21.11.2024
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Oberverwaltungsgericht Münster Urteil02.02.2022

Kein Recht auf Medikament zur Selbsttötung - OVG Münster lehnt Zugang zu tödlichem Medikament abKein Zugang zum Betäu­bungs­mittel Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn ist nicht verpflichtet, schwerkranken Menschen, die den Entschluss zum Suizid gefasst haben, hierfür den Erwerb des Betäu­bungs­mittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Das hat das Oberverwaltungs­gericht Münster in drei Verfahren entschieden und damit Urteile des Verwal­tungs­ge­richts Köln bestätigt.

Die Kläger - zwei Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen und eine Frau aus Baden-Württemberg - leiden an verschiedenen schwerwiegenden Erkrankungen (u. a. Multiple Sklerose, Krebs). Sie verlangen vom BfArM, ihnen jeweils eine Erlaubnis zum Erwerb von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu erteilen, um mithilfe dieses Betäu­bungs­mittels ihr Leben zu beenden.

Richter: § 5 Abs. 1 Nr. 6 des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes (BtMG) steht dem Begehren der Kläger entgegen

Der Erteilung der begehrten Erlaubnis steht der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes (BtMG) entgegen. Eine Erwer­b­s­er­laubnis, die auf eine Nutzung von Betäu­bungs­mitteln zur Selbsttötung gerichtet ist, dient nicht dazu, die notwendige medizinische Versorgung sicherzustellen. Das ist bei Anwendungen eines Betäu­bungs­mittels nach höchst­rich­ter­licher Rechtsprechung nur der Fall, wenn diese eine therapeutische Zielrichtung haben, also dazu dienen, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern. Grundrechte von Suizidwilligen werden durch diese Auslegung des Betäu­bungs­mit­tel­ge­setzes derzeit nicht verletzt. Der mittelbare Eingriff in das Recht auf selbst­be­stimmtes Sterben ist verfas­sungs­rechtlich gerechtfertigt.

Öffentliches Interesse an Suizid­prä­vention

Der Versagungsgrund schützt das legitime öffentliche Interesse der Suizid­prä­vention und dient der staatlichen Schutzpflicht für das Leben. Diese Schutzpflicht kann gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang erhalten, wo die Selbst­be­stimmung über das eigene Leben gefährdet ist. Vorkehrungen, die eine selbstbestimmte Entscheidung des Suizidenten gewährleisten, sieht das Betäu­bungs­mit­tel­gesetz nicht vor. Sie können auch nicht in das Gesetz hineingelesen werden. Ob ein Zugang zu Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ermöglicht werden soll, muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber entscheiden, der dann auch ein diesbezügliches Schutzkonzept entwickeln müsste. Die Fragen, welche Anforderungen an den freien Willen, die Dauerhaftigkeit des Selbst­tö­tungs­ent­schlusses oder die Information über Handlung­s­al­ter­nativen zu stellen wären und wie Miss- oder Fehlgebrauch verhindert werden könnte, müssen gesetzlich beantwortet werden.

Recht der Selbsttötung kann auf andere Weise wahrgenommen werden

Die Beschränkung Suizidwilliger durch § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG führt nicht dazu, dass sie ihr Recht auf Selbsttötung nicht wahrnehmen können. Nach aktueller Rechtslage ist vielmehr ein zumutbarer Zugang zu freiwillig bereit­ge­stellter Suizidhilfe real eröffnet. Infolge des Urteils des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 26. Februar 2020 (zur Verfas­sungs­wid­rigkeit des in § 217 StGB geregelten Verbots der geschäfts­mäßigen Beihilfe zur Selbsttötung) hat sich die Möglichkeit, den Wunsch nach selbst­be­stimmtem Sterben zu verwirklichen, wesentlich verbessert. Das ärztliche Berufsrecht steht der Suizidhilfe nicht mehr generell entgegen. Es gibt Ärzte, die tödlich wirkende Arzneimittel verschreiben und andere Unter­stüt­zungs­hand­lungen vornehmen. Dabei ist es zumutbar, die Suche auf ein Gebiet jenseits des eigenen Wohnorts oder Bundeslands zu erstrecken. Infolge der Nichtigkeit des § 217 StGB sind auch geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe wieder verfügbar. Die Inanspruchnahme der Hilfe eines Arztes oder einer Sterbe­hil­fe­or­ga­ni­sation ist auch zumutbar. Das Grundrecht auf selbst­be­stimmtes Sterben beinhaltet keinen Leistungs­an­spruch gegenüber dem Staat. Soweit Ärzte und Sterbe­hil­fe­or­ga­ni­sa­tionen in Deutschland bisher wohl nicht Natrium-Pentobarbital als Mittel zur Selbsttötung einsetzen, stehen andere verschrei­bungs­pflichtige Arzneimittel zur Verfügung.

Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, ra-online (pm/pt)

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