23.11.2024
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Sozialgericht Karlsruhe Urteil30.03.2016

Trinkgeld einer Friseurin darf nicht auf Hartz IV-Leistungen angerechnet werdenGeben von Trinkgeld stellt freiwillige Leistung dar und beruht nicht auf rechtlicher oder sittlicher Verpflichtung

Das Sozialgericht Karlsruhe hat entschieden, dass Trink­geld­ein­nahmen von Hartz IV-Leistungs­be­ziehern grundsätzlich nicht als Einkommen anzurechnen sind.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist allein­er­ziehende Mutter und in Teilzeit als Friseurin beschäftigt. Aus ihrer Tätigkeit erzielte sie zuletzt bei einer monatlichen Arbeitszeit von 60 Stunden einen Brutto­a­r­beitslohn von 540 Euro. Nachdem die Klägerin Nachfragen des Jobcenters nach ihren Trink­geld­ein­nahmen nicht beantwortet hatte, ging das Jobcenter von einem geschätzten durch­schnitt­lichen Zusatzverdienst von 60 Euro durch Trinkgeld aus. Bei 60 Arbeitsstunden pro Monat und geschätzt einem Kunden pro Arbeitsstunde und 1 Euro Trinkgeld pro Kunde sei es realistisch, bei der Klägerin ein monatliches Trinkgeld von 60 Euro anzunehmen. Ausgehend von 600 Euro Bruttoverdienst rechnete das Jobcenter deswegen 300 Euro monatliches Einkommen an (nach den gesetzlichen Vorschriften waren insgesamt 300 Euro als Grundfreibetrag, als Abzug für Sozia­l­ver­si­che­rungs­beiträge sowie als zusätzlicher Erwer­b­s­tä­ti­gen­frei­betrag vom anrechenbaren Einkommen abzuziehen). Im Klageverfahren hat die Klägerin bestritten, regelmäßig 60 Euro Trinkgeld je Monat eingenommen zu haben. Sie habe eine neue Stelle angetreten und daher wenig Stammkunden gehabt. An manchen Tagen habe sie kein Trinkgeld, an anderen 2 Euro oder 2,50 Euro Trinkgeld erzielt, welche sie jeweils noch am selben Tag für das Mittagessen ausgegeben habe.

Trink­geld­ein­nahmen sind grundsätzlich nicht anzurechnen

Das Sozialgericht Karlsruhe hat entschieden, dass Trink­geld­ein­nahmen von Hartz IV-Leistungs­be­ziehern grundsätzlich nicht anzurechnen sind. Es konnte daher offengelassen werden, ob das Jobcenter überhaupt berechtigt war, eine Schätzung von Trink­geld­ein­nahmen vorzunehmen. Das Geben von Trinkgeld beruht nicht auf einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung, sondern stellt eine freiwillige Leistung dar, die eine besonders gelungene Dienstleistung honorieren und dem Dienst­leis­tenden selbst zukommen soll. Wüsste der Kunde, dass das Trinkgeld im Ergebnis die Situation des Dienst­leis­tenden nicht verbessert, weil sich im selben Umfang die Leistungen des Jobcenters vermindern, würde kaum noch Trinkgeld an die Betroffenen gezahlt werden. Dies wäre nicht nur ungerecht im Vergleich zu den Kollegen, die mehr verdienen und zusätzlich ihr Trinkgeld behalten dürfen, sondern auch schädlich für die Motivation der betroffenen SGB II-Leistungs­be­zieher und ihre Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Wegen Vorliegens einer unzumutbaren Härte hat daher die Anrechnung zu unterbleiben, sofern das Trinkgeld ca. 10 % der gewährten Hartz IV-Leistungen oder einen monatlichen Betrag von 60 Euro nicht übersteigt.

§ 11 a Sozial­ge­setzbuch Zweites Buch - SGB II - Nicht zu berück­sich­ti­gendes Einkommen:

(5) Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit

1. ihre Berück­sich­tigung für die Leistungs­be­rech­tigten grob unbillig wäre oder

2. sie die Lage der Leistungs­be­rech­tigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

Quelle: Sozialgericht Karlsruhe/ra-online

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