In dem zugrunde liegenden Fall verlangte eine 70 jährige Mieterin von ihren Vermietern Zahlung von Schmerzensgeld und Schadenersatz aufgrund eines Glätteunfalls. Im Dezember 2009 gegen 9.40 Uhr stürzte sie auf den stellenweise stark vereisten und schneebedeckten Weg vor dem Wohnhaus und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch rechts. Die Vermieter erkannten eine Zahlungspflicht nicht an. Sie behaupteten der Winterdienst sei gegen 8:45 durchgeführt worden. Somit seien sie ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen. Zumindest aber sei der Mieterin ein Mitverschulden anzulasten, da ihr die Witterungsverhältnisse bekannt waren. Das Landgericht Bochum gab der Mieterin recht und sprach ihr neben dem Schadenersatz ein Schmerzensgeld von 10.000 € zu. Dagegen richtete sich die Berufung der Vermieter.
Das Oberlandesgericht Hamm entschied gegen die Vermieter. Der Mieterin habe ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld zugestanden, da die Vermieter ihrer Räum- und Streupflicht am Unfalltag nicht ordnungsgemäß nachgekommen seien. Die Vermieter haben dadurch die ihnen als Eigentümer des Wohnhauses obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts habe die Beweisaufnahme gezeigt, dass der Winterdienst nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Soweit tatsächlich geräumt oder gestreut wurde, sei der Sturz der Mieterin entweder auf den Einsatz von zu wenig Streumittel zurückzuführen oder darauf, dass dieser Bereich nicht gestreut wurde. Dabei sei auch zu beachten gewesen, dass es sich um einen Weg handelte, der zu einem Wohnhaus mit elf Parteien führte. Daher sei mit einem Fußgängerverkehr von erheblichem Umfang zu rechnen gewesen. Zu beachten sei weiterhin, dass es sich nicht um eine Verletzung der sogenannten Nachstreupflicht gehandelt habe. Vielmehr sei die Pflicht zur ordnungsgemäßen Durchführung des erstmaligen Streuens nicht erfüllt worden.
Eine wirksame Überwälzung der Räum- und Streupflicht habe nach Auffassung des Gerichts nicht vorgelegen. Eine solche Delegation setze voraus, dass die Übertragung klar und eindeutig vereinbart wird. Nur so könne eine Gefährdung zuverlässig ausgeschlossen werden. Erst dann beschränke sich die Verkehrssicherungspflicht des Vermieters allein auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht, die sich darauf erstreckt, ob die vertraglich übernommenen Sicherungsmaßnahmen auch tatsächlich ausgeführt werden (vgl. BGH, Urt. v. 22.01.2008 - VI ZR 126/07 = NJW 2008, 1440). An einer solchen klaren und eindeutigen Vereinbarung habe es gefehlt. Denn weder habe eine mietvertragliche Regelung bestanden noch sei die Winterdienstpflicht auf die Hausverwaltung übertragen worden.
Aus Sicht der Richter haben die Vermieter selbst bei Annahme einer wirksamen Übertragung der Verkehrssicherungspflicht für die Unfallfolgen haften müssen. Denn die Vermieter seien ihrer Pflicht zur Überwachung der Räum- und Streumaßnahmen nicht nachgekommen. Hilfspersonen und Beauftragte müssen sorgfältig ausgewählt, gründlich über die Art des Streuens angewiesen und überwacht werden. Diesen Verpflichtungen seien die Vermieter durch die Beauftragung der Hausverwaltung nicht ausreichend nachgekommen (vgl. BGH, Urt. v. 27.11.1984 - VI ZR 49/83).
Angesichts dessen das die Mieterin selbst vorgetragen habe, dass sie die bestehende Glätte erkannte, sei ihr ein Mitverschulden an den Unfallfolgen anzulasten gewesen. Kommt nämlich ein Passant auf einem erkennbar nicht geräumten oder abgestumpften Weg zu Fall, so spreche das für eine mangelnde Aufmerksamkeit. Die Mitverschuldensquote bemaß das Gericht mit 1/3, da die unzureichende Organisation des Winterdienstes schwerer gewogen habe.
Das Oberlandesgericht kürzte entsprechend des Mitverschuldenanteils der Mieterin das Schmerzensgeld auf 7.000 €. Bei der Berechnung der Schmerzensgeldhöhe sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Mieterin einen Oberschenkelhalsbruch erlitten hatte und sie deswegen operiert werden musste. Dies wiederum führte dazu, dass sie etwa 14 Tage stationär behandelt werden und sich anschließend einer 20-tägigen Rehabilitationsmaßnahme unterziehen musste. Weiterhin kam es zu einem Dauerschaden, die die Beweglichkeit und Belastbarkeit einschränkte. Zudem litt sie unter Schmerzen.
Der Unfall habe nach Ansicht des Oberlandesgerichts in einer Zeit stattgefunden, in der die Räum- und Streupflicht bestand. Beginn und Ende der Winterdienstpflicht bestimme sich zum einen nach dem Einsetzen bzw. dem Ende der Gefährdung durch Glatteis. Zum anderen komme es auf die übliche Zeit des Verkehrs an. Dies sei in der Regel um 7 Uhr, an Sonn- und Feiertagen um 9 Uhr der Fall. Sie ende etwa 20 Uhr.
Das Gericht betonte aber, dass die Streupflicht nicht unbegrenzt gilt. Neben den zeitlichen Grenzen der Streupflicht bestehen auch Grenzen im Umfang. So seien etwa die Wege nicht so zu bestreuen, dass ein Fußgänger überhaupt nicht mehr ausgleiten kann. Vielmehr müsse der Weg nur derart bestreut werden, dass er von den Passanten bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt ohne Gefahr benutzt werden kann. Zudem müsse eine allgemeine Glätte vorliegen, die über das Vorhandensein einzelner Glättestellen hinausgeht (BGH, Urt. v. 12.06.2012 - VI ZR 138/11).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 20.01.2014
Quelle: Oberlandesgericht Hamm, ra-online (vt/rb)