03.12.2024
03.12.2024  
Sie sehen die Außenfassade einer Niederlassung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Bundesadler und passendem Schriftzug der Behörde.
ergänzende Informationen

Sozialgericht Frankfurt am Main Beschluss10.09.2013

Leistungen nach dem Asyl­bewerber­leistungs­gesetz dürfen auch bei Fehlverhalten nicht gekürzt werdenVom Bundes­verfassungs­gericht festgelegte Mindestbeträge zur Sicherung des menschen­würdigen Existenz­mi­nimums dürften nicht unterschritten werden.

Die Auslän­der­behörde ist auch bei einem Fehlverhalten des Leistungs­emp­fängers nicht dazu berechtigt, Leistungen nach dem Asyl­bewerber­leistungs­gesetz auf einen Betrag zu kürzen, der lediglich das physische Existenzminimum sichert.

Im zugrunde liegenden Fall reiste der 42-jährige Antragsteller, der nach eigenen Angaben aus Indien stammt, im Jahr 2003 ohne gültigen Pass in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein von ihm gestellter Asylantrag wurde abgelehnt. Aufgrund seiner Passlosigkeit kann er nicht abgeschoben werden und ist deshalb im Besitz einer Duldung nach dem Aufent­halts­gesetz.

Behörde kürzt Leistungen auf monatlichen Betrag zur Sicherung des physischen Existenz­mi­nimums

Die Ausländerbehörde kürzte die dem Antragsteller gewährten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, das auch auf nur geduldete Ausländer Anwendung findet. Zur Begründung der seit August 2012 erfolgenden Leistungskürzung wurde angeführt, dass der Antragsteller pflichtwidrig nicht an der Aufklärung seiner Identität und Herkunft mitwirke. Aufgrund der Kürzung erhält der Antragsteller seitdem nur noch einen Betrag von 217 Euro monatlich zur Sicherung des physischen Existenz­mi­nimums, nicht jedoch den sonst daneben zu zahlenden so genannten Barbetrag in Höhe von 137 Euro monatlich.

Leistungs­kürzung verstößt gegen Menschenwürde

Das Sozialgericht hat dem gegen die Leistungs­kürzung erhobenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stattgegeben. Die Auslän­der­behörde sei zur Leistungs­kürzung nicht berechtigt. Dies folge aus dem Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts zum Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz vom 18. Juli 2012. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht beziehe das menschenwürdige Existenzminimum sowohl auf die Sicherstellung der physischen Existenz als auch auf die Möglichkeit zur Pflege zwischen­mensch­licher Beziehungen und zur Teilhabe am gesell­schaft­lichen Leben (sozio­kul­tu­relles Existenzminimum). Die durch das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hierbei bestimmten Mindestbeträge zur Sicherung des menschen­würdigen Existenz­mi­nimums dürften in keinem Fall unterschritten werden. Daher komme es nicht darauf an, ob dem Antragsteller ein Fehlverhalten vorzuwerfen sei oder nicht. Indem die Behörde dem Antragsteller den so genannten Barbetrag vorenthalte, der zur Sicherung des sozio­kul­tu­rellen Existenz­mi­nimums diene, verstoße sie gegen die Vorgaben des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts. Dies gelte zumindest bis zur Schaffung einer gesetzlichen Neuregelung der Leistungs­beträge, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht dem Gesetzgeber aufgegeben habe.

Hinweise zur Rechtslage:

§ 1 a Asylbe­wer­ber­leis­tungs­gesetz (Anspruch­s­ein­schränkung)

Leistungs­be­rechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 und ihre Familien­an­ge­hörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6,

1. die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, oder

2. bei denen aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufent­halts­be­endende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.

Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 18. Juli 2012

Leitsatz 2:

"Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozial­staats­prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschen­würdigen Existenz­mi­nimums. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischen­mensch­licher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesell­schaft­lichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staats­an­ge­hörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu." (Leitsatz 2)

Quelle: Sozialgericht Frankfurt am Main/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss17099

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI