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- NJW 2015, 150Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2015, Seite: 150
Bundesverfassungsgericht Beschluss06.10.2014
Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach dem Tod einer Offiziersanwärterin auf der "Gorch Fock" gerechtfertigtBundesverfassungsgericht verneint Verstoß gegen das Grundrecht
Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Schiffsarzt des Bundeswehr-Segelschulschiffs "Gorch Fock" nach dem Tod einer Offiziersanwärterin im September 2008 verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und nahm damit eine Verfassungsbeschwerde der Eltern nicht zur Entscheidung an. Aufgrund der staatlichen Schutzpflicht für das Leben der zu Tode gekommenen Offiziersanwärterin steht den Eltern im konkreten Fall ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf sorgfältige und effektive Ermittlungen zu. Die diesbezügliche Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts genügt jedoch den sich hieraus ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Die Beschwerdeführer sind die Eltern einer Offiziersanwärterin, die in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2008 auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ der Bundeswehr zu Tode gekommen ist. Sie wenden sich gegen die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Schiffsarzt wegen fahrlässiger Tötung. Mit Verfügung vom 17. Oktober 2011 sah die Staatsanwaltschaft Kiel mangels Anfangsverdachts von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab (§§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung). Die hiergegen erhobene Beschwerde wies der Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig-Holstein am 8. März 2012 als unbegründet zurück. Einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht am 12. Juni 2012 als unbegründet.
Anspruch auf Strafverfolgung Dritter nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich
Dass Bundesverfassungsgericht entschied, dass sich dem Grundgesetz grundsätzlich kein Anspruch auf Strafverfolgung Dritter entnehmen lässt. Etwas anderes kann aufgrund der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG bei erheblichen Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung und die Freiheit der Person gelten. Wo der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter selbst abzuwehren und ein Verzicht auf Strafverfolgung zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates sowie einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt führen kann, besteht ein Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung. Ein solcher Anspruch kann ferner in Betracht kommen, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger Straftaten bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben begangen haben, oder wenn den Staat eine spezifische Obhutspflicht für die Opfer aus Straftaten trifft, etwa weil sie sich im Maßregel- oder Strafvollzug befinden. Bei Kapitaldelikten kann ein solcher Anspruch auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 GG auch nahen Angehörigen zustehen.
Strafverfolgungsbehörden müssen wirksame Anwendung der Strafvorschriften sicherstellen
Die (verfassungsrechtliche) Verpflichtung zu effektiver Strafverfolgung bezieht sich auf das Tätigwerden aller Strafverfolgungsorgane. Ihr Ziel muss es sein, eine wirksame Anwendung der Strafvorschriften sicherzustellen. Dies bedeutet nicht, dass dieser Verpflichtung nur durch Erhebung einer Anklage genügt werden kann. Vielfach wird es ausreichend sein, wenn die Strafverfolgungsbehörden ihre Befugnisse nach Maßgabe eines angemessenen Ressourceneinsatzes nutzen, um den Sachverhalt aufzuklären und Beweismittel zu sichern. Dies setzt allerdings eine detaillierte und vollständige Dokumentation des Ermittlungsverlaufs ebenso voraus wie eine nachvollziehbare Begründung der Einstellungsentscheidungen.
Dies deckt sich weitgehend mit den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, für die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 EMRK eine Verpflichtung der Signatarstaaten entnommen hat, wirksame amtliche Ermittlungen dann anzustellen, wenn ein Mensch durch Gewalteinwirkung zu Tode gekommen ist, insbesondere dann, wenn auch staatliche Stellen an dem Vorfall beteiligt waren.
Beschluss des Oberlandesgerichts trägt Anspruch auf effektive Strafverfolgung hinreichend Rechnung
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein vom 12. Juni 2012 genügt diesen Anforderungen. Die Beschwerdeführer verlangen die strafrechtliche Verfolgung einer fahrlässigen Tötung durch den Schiffsarzt der „Gorch Fock“, den sie für den Tod ihrer Tochter mitverantwortlich machen. Da ein Verzicht auf eine effektive Verfolgung von Tötungsdelikten zu einer Erschütterung des Vertrauens in die Integrität staatlichen Handelns führen kann und bereits der Anschein vermieden werden muss, dass Todesfälle nur unzureichend untersucht werden oder gegen Amtswalter des Staates weniger effektiv ermittelt wird als gegen andere Beschuldigte, haben die Eltern - vermittelt über Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG - grundsätzlich einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung. Diesem Anspruch trägt der Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein vom 12. Juni 2012 hinreichend Rechnung.
Ausreichende Anhaltspunkte für hinreichenden Tatverdacht nicht gegeben
Wie vom Oberlandesgericht dargelegt, belegen die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen, dass die Ermittlungen gewissenhaft erfolgt sind und sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen hinreichenden Tatverdacht ergeben haben. Die Annahme der Generalstaatsanwaltschaft, mögliche Beschwerden der Verstorbenen seien von dieser gegenüber dem Schiffsarzt nicht angezeigt worden, erscheint nicht willkürlich und ist aus verfassungsrechtlicher Sicht daher nicht zu beanstanden.
Soweit das Oberlandesgericht seinerseits dazu verpflichtet ist, die Erfüllung des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung sowie die detaillierte und vollständige Dokumentation des Ermittlungsverlaufs und die Begründung der Einstellungsentscheidungen zu überprüfen, wird dies in dem angegriffenen Beschluss zwar nicht ausdrücklich thematisiert. Indem das Oberlandesgericht den Sachverhalt jedoch inhaltlich würdigt und sich insbesondere mit der Kausalität eines möglichen Fehlverhaltens des Beschuldigten beschäftigt, knüpft es konkludent an die Ergebnisse des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens an und billigt damit auch dessen Ablauf.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.11.2014
Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online
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