21.11.2024
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Sozialgericht Heilbronn Urteil06.04.2018

Evangelische Freikirche muss rund 180.000 Euro Versicherungs­beiträge ausgeschiedene Mitglieder nachzahlenNach­versicherungs­beiträge noch nicht verjährt

Das Sozialgericht Heilbronn hat entschieden, dass eine Evangelische Freikirche rund 180.000 Euro Nach­versicherungs­beiträge für ein aus ihrer Glaubens­gemeinschaft ausgeschiedenes Ehepaar zahlen muss.

Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist eine evangelische Freikirche pfingstlicher Prägung. Ihr Hauptziel ist nach eigenen Angaben die Mitarbeit am Aufbau der weltweiten Gemeinde Jesu Christi auf Erden. Organisiert ist sie als eingetragener Verein (e. V.), welcher mehrere Glaubenshäuser und eine hiermit verbundene Missionsschule betreibt. Die Beigeladenen, der im Oktober 1952 geborene A und seine heutige Ehefrau, die im September 1953 geborene B, wurden im September 1967 bzw. Februar 1972 in verschiedene Glaubenshäuser der Klägerin aufgenommen. A absolvierte sodann eine Ausbildung als Landwirt­schafts­gehilfe, B zur Hauswirt­schafterin. Bis zu ihrem Ausscheiden im März 2013 waren beide unentgeltlich in verschiedenen Missionshäusern der Klägerin tätig. Als A und B nunmehr ihren Versi­che­rungs­verlauf vom Renten­ver­si­che­rungs­träger feststellen lassen wollten (sogenannte "Kontenklärung"), fiel auf, dass die Klägerin für beide (wie für andere Mitglieder auch) keine Renten­ver­si­che­rungs­beiträge entrichtet hatte - weder vor noch nach deren Ausscheiden. Daraufhin forderte der Renten­ver­si­che­rungs­träger die Klägerin in diversen Fällen - u.a. auch für A und B im November 2014 - zur Zahlung von Nachver­si­che­rungs­bei­trägen auf.

Klägerin beruft sich auf Ausnah­me­vor­schrift im Sozial­ge­setzbuch

Mit ihren hiergegen gerichteten Klagen machte die Klägerin geltend, dass sie zurecht - aufgrund einer Ausnah­me­vor­schrift im Sozial­ge­setzbuch - keine Renten­ver­si­che­rungs­beiträge entrichtet habe. Ihre Mitglieder hätten im Alter Anspruch auf eine in der "Glaubens­ge­mein­schaft übliche Versorgung". Dies gelte auch für zwischen­zeitlich ausgeschiedene Mitglieder. Im Notfall könnten diese wieder aufgenommen werden. Darüber hinaus hätten seinerzeit keine Beschäf­ti­gungs­ver­hältnisse bestanden, weil A und B für ihre Tätigkeit in der Glaubensgemeinschaft keinerlei Entgelt erhalten und dies auch nicht erwartet hätten. Die Beigeladenen seien auch keine Vereins­mit­glieder gewesen. Schließlich seien etwaige Beitrags­ansprüche nach 30 Jahren verjährt.

Renten­ver­si­che­rungs­träger hält Berufen auf Verjährung für rechts­miss­bräuchlich

Dem entgegnet der beklagte Renten­ver­si­che­rungs­träger, dass es rechts­miss­bräuchlich sei, sich auf Verjährung zu berufen. So habe er von dem möglichen Nachver­si­che­rungsfall erstmals mit dem Antrag auf Kontenklärung im Februar 2014 erfahren, weil die Klägerin ihm seinerzeit das Ausscheiden der Betroffenen nicht mitgeteilt habe.

Beigeladene halten Rückkehr in Gemeinschaft für ausgeschlossen

Beigelandene halten Rückkehr in Gemeinschaft für ausgeschlossen

Die Beigeladenen haben in der mündlichen Verhandlung vom 6. April 2018 berichtet, dass das Leben in den Missionshäusern von beständigen Einschüch­te­rungen, Drohungen und Zwang geprägt gewesen sei; eine Rückkehr in die Gemeinschaft sei für sie beide völlig ausgeschlossen.

SG verneint Verjährung von Nachver­si­che­rungs­bei­trägen und weist Klage ab

Das Sozialgericht Heilbronn wies die Klagen ab. Die Klägerin sei zur Nachentrichtung von Renten­ver­si­che­rungs­bei­trägen in Höhe von knapp 180.000 Euro verpflichtet, weil die Beigeladenen seinerzeit der Glaubens­ge­mein­schaft angehört hätten und unversorgt ausgeschieden seien. Die Mitgliedschaft in der geistlichen Genossenschaft bzw. Gemeinschaft bei der Klägerin habe mit der Aufnahme in ein Glaubenshaus begonnen und mit dem Ausscheiden aus einem solchen geendet. Darauf, ob hier ein Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis bestanden habe, komme es daher ebenso wenig wie auf eine Vereins­mit­glied­schaft an. Zwar habe die Klägerin den Beigeladenen angeboten, in die Gemeinschaft zurückzukehren und dann im Alter versorgt und betreut zu werden. Ein solches "Rückkehrangebot" sei aber nicht ausreichend. Die Nachver­si­che­rungs­beiträge seien auch nicht verjährt. Denn die 4-jährige Verjäh­rungsfrist habe nicht vor Fälligkeit, hier mit dem Eintritt des Nachver­si­che­rungsfalls bzw. dem unversorgten Ausscheiden aus der Glaubens­ge­mein­schaft der Klägerin im März 2013, begonnen und sei bei Erlass der Bescheide im November 2014 noch nicht abgelaufen gewesen.

Auch SG hält Berufen auf Verjährung für rechts­miss­bräuchlich

Im Übrigen sei es auch rechts­miss­bräuchlich, wenn sich die Klägerin auf Verjährung berufe. Denn anders als in dem seinerzeit vom Landes­so­zi­al­gericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 21. Juni 2016 (L 11 R 2289/15) entschiedenen Fall sei allein das Unterlassen der Klägerin ursächlich dafür, dass eine Nachver­si­cherung unterblieben sei. So habe die hier beklagte Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover erstmals mit dem Antrag der Beigeladenen auf Kontenklärung im Februar 2014 vom maßgeblichen Sachverhalt erfahren, aus dem sich eine Nachver­si­che­rungs­pflicht ergebe.

Hinweis zur (der Einfachheit halber: heutigen) Rechtslage:

§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sechstes Buch Sozial­ge­setzbuch [SGB VI] - Auszug -:

Versi­che­rungsfrei sind satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genos­sen­schaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften, wenn ihnen nach den Regeln der Gemeinschaft Anwartschaft auf die in der Gemeinschaft übliche Versorgung bei verminderter Erwer­bs­fä­higkeit und im Alter gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist, in dieser Beschäftigung [...].

§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI - Auszug -:

Nachversichert werden Personen, die als satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genos­sen­schaften, Diakonissen oder Angehörige ähnlicher Gemeinschaften [...] versi­che­rungsfrei waren [...], wenn sie ohne Anspruch oder Anwartschaft auf Versorgung aus der Beschäftigung ausgeschieden sind [...]. Die Nachver­si­cherung erstreckt sich auf den Zeitraum, in dem die Versi­che­rungs­freiheit [...] vorgelegen hat (Nachver­si­che­rungs­zeitraum).

§ 25 Viertes Buch Sozial­ge­setzbuch - Auszug -

(1) 1 Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. 2Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. [...]

Quelle: Sozialgericht Heilbronn/ra-online

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