14.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil24.09.2018

Erkennungs­dienstliche Behandlung kann bei bestehendem Restverdacht auch im Falle der Verfahrens­einstellung zulässig seinErkennungs­dienstliche Behandlung bei zukünftig nicht zu erwartenden verwertbaren Ermittlungs­erkenntnissen jedoch unzulässig

Das Ober­verwaltungs­gericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die erkennungs­dienstliche Behandlung eines Beschuldigten durch Aufnahme von Lichtbildern, Fingerabdrücke und ähnliche Maßnahmen auch im Falle einer Einstellung des staats­anwalt­schaftlichen Ermittlungs­verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts zulässig sein kann, wenn ein sogenannter Restverdacht fortbesteht. Sie ist jedoch nicht notwendig und daher unzulässig, wenn die erkennungs­dienstlichen Unterlagen zur Förderung künftiger Ermittlungen nicht geeignet sind, wovon bei etwaigen künftigen gleich­ge­la­gerten Straftaten im rein privaten Raum auszugehen ist.

Sachverhalt im Verfahren 7 A 10084/18.OVG

Im ersten Fall wurden gegen den Kläger im Zeitraum von 2011 bis 2017 vier strafrechtliche Ermitt­lungs­ver­fahren wegen des Vorwurfs von Sexual­straftaten geführt, die alle mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 Straf­pro­zess­ordnung (StPO) eingestellt wurden. Gegen die polizeiliche Anordnung seiner erken­nungs­dienst­lichen Behandlung erhob der Kläger Klage, der das Veral­tungs­gericht Neustadt an der Weinstraße stattgab. Auf die Berufung des beklagten Landes wies das Oberver­wal­tungs­gericht Rheinland-Pfalz hingegen die Klage ab.

Verfah­ren­s­ein­stellung mangels hinreichenden Tatverdachts lässt Notwendigkeit einer erken­nungs­dienst­lichen Behandlung nicht zwangsläufig entfallen

Zur Begründung führte das Gericht aus, die angeordnete erken­nungs­dienstliche Behandlung sei rechtmäßig. Erken­nungs­dienstliche Maßnahmen dürften vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erken­nungs­dienstes notwendig sei. Die Notwendigkeit bemesse sich danach, ob der festgestellte Sachverhalt nach krimi­na­lis­tischer Erfahrung Anhaltspunkte für die Annahme biete, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erken­nungs­dienst­lichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten. Insoweit bedürfe es keiner straf­ge­richt­lichen Verurteilung, um ein strafrechtlich erhebliches Verhalten bei der zu erstellenden Gefah­ren­prognose als Anlasstat zu berücksichtigen. Auch eine Verfah­ren­s­ein­stellung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts lasse die Notwendigkeit einer erken­nungs­dienst­lichen Behandlung nicht zwangsläufig entfallen, sondern nur dann, wenn die Verdachts­momente gegen den Betroffenen vollständig ausgeräumt seien oder der festgestellte Sachverhalt keinen Straftatbestand erfülle. Sei der Tatverdacht hingegen nicht völlig ausgeräumt, sondern bestehe ein Restverdacht hinsichtlich der Anlasstat fort, so könne eine erken­nungs­dienstliche Behandlung des Beschuldigten notwendig sein. Dies sei hier der Fall. Die staats­an­walt­schaft­lichen Einstellungen beruhten darauf, dass der Tatverdacht nicht zu einem hinreichenden Tatverdacht, der eine Verurteilung als wahrscheinlich ansehen lasse, habe erhärtet werden können. Sie seien jedoch nicht geeignet, von einem vollständig ausgeräumten Restverdacht auszugehen. So habe die Staats­an­walt­schaft in einer der Einstel­lungs­ver­fü­gungen selbst ausgeführt, dass die Einstellung nicht bedeute, dass die Unschuld des Klägers bewiesen und die Belas­tungs­zeugin der Lüge überführt wäre. Damit sei die Staats­an­walt­schaft selbst von einem fortbestehenden Restverdacht ausgegangen. Die angeordnete erken­nungs­dienstliche Behandlung erweise sich auch unter dem Gesichtspunkt der Wieder­ho­lungs­gefahr als notwendig. Sowohl die dem Kläger zur Last gelegten Sexual­straftaten, bei denen statistisch betrachtet regelmäßig eine höhere Rückfallgefahr bestehe, als auch seine Persönlichkeit rechtfertigten die Annahme, er könne in Zukunft als Beschuldigter einer Sexualstraftat in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einbezogen werden.

Sachverhalt im Verfahren 7 A 10256/18.OVG

Im zweiten Fall wurde der Kläger wegen gefährlicher Körper­ver­letzung rechtskräftig verurteilt, weil er nach den Feststellungen des Strafurteils sein zwei Monate altes Kind aus Verärgerung über dessen fortwährendes Schreien oder aus Überforderung so lange und intensiv geschüttelt hatte, dass es eine lebens­be­drohliche Gehirnblutung erlitt. Gegen die polizeiliche Anordnung seiner erken­nungs­dienst­lichen Behandlung erhob dieser Kläger ebenfalls Klage, der das Verwal­tungs­gericht Neustadt an der Weinstraße stattgab. Das Oberver­wal­tungs­gericht Rheinland-Pfalz bestätigte diese Entscheidung und wies die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten zurück.

Erken­nungs­dienstliche Behandlung aufgrund der Sachlage nicht notwendig und unzulässig

Die Anordnung der erken­nungs­dienst­lichen Behandlung sei rechtswidrig. Die erken­nungs­dienstliche Behandlung sei nicht notwendig, weil die Annahme, die erken­nungs­dienst­lichen Unterlagen könnten künftig gegen den Kläger zu führende Ermittlungen fördern, nicht vertretbar sei. Die Eignung erken­nungs­dienst­licher Unterlagen zur Förderung künftiger Ermittlungen scheide in der Regel aus, wenn davon auszugehen sei, dass der Betroffene zwar erneut strafrechtlich in Erscheinung treten werde, aber auch ohne die gewonnenen Erkenntnisse ohne weiteres als potentieller Täter in Betracht gezogen werde. Hiervon sei im vorliegenden Fall im Hinblick auf etwaige zukünftige gleichgelagerte Straftaten im rein privaten Raum auszugehen. Für die Annahme, dass der Kläger zukünftig gleichgelagerte Straftaten in der Öffentlichkeit - etwa ein mit Gewaltanwendung einhergehender Kontrollverlust bei einem Einkauf im Supermarkt - begehen könnte, deren Ermittlung durch erken­nungs­dienstliche Unterlagen gefördert werden könnte, fehlten hinreichende Anhaltspunkte.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz/ra-online

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