21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil27.10.2015

OLG Hamm bejaht Anspruch auf 100.000 Euro Schmerzensgeld wegen zu spät erkannter Hautkre­bs­er­krankungPatientin hätte bei richtiger Behandlung hypothetische Chance auf vollständige Heilung gehabt

Erkennt ein Hautarzt aufgrund als grob zu bewertender Behand­lungs­fehler die Hautkre­bs­er­krankung einer Patientin nicht rechtzeitig, kann dem Arzt eine bis zum Tod führende Verschlech­terung des Gesundheits­zu­standes der Patientin zuzurechnen sein und ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro rechtfertigen. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Paderborn ab.

Die 1954 geborene Patientin des zugrunde liegenden Verfahrens suchte im August 2009 die Gemein­schaft­s­praxis der beklagten Hautärzte aus Paderborn auf, um die Verfärbung eines Zehnnagels nach einer Stoßverletzung abklären zu lassen. Ein Nagelhämatom in Betracht ziehend veranlasste einer der Beklagten die Patientin, eine Nagelprobe einzureichen, die histologisch untersucht wurde. Nachdem die Untersuchung lediglich einen bakteriell infizierten Nagel ausgewiesen hatte und die Patientin hierüber von einem der Beklagten telefonisch in Kenntnis gesetzt worden war, unterblieb ihre weitere dermatologische Behandlung. Nachdem sich die Verfärbung des Zehnnagels im folgenden Jahr nicht zurückgebildet hatte, suchte die Patientin erneut einen Hautarzt auf. Dieser äußerte den Verdacht einer Krebserkrankung, die sich bei weiteren Untersuchungen bestätigte. Nach dem Befall von Lunge und Lymphknoten mit Metastasen erlag die Patientin im Dezember 2013 den Folgen ihrer Krebserkrankung. In einem noch von der Patientin gegen die Beklagten wegen ärztlicher Behand­lungs­fehler begonnenen Prozess verlangt nunmehr ihr Ehemann Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro.

Veranlasste histologische Untersuchung war unzureichend

Die Klage war erfolgreich. Das Oberlan­des­gericht Hamm hat die Beklagten nach sachver­ständiger Begutachtung zur Zahlung des beantragten Schaden­s­er­satzes verurteilt. Der die Patientin behandelnde Beklagte habe es versäumt, eine ausreichende histologische Untersuchung zum Ausschluss eines Melanoms sicherzustellen. Auch wenn die Patientin von einem Stoßereignis und damit einer naheliegenden Ursache für ein Hämatom berichtet habe, hätte der Beklagte mittels einer umfassenden Diffe­ren­zi­a­l­dia­gnostik eine - ohne rechtzeitige Behandlung tödlich verlaufende - Hautkre­bs­er­krankung sicher abklären müssen. Die vom Beklagten veranlasste histologische Untersuchung sei unzureichend gewesen, weil sie nicht durch eine im Bereich des möglichen Melanoms entnommene Nagelprobe vorbereitet worden sei, vielmehr habe es der Beklagte der Patientin überlassen, den Ort der Probe festzulegen und sie dort zu entnehmen. Darüber hinaus sei den Beklagten vorzuwerfen, der Patientin nach der telefonischen Übermittlung des histologischen Befundes nicht hinreichend deutlich gemacht zu haben, dass sie sich zur weiteren Befundung in der Praxis alsbald wieder­vor­stellen solle.

Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro gerechtfertigt

Das Fehlverhalten der Beklagten sei jedenfalls in der Gesamtheit als grob behand­lungs­feh­lerhaft zu beurteilen und führe zu einer Beweis­la­st­umkehr hinsichtlich der zurechenbaren Folgen. Bei ordnungsgemäßer Befundung hätte das bei der Patientin zum Zeitpunkt ihrer Behandlung durch die Beklagten bereits vorhandene Melanom festgestellt werden müssen. Abgesehen von der auch in diesem Fall notwendigen Amputation des Zehen­grund­gliedes sei den Beklagten der sich weiter verschlech­ternde Gesund­heits­zustand der Klägerin und ihr durch die Krebserkrankung bedingter Tod zuzurechnen. Mit dem Sachver­ständigen gehe das Gericht dabei davon aus, dass die Patientin nach der Amputation eine hypothetische Chance auf eine vollständige Heilung gehabt habe. Die den Beklagten zuzurechnenden Umstände rechtfertigten ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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