23.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil03.07.2015

Befunder­hebungs­fehler der Hausärztin: Patient erhält nach Verlust beider Nieren 200.000 Euro SchmerzensgeldUnterlassen elementar gebotener diagnostischer Maßnahmen ist als grober Behand­lungs­fehler des Arztes zu bewerten

Einer jugendlichen Patientin, die nach einem groben Befunder­hebungs­fehler ihrer Hausärztin beide Nieren verloren hat, dialy­se­pflichtig geworden ist und 53 Folge­ope­ra­tionen, darunter zwei erfolglosen Nieren­trans­plan­ta­tionen ausgesetzt war, steht ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro zu. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und änderte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Bielefeld ab.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1986 geborene Klägerin aus dem Kreis Minden-Lübbecke ließ sich über mehrere Jahre bis März 2002 durch die ortsansässige beklagte Hausärztin behandeln. Die Klägerin litt seinerzeit unter einer krankhaften Fettsucht und einem Nikotin­miss­brauch. Im September 2001 stellte die Beklagte bei der Klägerin einen deutlich erhöhten Blutdruck fest und wies die Klägerin und ihre Mutter auf eine notwendige Blutdruck­kon­trolle hin. Nachdem die Beklagte im November erfahren hatte, dass die Klägerin, bei der wiederum erhöhte Blutdruckwerte vorlagen, aufgrund von Kreis­lauf­pro­blemen viermal bewusstlos geworden war, stellte sie eine Überweisung zum Internisten bzw. Kardiologen zur weiteren Diagnostik einer sekundären Hypertonie aus. Zudem bot sie erneut regelmäßige Blutdruck­kon­trollen an, die die Klägerin in den nächsten Wochen nicht wahrnahm. Die Blut- und Nierenwerte der Klägerin untersuchte die Beklagte während dieser Zeit nicht. Nach der Behandlung durch die Beklagte wurden bei der Klägerin beiderseitige Schrumpfnieren diagnostiziert. In den folgenden Jahren unterzog sich die Klägerin 53 Operationen, u.a. zweier erfolgloser Nieren­trans­plan­ta­tionen. Sie wurde dialy­se­pflichtig. Mit der Begründung, sie sei von der Beklagten unzureichend untersucht worden, so dass ihr Nierenleiden zu spät entdeckt worden sei, hat die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld von 200.000 Euro.

OLG: Ärztin haftet für Befun­d­er­he­bungs­fehler

Die Schaden­s­er­satzklage der Klägerin war erfolgreich. Nach der Begutachtung des Falls durch einen medizinischen Sachver­ständigen sprach das Oberlan­des­gericht Hamm der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro zu. Die Beklagte hafte, so das Gericht, für Befun­d­er­he­bungs­fehler. Sie habe nicht genug unternommen, um die Ursache für den Bluthochdruck der Klägerin abzuklären. Bereits der im September gemessene Blutdruck sei ein krankhafter Befund gewesen, der durch weitere regelmäßige Blutdruck­mes­sungen habe abgeklärt werden müssen. Wenn es insoweit zu keiner Rückmeldung der Patientin gekommen sei, habe der damals 15jährigen Patientin und ihren Eltern die hohe Dringlichkeit der weiteren Abklärung verdeutlicht werden müssen. Der Beklagten sei zudem vorzuwerfen, dass sie nach der Vorstellung der Klägerin im November 2001 eine weiterführende Diagnostik nicht stärker vorangetrieben oder selbst durchgeführt habe. Mehrfache Bewusst­lo­sig­keiten und wiederholt erhöhte Blutdruckwerte hätten - trotz der weiteren Risikofaktoren der Klägerin - im Hinblick auf eine sekundäre Hypertonie zwingend weiter abgeklärt werden müssen. Hierzu hätte es weiterer Blutdruckwerte bedurft, die seinerzeit nicht vorgelegen hätten. Bei dieser Situation habe die bloße Überweisung der Klägerin zum Kardiologen ohne zwischen­zeitliche eigenständige Diagnostik nicht ausgereicht. Aus fachärztlicher Sicht eines Allge­mein­me­di­ziners sei sogar eine stationäre Abklärung erforderlich gewesen. Dieses habe wiederum der Klägerin und ihren Eltern verdeutlicht werden müssen. Dass die Beklagte bei der Situation im November diese elementar gebotenen diagnostischen Maßnahmen unterlassen habe, sei - abweichend von der Auffassung des Landgerichts - als grober Behandlungsfehler zu bewerten.

Bei früherer Diagnose hätte zumindest geringe Chance auf vollständige Heilung bestanden

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei - aufgrund der mit dem groben Behand­lungs­fehler verbundenen Beweis­la­st­umkehr - zugunsten der Klägerin davon auszugehen, dass ihre späteren Beein­träch­ti­gungen der Nierenfunktion, insbesondere ihre Dialysepflicht, die zwei Nieren­trans­plan­ta­tionen mit insgesamt 53 Operationen auf die von der Beklagten zu vertretende zeitliche Verzögerung bei der Feststellung und Behandlung der Grunderkrankung zurückzuführen seien. Bei einer früheren Diagnose der Niere­n­er­krankung der Klägerin habe eine - wenn auch geringe - Chance auf eine vollständige Heilung bestanden.

Höhe des Schmerzensgelds gerechtfertigt

Der kompli­ka­ti­o­ns­trächtige, lange Krank­heits­verlauf mit der dauerhaften Dialysepflicht für die noch junge Klägerin rechtfertigte die Größenordnung des zugesprochenen Schmer­zens­geldes.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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