21.11.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.
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Oberlandesgericht Hamm Urteil15.12.2017

Arzt muss bei relativer Indikation für Operation über Alternativen für konservative Behandlung aufklärenAufklä­rungs­pflicht über Alternativen bei nicht zwingend notwendiger Operation besonders entscheidend

Besteht nur eine relative Indikation zur Vornahme eines operativen Eingriffs, muss ein Patient dezidiert mündlich über die echte Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt werden. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Arnsberg) ab.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der im Jahre 1951 geborene Kläger aus Warstein litt seit Ende der 1980er Jahre an Rückenschmerzen. Er stellte sich im Juli 2010 wegen thera­pie­re­sis­tenter Rückenschmerzen im Lenden­wir­bel­bereich in einem Krankenhaus im Kreis Soest vor, indem der Beklagte als Belegarzt tätig war. Nach einigen Tagen stationären Aufenthalts mit einer konservativen Behandlung führte der Beklagte nach einem erstellten CT ein Aufklä­rungs­ge­spräch mit dem Kläger, indem er zu einer operativen Versorgung des verengten Wirbelkanals der Lenden­wir­belsäule riet. Im August 2010 führte der Beklagte den operativen Eingriff mit einer Discektomie, einer Dekompression, einer Neurolyse sowie einer Spondylodese aus.

Kläger leidet an Lähmungen, Schmerzen und depressiven Störungen

Nach der Operation stellten sich neurologische Ausfälle in beiden Beinen des Klägers ein. Er war nicht mehr in der Lage, das gestreckte Bein anzuheben. Zudem zeigten sich Lähmungen beim Heben und Senken der Füße, eine Blasen­ent­lee­rungs­störung, und eine Störung der Sexualfunktion. Zwei Revisi­ons­ope­ra­tionen, bei denen jeweils ein epidurales Hämatom entfernt wurde, bewirken keine nachhaltige Verbesserung des Gesund­heits­zu­standes des Klägers. Der Kläger leidet dauerhaft an einer chronischen inkompletten Kaudalähmung mit Gefühls­s­tö­rungen im Bereich der Beine und Füße sowie Schmerzen im Opera­ti­o­ns­bereich. Er kann nur kurze Strecken mit Gehilfen zurücklegen und ist im Übrigen auf einen Rollstuhl angewiesen. Zudem muss er mit einer dauerhaften Störung der Sexualfunktion und einer sich aufgrund der eingeschränkten Mobilität und chronischen Beschwerden entwickelnden depressiven Störung leben. Eine nach der Operation aufgetretene Blasen­ent­lee­rungs­störung hat sich zwischen­zeitlich zurückgebildet.

Kläger verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld

Mit der Behauptung, der operative Eingriff des Beklagten sei behandlungs- und aufklä­rungs­feh­lerhaft vorgenommen worden, hat der Kläger vom Beklagten Schadensersatz verlangt, unter anderem materiellen Schadensersatz in Höhe von ca. 34.500 Euro und ein Schmerzensgeld in der Größenordnung von 200.000 Euro.

OLG bejaht Schmer­zens­geldan­spruch

Sein Klagebegehren hatte in zweiter Instanz dem Grunde nach und - teilweise - der Höhe nach Erfolg. Das Oberlan­des­gericht Hamm hat dem Kläger nach ergänzender Begutachtung durch medizinische Sachverständige den verlangten materiellen Schadensersatz und ein Schmerzensgeld in Höhe von 75.000 Euro zugesprochen.

Konservative Behandlung hätte als echte Behand­lung­s­al­ter­native fortgesetzt werden können

Der Beklagte hafte, weil er den Kläger vor dem ersten Eingriff im August 2010 unzureichend aufgeklärt habe, entschied das Oberlan­des­gericht. Die insoweit erteilte Einwilligung des Klägers sei insoweit nicht wirksam. Zudem sei - entgegen der Ansicht des Landgerichts - auch nicht von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers auszugehen. Für den vorgenommenen operativen Eingriff habe mangels neurologischer Ausfa­l­l­er­schei­nungen beim Kläger nur eine relative Indikation bestanden. Alternativ habe die konservative Behandlung als echte Behand­lung­s­al­ter­native fortgesetzt werden können. Hierüber habe der Beklagte den Kläger aufklären müssen.

Maß und Genau­ig­keitsgrad der Aufklä­rungs­pflicht bei relativ indizierten Operationen besonders wichtig

Nach der Rechtsprechung sei die Wahl der Behand­lungs­methode zwar primär Sache des Arztes. Gebe es aber - wie im vorliegenden Fall - mehrere Behand­lungs­mög­lich­keiten, unter denen der Patient eine echte Wahlmöglichkeit habe, müsse ihm durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung überlassen werden, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich einlassen wolle. Je weniger dringlich sich der Eingriff - nach medizinischer Indikation und Heilungs­aussicht - in zeitlicher und sachlicher Hinsicht darstelle, desto weitgehender seien Maß und Genau­ig­keitsgrad der Aufklärungspflicht. So sei bei einer nur relativ indizierten Operation regelmäßig auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun geboten.

Operativer Eingriff war mit besonderen Risiken versehen

Im August 2010 sei beim Kläger die konservative Behandlung weiterhin eine echte Behand­lung­s­al­ter­native zum operativen Eingriff gewesen. Zudem sei der operative Eingriff mit allgemeinen und besonderen Risiken versehen gewesen, über die der Kläger ebenfalls habe aufgeklärt werden müssen. Dass der Beklagte den Kläger über diese Punkte hinreichend aufgeklärt habe, habe er im Prozess nicht nachweisen können.

Von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers in die Operation könne man ebenfalls nicht ausgehen, weil der Kläger insoweit einen echten Entschei­dungs­konflikt zwischen den Behand­lung­s­al­ter­nativen glaubhaft gemacht habe. Auch insoweit sei dem Beklagten nicht gelungen nachzuweisen, dass sich der Kläger für den operativen Eingriff entschieden hätte.

Höhe des Schmerzensgelds gerechtfertigt

Infolge des nichtig gerecht­fer­tigten operativen Eingriffs im August 2010 habe der Kläger eine chronische inkomplette Kaudalähmung mit erheblichen Einschränkungen seiner Mobilität, eine dauerhafte Störung seiner Sexualfunktion sowie eine sich hierdurch entwickelnde depressive Störung erlitten, die eine Schmer­zens­geld­zahlung in Höhe von 75.000 Euro rechtfertigten. Auch den materiellen Schaden habe der Beklagte zu ersetzen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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