21.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Urteil14.09.2016

"Gorch Fock"-Unglück: Eltern von Jenny Böken erhalten keine EntschädigungUnauf­klär­barkeit des Sachverhalts geht zu Lasten der klagenden Eltern

Das Ober­verwaltungs­gericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass die Eltern der auf der Fahrt der "Gorch Fock" über Bord gegangenen und später tot geborgenen Jenny Böken wegen deren Todes keine Entschädigung von der Bundesrepublik Deutschland verlangen können.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Jenny Böken wurde nach ihrem Abitur im Sommer 2008 als Anwärterin für die Laufbahn der Offiziere des Sanitäts­dienstes als Soldatin auf Zeit bei der Bundeswehr eingestellt. Sie wollte Medizin studieren und anschließend als Ärztin im Dienste der Bundeswehr tätig sein. Zur Ausbildung gehörte ein mehrwöchiger Aufenthalt auf der "Gorch Fock", dem Segel­schul­schiff der Bundeswehr. In der Nacht vom 3. auf den 4. September 2008 nahm Jenny Böken den Wachdienst vorn auf dem Oberdeck des Schiffes, der sog. Back, wahr. Kurz vor Mitternacht fiel sie an der Steuerbordseite des Schiffes über Bord, eingeleitete Rettungs­ak­tionen verliefen erfolglos.

Besondere Sicherung des Postens gegen Überbordgehen war nicht erforderlich

Mit dem Berufungsurteil hat das Oberver­wal­tungs­gericht die vorhergehende Entscheidung des Verwal­tungs­ge­richts Aachen vom 22. Oktober 2014 im Ergebnis bestätigt. Zur Begründung führte das Gerichts aus, dass die einmalige Entschädigung nach § 63 a Solda­ten­ver­sor­gungs­gesetz voraussetze, dass ein Soldat sich bei Ausübung einer Diensthandlung einer damit verbundenen besonderen Lebensgefahr ausgesetzt habe und infolge dieser Gefährdung einen Unfall erlitten habe, an dessen Folgen er verstorben sei. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Der von Jenny Böken wahrgenommene Wachdienst als Posten Ausguck sei nach den in der Unglücksnacht gegebenen objektiven Umständen nicht lebens­ge­fährlich gewesen. Insoweit sei darauf abzustellen, welche Tätigkeiten die vorzunehmende Diensthandlung erfordere. Aufgrund der Angaben vom Gericht vernommener Zeugen wie auch des Inhalts der Akten stehe fest, dass es zur Dienst­ver­richtung insbesondere nicht erforderlich gewesen sei, an die Schiffsreling heranzutreten oder sich gar darüber zu beugen. Dies gelte vor allem für den Bereich der von dem Wachposten zu kontrol­lie­renden Positionslampen wie auch für den Bereich der sogenannten Königspoller im Bugbereich, an dem die Bordwand besonders niedrig ist. Eine besondere Sicherung des Postens Ausguck gegen ein Überbordgehen oder das Tragen einer Schwimmweste seien während des Wachdienstes von Jenny Böken entsprechend den Marine­dienst­vor­schriften nicht erforderlich gewesen. Ein Überbordgehen des Postens Ausguck sei in der maßgeblichen Nacht und bis zum Zeitpunkt des Überbordgehens nicht zu befürchten gewesen, da das ca. 80 m lange Schiff angesichts der konkreten Umstände sehr ruhig und stabil in der See gelegen habe: Das Schiff habe sich, einen achterlichen steifen Wind nutzend, bei einer Wellenhöhe von etwa 1,5 Metern auf einem gleich­blei­benden Kurs befunden. Dies alles habe lediglich zu einer leichten Krängung – also zu einer seitlichen Neigung – des Schiffes um etwa 3 bis 5 Grad nach Backbord geführt, nicht aber zu einem "Stampfen" (Schaukeln des Schiffes um seine Querachse) oder "Rollen" (Schaukeln des Schiffes um seine Längsachse).

Verunglückte war nicht aufgrund gesund­heit­licher Einschränkungen generell borddienst­ver­wen­dungsfähig

Auf subjektive, nur in der Person von Jenny Böken liegende Umstände, insbesondere etwaige Erkrankungen komme es für die Beurteilung, ob eine besondere Lebensgefahr vorgelegen habe, nicht an, weil insofern nur auf die Diensthandlung abzustellen sei. Dafür sprächen Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Vorschrift. Selbst wenn solche Umstände grundsätzlich aber zu berücksichtigen sein sollten, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn im konkreten Fall hätten solche Umstände nicht vorgelegen. Insbesondere habe sich nicht feststellen lassen, dass Jenny Böken auf Grund gesund­heit­licher Einschränkungen generell nicht borddienst­ver­wen­dungsfähig gewesen sei und deshalb auf der "Gorch Fock" überhaupt keinen Dienst hätte verrichten dürfen. Bei der Einstel­lungs­un­ter­suchung Anfang Juli 2008 zu Tage getretene gesundheitliche Bedenken im gynäkologischen Bereich hätten nach Rücksprache mit dem behandelnden Gynäkologen am Heimatort nachvollziehbar ausgeräumt werden können. Etwaige andere gesundheitliche Einschränkungen beträfen möglicherweise die Verwendung von Jenny Böken im Sanitätsdienst der Marine, nicht jedoch ihre allgemeine Borddienst­ver­wen­dungs­fä­higkeit. Dies sei aber unerheblich, da sich mit dem Unglück ein dem allgemeinen Borddienst und nicht spezifisch dem Sanitätsdienst zuzurechnendes Risiko realisiert habe. Auch habe sich nicht feststellen lassen, dass ihr häufiges Einschlafen Krankheitswert gehabt und deshalb zur Dienst­un­fä­higkeit geführt habe. Am Unglückstag selbst habe sie auch nicht mehr wie noch an den beiden Tagen zuvor über Unter­leibs­schmerzen geklagt. Vielmehr habe sie den Wachposten Ausguck freiwillig im Tausch mit einer erkrankten Kameradin übernommen.

Unfallhergang bleibt ungeklärt

Darüber hinaus könne die Klage aber auch dann keinen Erfolg haben, wenn eine besondere Lebensgefahr auf Grund objektiver oder subjektiver Umstände anzunehmen sein sollte. Das Unglück sei von niemandem beobachtet worden. Es hätten sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Jenny Böken gerade infolge von Umständen, die ggf. eine besondere Lebensgefahr begründeten, über Bord gegangen sei. Es sei möglich und nicht lediglich entfernt anzunehmen, dass sie infolge anderer Umstände verunglückt sei. Insoweit sei insbesondere auch eigene Unvor­sich­tigkeit z.B. im Bereich der Königspoller oder der Positionslampen in Betracht zu ziehen. Die Unauf­klär­barkeit des Kausa­l­zu­sam­menhangs gehe zu Lasten der anspruch­stel­lenden Kläger.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen/ra-online

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