15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen den Auspuff eines Autos.

Dokument-Nr. 25074

Drucken
Beschluss10.10.2017Oberlandesgericht Hamm4 RBs 326/17
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NStZ-RR 2017, 390Zeitschrift: NStZ-Rechtsprechungsreport (NStZ-RR), Jahrgang: 2017, Seite: 390
Für Details Fundstelle bitte Anklicken!
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Hamm Beschluss10.10.2017

Blasenschwäche schützt bei Geschwin­digkeits­überschreitung im Regelfall nicht vor FahrverbotBesondere körperliche Dispositionen können nur im Ausnahmefall vom Regelfahrverbot befreien

Wer infolge einer schwachen Blase plötzlich starken Harndrang verspürt und deswegen die zulässige Höchst­geschwindigkeit so überschreitet, dass nach der Bußgeld­katalog­verordnung (BKatV) ein Regelfahrverbot zu verhängen ist, ist regelmäßig auch mit dem Fahrverbot zu belegen. Ob die durch eine Blasenschwäche hervorgerufene Situation ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt, hat der Bußgeldrichter im Einzelfall festzustellen. Auf diese Rechtslage hat das Oberlan­des­gericht Hamm hingewiesen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der seinerzeit 61 Jahre alte Betroffene aus Paderborn befuhr im Februar 2017 mit seinem Pkw Audi die Bundesstraße 68. Er überschritt die außerorts zulässige Höchst­ge­schwin­digkeit um 29 km/h. Hierfür belegte ihn die Bußgeldbehörde mit einer Geldbuße von 80 Euro und verhängte gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV ein einmonatiges Fahrverbot, weil der Betroffene bereits im November 2016 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 28 km/h außerorts mit einem Bußgeld belegt worden war.

Autofahrer verweist auf eingeschränkte Kontinenz aufgrund Prosta­ta­ope­ration

In der Verhandlung der Bußgeldsache vor dem Amtsgericht trug der Betroffene - unwiderlegt - vor, dass er nach einer Prosta­ta­ope­ration nur noch über eine eingeschränkte Kontinenz verfüge. Zu der Geschwin­dig­keits­über­schreitung sei es gekommen, als er während der Fahrt einen starken, schmerzhaften Harndrang verspürt habe, so dass er nur noch darauf fokussiert gewesen sei, "rechts ran fahren" zu können. Aufgrund des dichten Verkehrs auf der Bundesstraße habe er allerdings zunächst keine Gelegenheit zum Anhalten finden können.

AG verhängt Bußgeld und Regelfahrverbot

Das Amtsgericht Paderborn beließ es bei der Geldbuße von 80 Euro und dem angeordneten Regelfahrverbot. Der Betroffene habe, so das Amtsgericht, keine Tatsachen vorgetragen, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könnten.

OLG weist Sache zurück am Amtsgericht

Die gegen das amtsge­richtliche Urteil vom Betroffenen eingelegte Rechts­be­schwerde war - vorläufig - erfolgreich. Das Oberlan­des­gericht Hamm hat das angefochtene Urteil im Rechts­fol­ge­n­aus­spruch mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Bloßer Umstand bestimmter körperlicher Dispositionen für Befreiung von Regelfahrverbot nicht ausreichend

Die Begründung des angefochtenen Urteils zum Rechts­fol­ge­n­aus­spruch weise einen Erörte­rungs­mangel zulasten des Betroffenen auf, so das Oberlan­des­gericht. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein sehr starker Drang zur Verrichtung der Notdurft, der durch eine besondere körperliche Disposition des Betroffenen bedingt und der ursächlich für die Geschwin­dig­keits­über­schreitung sei, einen Grund darstellen könne, vom Regelfahrverbot abzusehen. Dies sei aber keineswegs der Normalfall. Der bloße Umstand einer bestimmten körperlichen Disposition reiche insoweit noch nicht, andernfalls erhalte der betroffene Personenkreis gleichsam einen "Freibrief" für pflichtwidriges Verhalten im Straßenverkehr. Grundsätzlich müsse ein Betroffener mit einer solchen körperlichen Disposition seine Fahrt entsprechend planen, gewisse Unwägbarkeiten (wie etwa Stau, Umleitungen etc.) in seine Planungen einstellen und entsprechende Vorkehrungen treffen oder gegebenenfalls auf anfänglich aufgetretenen Harn- oder Stuhldrang rechtzeitig reagieren, damit ihn ein starker Drang zur Verrichtung der Notdurft nicht zu pflichtwidrigem Verhalten verleite. Ausgehend hiervon müsse der Bußgeldrichter die näheren Umstände einer solchen Fahrt auch in die Erwägungen zur Rechts­fol­gen­be­messung einbeziehen, was das angefochtene Urteil im vorliegenden Fall nicht erkennen lasse.

Amtsgericht muss Umstände des Einzelfalls prüfen

Bei der erneuten Verhandlung der Bußgeldsache werde der Tatrichter die Umstände zu berücksichtigen haben, unter denen sich der Betroffene zu der Fahrt entschlossen habe, und zu klären haben, wie der Betroffene auf seinen Harndrang während der Fahrt habe reagieren können. Weiter werde auch zu prüfen sein, ob das Auftreten eines dringenden Harndrangs eine Situation sei, in welche der Betroffene häufiger komme. In diesem Fall müsse er sich hierauf entsprechend einstellen und es würde das Maß seiner Pflicht­wid­rigkeit gerade zu erhöhen, wenn er gleichwohl ein Fahrzeug führe, obwohl er - wie er selbst angegeben habe - wegen quälenden Harndrang so "abgelenkt" gewesen sei, dass er der zulässigen Höchst­ge­schwin­digkeit keine Beachtung mehr habe schenken können.

§ 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV - Regelfahrverbot - lautet wie folgt:

Erläuterungen
Ein Fahrverbot kommt in der Regel in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwin­dig­keits­über­schreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwin­dig­keits­über­schreitung von mindestens 26 km/h begeht.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss25074

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI