2007, B 2 U 24/06 R). Als Vorbe­rei­tungs­hand­lungen in diesem Sinne werden solche Verrichtungen bezeichnet, die der eigentlichen versicherten Tätigkeit vorangehen oder auch, wie hier, nachfolgen oder ihre Durchführung erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen (beispielsweise die Nahrungs­aufnahme, das Ankleiden, die Wartung und das Betanken des eigenen Pkw oder der Kauf einer Bahnfahrkarte für den Weg zur oder von der Arbeit nach Hause, eine Erkun­di­gungsfahrt zur neuen Arbeitsstelle) oder die Beseitigung von Hindernissen beim Zurücklegen des Arbeitsweges (Schnee schaufeln zur Freilegung der Garagenausfahrt, Befreiung der Windschutz­scheibe von Eis) . Dabei sind Vorbe­rei­tungs­hand­lungen trotz ihrer Betrie­bs­dien­lichkeit grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen und Versi­che­rungs­schutz besteht nur ausnahmsweise, wenn diese Tätigkeiten einen besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit aufweisen (BSG Urteil vom 28.04.2004, B 2 U 26/03 R). Nach den Regelungen in § 8 Abs. 1 und 2 SGB VII ist der Versi­che­rungs­schutz für vorbereitende Tätigkeiten grundsätzlich auf diejenigen Verrichtungen beschränkt, die das Gesetz selbst ausdrücklich nennt, und dass Ausnahmen hiervon nur in Betracht kommen, wenn die Vorbe­rei­tungs­handlung mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit oder der kraft Gesetzes versicherten Vorbe­rei­tungs­handlung (Wegezu­rü­ck­legung wie hier) so eng verbunden ist, dass beide bei natürlicher Betrach­tungsweise eine Einheit bilden. Maßgeblich ist dabei die Handlungs­tendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (Urteil des Landes­so­zi­al­ge­richts Berlin-Brandenburg vom 12.12.2014, L 3 U 196/13). So ist bei Maßnahmen zur Behebung einer während eines versicherten Weges auftretenden Störung ein Fortbestehen des Versi­che­rungs­schutzes nur zu bejahen, wenn kein Zurücklegen des restlichen Weges ohne Behebung der Störung in angemessener Zeit auf andere Weise (z. B. zu Fuß) möglich ist, die Wieder­her­stellung der Betrie­bs­fä­higkeit nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Missverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen steht und der Versicherte sich auf Maßnahmen beschränkt, die zur Fortsetzung des Weges notwendig sind.

Lediglich für unvor­her­ge­sehenes Auftankenmüssen eines Fahrzeuges könne Unfall­ver­si­che­rungs­schutz bestehen

Danach ist das Auftanken eines zur Fahrt nach oder von dem Ort der Tätigkeit benutzten Fahrzeuges grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen. So handelt es sich um eine Verrichtung, die zwar üblicherweise der Aufnahme der Betrie­b­s­tä­tigkeit vorangeht oder wie hier folgt, der Betriebsarbeit aber zu fernsteht, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich des Beschäftigten entzogen und der unter Versi­che­rungs­schutz stehenden betrieblichen Sphäre, die in § 8 Ab. 2 Nr. 1 SGB VII auf die Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit ausgedehnt wird, zuzurechnen wäre. Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn das Nachtanken während der Fahrt unvorhergesehen notwendig wird, damit der restliche Weg zurückgelegt werden kann. Unter Beachtung der restriktiven Auslegung des Umfangs des Versi­che­rungs­schutzes bei Vorbe­rei­tungs­hand­lungen ist von einem unvor­her­ge­sehenen Auftankenmüssen eines Fahrzeuges nur dann auszugehen, wenn der Treibstoff für das benutzte Fahrzeug plötzlich aus Umständen, die der Versicherte nicht zu vertreten hat, für ihn vollkommen unerwartet zur Neige geht, etwa weil wegen einer Verkehr­s­um­leitung oder eines Staus der Kraft­stoff­ver­brauch so stark ansteigt, dass der Versicherte ohne ein Nachtanken die Arbeitsstelle bzw. hier seine Wohnung nicht mehr erreichen kann (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.11.2011, L 3 U 7/09).

SG verneint Vorliegen eines Arbeitsunfalls

Das Sozialgericht hat sich dieser Rechtsprechung nach eigener Prüfung angeschlossen und ausgeführt, dass schon nicht angenommen werden könne, dass der Kläger den restlichen Heimweg, auch bei leerem Tank und stehen­ge­bliebenem Mofa, nicht hätte in angemessener Zeit auf andere Weise, z. B. zu Fuß und das Mofa schiebend, zurücklegen können. Dies ergebe sich bereits aus der Entfernung zwischen der Arbeitsstelle des Klägers und seiner Wohnung (drei Kilometer), die auch zu Fuß in angemessener Zeit zurückzulegen sei. Darüber hinaus sei auch nicht nachgewiesen und ersichtlich, dass der Kläger mit der Benzinreserve im Tank seines Mofas, wobei die Reserveanzeige nach den eigenen Angaben des Klägers erst bei Verlassen des Firmengeländes aufgeleuchtet habe, seinen Heimweg nicht hätte bis zu seiner Wohnung zurücklegen können. Das Gericht gehe auch nicht davon aus, dass das Aufleuchten der Tankanzeige für den Kläger unvorhersehbar gewesen sei, weil er gewusst haben müsse, wann er sein Mofa zuletzt betankt und wie viele Kilometer er seither mit diesem zurückgelegt habe.

Quelle: Sozialgericht Stuttgart/ra-online

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