23.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil10.05.2016

Patientin hat nach augenärztlichem Behand­lungs­fehler Anspruch auf 80.000 Euro SchmerzensgeldGesichts­feld­einschränkung und Verlust der Sehfähigkeit sind auf groben Behand­lungs­fehler zurückzuführen

Das Oberlan­des­gericht Hamm hat entschieden, dass eine Patientin, die aufgrund einer augenärztlichen Fehlbehandlung einen wesentlichen Teil ihrer Sehfähigkeit verloren hat, Anspruch auf 80.000 Euro Schmerzensgeld zusteht.

Dem Verfahren lang folgender Sachverhalt zugrunde: Die heute 19 Jahre alte Klägerin aus Bielefeld leidet seit dem 10. Lebensjahr an Diabetes mellitus. Von 2007 bis 2009 befand sie sich in der augenärztlichen Behandlung der Beklagten, einer in Bielefeld nieder­ge­lassenen Augenärztin. Nach den Sommerferien 2008 suchte die Klägerin die Beklagte mehrfach wegen forts­chrei­tender Verschlech­terung ihrer Sehleistung auf, ohne dass die Beklagte bis zur letzten Behandlung im Februar 2009 eine Augen­i­n­nen­druck­messung veranlasste. Nach einer notfallmäßigen Aufnahme der Klägerin wegen eines erhöhten Augendrucks diagnostizierte die Augenklinik der städtischen Klinik in Bielefeld im März 2009 einen fortge­schrittenen sogenannten Grünen Star (dekompensiertes juveniles Glaumkom mit Kammer­win­keldys­genisie). In der Folgezeit musste sich die Klägerin operativen Eingriffen am rechten und linken Auge unterziehen, die jedoch eine hochgradige Verschlech­terung ihrer Sehfähigkeit von zuvor noch über 60 % auf Werte unterhalb von 30 % nicht mehr verhindern konnten. Wegen der versäumten Feststellung des erhöhten Augendrucks begehrte die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld von zunächst 45.000 Euro. Nach Bekanntwerden der Möglichkeit, dass sie noch zu Lebzeiten erblinden könne, erhöhte sie ihre Schmer­zens­geld­vor­stel­lungen auf 80.000 Euro.

Augenärztin haftet aufgrund eines groben Befun­d­er­he­bungs­fehlers

Die Schaden­s­er­satzklage der Klägerin war erfolgreich. Über das vom Landgericht zugesprochene Teilschmer­zensgeld von 25.000 Euro hat das Oberlan­des­gericht Hamm der Klägerin weitere 55.000 Euro zugesprochen und damit das Schmerzensgeld auf insgesamt 80.000 Euro erhöht. Die Beklagte hafte aufgrund eines groben Befun­d­er­he­bungs­fehlers, entschied das von einem medizinischen Sachver­ständigen beratene Gericht. Bei ihrer letzten Behandlung im Februar 2009 habe sie es versäumt, eine Augeninnendruck- und eine Gesichts­feld­messung durchzuführen und so der Ursache der sich verschlech­ternden Sehfähigkeit weiter nachzugehen. Wäre der erhöhte Augeninnendruck bei der Klägerin seinerzeit medikamentös behandelt und die Klägerin als Notfall in eine Augenklinik eingewiesen worden, hätten die später eingetretene Gesichts­feld­ein­schränkung und der weitere Verlust der Sehfähigkeit möglicherweise erheblich geringer ausfallen können. Dabei sei der tatsächliche Verlauf der Erkrankung im vorliegenden Fall zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen. Es liege ein grober Befun­d­er­he­bungs­fehler vor, dem die eingetretenen Folgen zuzurechnen seien.

Verspätete Behandlung nimmt Möglichkeit zur Führung eines adäquaten Lebens

Der Klägerin sei ein Schmerzensgeld von 80.000 Euro zuzusprechen. Durch die verspätete Behandlung sei der noch jungen Klägerin die Möglichkeit genommen worden, ein adäquates Leben zu führen. So sei sie bei sportlichen Aktivitäten stark eingeschränkt und könne keinen Pkw führen. Weiterhin müsse sie einen Beruf ergreifen, der ihrer stark eingeschränkten Sehfähigkeit Rechnung trage. Sie benötige einen für ihre geringe Sehkraft speziell eingerichteten Arbeitsplatz. Zudem bestehe die Gefahr, dass sie zu Lebzeiten erblinde, auch wenn sich deren Zeitpunkt derzeit noch nicht abschätzen lasse. Das zugesprochene Schmerzensgeld sei aufgrund der bestehenden und absehbaren Folgen gerechtfertigt, allein die zeitlich nicht hinreichend sicher absehbare Erblindung habe das Gericht noch nicht berücksichtigt.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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