18.10.2024
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Sie sehen einen Teil eines Daches, welches durch einen Sturm stark beschädigt wurde.

Dokument-Nr. 10673

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Urteil27.11.1984BundesgerichtshofVI ZR 49/83
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • DB 1985, 643Zeitschrift: Der Betrieb (DB), Jahrgang: 1985, Seite: 643
  • JR 1985, 330Zeitschrift: Juristische Rundschau (JR), Jahrgang: 1985, Seite: 330
  • JZ 1985, 248Zeitschrift: JuristenZeitung (JZ), Jahrgang: 1985, Seite: 248
  • MDR 1985, 311Zeitschrift: Monatsschrift für Deutsches Recht (MDR), Jahrgang: 1985, Seite: 311
  • NJW 1985, 484Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 1985, Seite: 484
  • VersR 1985, 243Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht (VersR), Jahrgang: 1985, Seite: 243
  • WuM 1986, 66Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 1986, Seite: 66
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ergänzende Informationen

Bundesgerichtshof Urteil27.11.1984

BGH zur Streupflicht: Soweit erforderlich muss wiederholt gestreut werden - Streupflicht kann durch Hausordnung auf Mieter übertragen werdenBei Wohnungs­ei­gentum ist die Eigentümer­gemeinschaft für die Streupflicht verantwortlich

In seinem Urteil vom 27.11.1984 - Az. VI ZR 49/83 - hat der Bundes­ge­richtshof den Umfang und die Zuständigkeit bei der Streupflicht präzisiert. Danach müsse gegebenenfalls auch mehrfach hintereinander gestreut werden, wobei allerdings nicht fortlaufend gestreut werden müsse. Der Streupflichtige müsse erst dann wieder streuen, wenn die Witterungs­verhältnisse nicht so außergewöhnlich sind, dass wiederholtes Streuen sinn- oder zwecklos sei. Bei Wohnungs­ei­gentum sei die Wohnungs­ei­gentümer­gemeinschaft für die Streupflicht verkehrs­si­cherungs­pflichtig, führte der BGH aus. Durch Hausordnung könne die Wohnungs­ei­gentümer­gemeinschaft die Streupflicht auf die Eigentümer bzw. Mieter einer bestimmten Etage übertragen. Es bestehe dann aber noch eine Überwa­chungs­pflicht für die Eigentümer­gemeinschaft, so der BGH.

Im zugrunde liegenden Fall verklagte ein Mieter seinen Vermieter auf Schadensersatz wegen Verletzung der Streupflicht. Der Vermieter war Eigentümer einer Wohnung, die im 1. OG eines aus 3 Etagen mit jeweils 3 Eigen­tums­woh­nungen bestehenden Hauses, lag. Er hatte diese an den späteren Kläger vermietet.

Ehefrau des Kläger stürzte auf Glatteis und verstarb

Die Ehefrau des Klägers war am Morgen des 23. Januar 1977 gegen 8.00 Uhr auf dem Gehweg vor dem Haus infolge von Glatteis gestürzt. Sie verletzte sich so schwer, dass sie noch auf dem Transport in das Krankenhaus verstarb. An dem Tag war seit ca. 7.00 Uhr Regen gefallen, der bis mindestens 10.00 Uhr auf dem leicht gefrorenen Boden sofort zur Bildung von Glatteis führte.

Kläger warnte Ehefrau telefonisch

Der Kläger hatte von seiner Arbeitsstelle aus, seine Frau von dem Glatteis vor dem Haus unterrichtet. Diese war daraufhin nach draußen gegangen, um zu streuen. In dem Ort hatte die Gemeinde die Streupflicht durch Satzung auf die Anlieger übertragen.

Hausordnung regelte Streupflicht

Die Wohnungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft wiederum hatte eine Hausordnung beschlossen, die die Streupflicht im Haus regelte. Diese Hausordnung war Bestandteil des Mietvertrages des Klägers geworden. Es hieß darin u.a.:

"In den Wintermonaten, also von der Woche ab, in der der 1. November liegt, bis zu der Woche, in der der 30. April liegt, wird der Winterdienst etagenweise durchgeführt, so dass die Bewohner einer Etage im Rahmen der vorstehenden Ordnung den Streu-, Schneeräum- und Kehrdienst zu erledigen haben.

Die Zugangswege sind nicht nur sauber zu halten, sondern im Winter auch nach Bedarf vom Schnee zu befreien und bei eintretender Glätte vor 7.00 Uhr morgens zu streuen."

"Schneewochen"-Plan hing im Haus aus

Im Haus hing ein Plan "Schneewochen 1. Hälfte 1979" aus, der für die 4. bis 6. Woche (vom 22. Januar bis 11. Februar 1979) den Winterdienst der Wohnungsinhaber des 2. Obergeschosses vorsah. Die Übernahme einer bestimmten Woche blieb der Absprache auf der Etage vorbehalten.

Der Mieter (Kläger) begehrt von seinem Vermieter (Beklagter) den Ersatz seines Unter­halts­schadens sowie der Kosten für das Grabmal und die Grabstätte seiner verstorbenen Ehefrau. Das Landgericht wies diese Klage ab. Das Berufungs­gericht gab ihr teilweise statt. Der Bundes­ge­richtshof hob das Urteil auf und verwies es zwecks weiterer Aufklärung an das Berufungs­gericht zurück.

