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Oberlandesgericht Naumburg Urteil04.02.2020

"Judensau"-Sandsteins­kulptur an der Stadtkirche Wittenberg darf bleibenPräsentation eines ursprünglich beleidigend gemeinten Gebäudeteiles im originalen Bauzustand ist nicht notwen­di­gerweise beleidigend

Das Oberlan­des­gericht Naumburg hat entschieden, dass die unter der Bezeichnung "Judensau" bekannte Sandstein­plastik an der Stadtkirche Wittenberg hängen bleiben darf.

Der Kläger des zugrunde liegenden Streitfalls ist Mitglied einer jüdischen Gemeinde. Die beklagte Kirchengemeinde ist Eigentümerin der unter Denkmalschutz stehenden Stadtkirche in Wittenberg. An der Kirche ist ein Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert angebracht, das als Schmähplastik gegen die Angehörigen des jüdischen Glaubens erkenntlich ist. Seit dem Jahr 1988 befindet sich unterhalb des Reliefs ein Mahnmal, das sich auf die Schmähplastik bezieht und die Wirkungs­ge­schichte des Antijudaismus und des Antisemitismus auf künstlerische Weise thematisiert. Der Kläger nahm die beklagte Kirchengemeinde auf die Beseitigung der Skulptur von der Fassade der Stadtkirche Wittenberg in Anspruch. Er vertrat die Ansicht, die Beseitigung verlangen zu können, weil die Skulptur eine Beleidigung der Angehörigen des jüdischen Glaubens und damit auch des Klägers selbst darstelle. Zusätzlich stützte er den geltend gemachten Besei­ti­gungs­an­spruch auf die Verletzung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts.

OLG: Skulptur weist in aktuellem Kontext weder beleidigenden Charakter auf noch verletzt sie Persön­lich­keits­rechte des Klägers

Das Oberlan­des­gericht Naumburg bestätigte das klageabweisende Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau. Dem Kläger stehe ein Besei­ti­gungs­an­spruch nicht zu, weil die Skulptur in ihrem aktuellen Kontext weder beleidigenden Charakter aufweise noch das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletze. Allerdings habe das Relief ursprünglich unstreitig den Zweck verfolgt, die Juden verächtlich zu machen. Gleichwohl verletze die Beklagte mit seiner Ausstellung an der Fassade der Stadtkirche die Ehre der Juden und des Klägers nicht. Das Relief sei Teil eines Ensembles, das eine andere Zielrichtung der Beklagten erkennen lasse. Eine Infor­ma­ti­o­nstafel bringe unmiss­ver­ständlich zum Ausdruck, dass die Beklagte sich von den Juden­ver­fol­gungen, den antiju­dais­tischen Schriften Martin Luthers und der verhöhnenden Zielrichtung der Schmähplastik distanziere. Dies werde durch das im Jahr 1988 enthüllte Mahnmal unterhalb der Schmähplastik bekräftigt.

Kommentierung des historischen Kontextes kann ursprüngliche Wirkung neutralisieren

Der vom Kläger zur Unterstützung seiner Argumentation herangezogene Gedanke, wonach eine Beleidigung auch dann eine Beleidigung bleibe, wenn man sie kommentiere, könne nicht allgemein und ausnahmslos Geltung beanspruchen. Konsequent angewendet stünde dieser Gedanke auch der vom Kläger befürworteten Ausstellung der Schmähplastik in einem Museum entgegen. Auch der Gefahr, die Plastik könne als Element der religiösen Verkündigung wahrgenommen werden, sei durch ihre Einbindung in das Ensemble aus Mahnmal, Infor­ma­ti­o­nstafel und Relief entgegengewirkt. Die Präsentation eines ursprünglich beleidigend gemeinten Gebäudeteiles im originalen Bauzustand sei nicht notwen­di­gerweise beleidigend. Vielmehr könne eine Kommentierung des historischen Kontextes die ursprüngliche Wirkung neutralisieren. Dies sei bei der Wittenberger Schmähplastik der Fall.

Quelle: Oberlandesgericht Naumburg/ra-online (pm/kg)

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