Streupflicht kann übertragen werden

Der Bundes­ge­richthof führte aus, dass grundsätzlich der Beklagte zusammen mit den anderen Wohnungs­ei­gen­tümern verkehrs­si­che­rungs­pflichtig war. Aufgrund der Ortssatzung seien sie streupflichtig geworden. Die Hausei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft habe allerdings durch die Hausordnung, nach der der Winterdienst etagenweise durchzuführen war, und den im Haus ausgehängten Aushang über die Schneewochen 1. Hälfte 1979" die den Wohnungs­ei­gen­tümern gemein­schaftlich obliegende Streupflicht am Unfalltag auf die Eigentümer der im 2. OG gelegenen Wohnungen übertragen. Die Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft habe dabei die erforderliche Abstimmung den Wohnungs­ei­gen­tümern der Etage überlassen dürfen, führte der BGH weiter aus.

Übertragung der Streupflicht entbindet nicht von jeglicher Verantwortung

Mit der Übertragung der Streupflicht seien die Wohnungs­ei­gentümer aber nicht von jeder Verantwortung frei geworden. Vielmehr behielten sie eine Überwa­chungs­pflicht. Diese sei hier um so ausgeprägter gewesen, als der Streuwochenplan nur hinsichtlich der einzelnen Stockwerke eine eindeutige Regelung traf, im übrigen aber nur praktikabel war, wenn sich die Bewohner der einzelnen Etagen daran hielten. An das Maß der Überwachung sei ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 8.10.1974 - VI ZR 43/72 -). Der Überwa­chungs­pflicht sei die Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft jedenfalls nicht hinreichend nachgekommen, urteilte der BGH. Nicht ausreichend sei es, dass hier der Hausverwalter für die Durchführung der Hausordnung zu sorgen hatte. Auch reiche es nicht aus, einen Miteigentümer zum Hauswart zu bestellen, der eigens für das Streuen verantwortlich sei, da hieraus nicht folge, dass dieser auch die Erfüllung der Streupflicht seitens der einzelnen Wohnungs­ei­gentümer ausreichend überwache.

Überwa­chungs­pflicht verbleibt bei den Miteigentümern

Auch wenn die Mieter neben den im Hause wohnenden Miteigentümern nach der Hausordnung zweitweise zur Erfüllung der Streupflicht herangezogen wurden, verblieb die Pflicht zur Überwachung jedoch bei den Miteigentümern. Die Mieter seien allerdings an den Tagen dem Schutzzweck dieser Pflicht entzogen, an denen sie selbst den Streu-, Schneeräum- und Kehrdienst zu erledigen hatten.

Ehefrau des Klägers stand auch unter dem Schutz der Verkehrs­si­che­rungs­pflicht

Als die Frau des Klägers am Unfalltag streute, sei sie hierzu - laut Plan - nicht verpflichtet gewesen. Jedoch schied sie hierdurch nicht aus dem Personenkreis aus, für dessen Schutz die Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft verantwortlich war. Sie habe sich nur deswegen der Glätte ausgesetzt, weil der Streupflichtige seiner Pflicht zum Streuen nicht nachgekommen sei.

Zeitpunkt der Streupflicht

Gleichwohl sah der Bundes­ge­richtshof hier den Anspruch auf Schadensersatz noch nicht als gegeben an. Er hatte noch Zweifel daran, ob zum Unfallzeitpunkt am Unfallort bereits hätte gestreut sein müssen.

Gewisse Zeitspanne

Es bestehe eine gewisse Zeitspanne zur Erfüllung der Streupflicht führte der BGH aus. Hier habe die Glatteisbildung erst in den Morgenstunden mit Beginn des Regens eingesetzt; eine Pflicht zum Streuen vor diesem Zeitpunkt komme nicht in Betracht.

Gegebenenfalls muss wiederholt gestreut werden

Der Streupflichtige müsse gegebenenfalls auch mehrfach hintereinander streuen, wenn die Wirkung des Streugutes infolge außer­ge­wöhn­licher Witte­rungs­ver­hältnisse, z.B. anhaltenden Niederschlags auf unterkühltem Boden - nur kurze Zeit anhalte. Dies gelte aber nur, wenn die Witte­rungs­ver­hältnisse nicht so außergewöhnlich seien, dass wiederholtes Streuen sinn- und zwecklos sei (vgl. BGH, Urt. v. 12.07.1968 - VI ZR 134/67 - und BGH, Urt. v. 30.04.1974 - III ZR 166/72-). Der BGH präzisierte hier, dass der Streupflichtige die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Umständen, die ein Streuen zwecklos machen, trage (vgl. BGH, Urteil v. 22.11.1965 - III ZR 32/65 -).

Kläger muss Vorliegen einer die Streupflicht begründenden Wetter- und Straßenlage beweisen

Der Bundes­ge­richtshof verwies die Sache auch an das Berufungs­gericht zurück, weil er Zweifel hatte, ob zum Unfallzeitpunkt um 8.00 Uhr überhaupt schon gestreut sein musste. Zwar habe es bereits gegen 7.00 Uhr begonnen zu regnen, jedoch müsse der Kläger beweisen, dass eine die Streupflicht begründende Wetter- und Straßenlage vorgelegen habe. Ein Anscheinsbeweis komme hierfür nicht in Betracht. Nach allgemeiner Erfahrung könnten sich Regenfronten verschieben und auf diese Weise ein Gebiet erst allmählich überziehen, führte der BGH aus. Daher sei auch aus einer Glatteisbildung an anderen Stellen eines Raumes nicht aufgrund eines solchen Anscheinsbeweis auf eine gleichzeitige Glatteisbildung vor einem bestimmten Grundstück zu schließen.

Quelle: ra-online, Bundesgerichtshof (vt/pt)

der Leitsatz

BGB § 823

Zur Verant­wort­lichkeit von Wohnungs­ei­gen­tümern für die Erfüllung der Streupflicht.

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