21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss22.02.2017

Rechtswirksame Änderung des Geschlechts darf nicht ohne Begutachtung erfolgenGutachten können nicht durch Selbst­ein­schätzung der antrag­stel­lenden Person ersetzt werden

Das Oberlan­des­gericht Hamm hat entschieden, dass ein Gericht ohne sachverständige Begutachtung keine Namensänderung und keine Veränderung der Geschlechts­zugehörigkeit nach dem Trans­sexuellen­gesetz aussprechen kann.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die antragstellende Person ist in rechtlicher Hinsicht ein Mann. Sie beantragte, rechts­ver­bindlich einen weiblichen Vornamen zu führen und als dem weiblichen statt dem männlichen Geschlecht zugehörig angesehen zu werden. Eine sachverständige Begutachtung lehnte sie ab, da sie die Vorschriften des Trans­se­xu­el­len­ge­setzes, die ein Sachverständigengutachten voraussetzt, für verfas­sungs­widrig und mit der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention für unvereinbar hält.

Änderung des Vornamens und der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit nur nach Erstattung zweier Sachver­stän­di­gen­gut­achten zulässig

Der Antrag blieb jedoch erfolglos. Das Oberlan­des­gericht Hamm verwies darauf, dass das Transsexuellengesetz eine Änderung des Vornamens und der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit nur nach der Erstattung von zwei Sachver­stän­di­gen­gut­achten zulasse. Die Begutachtung habe der Gesetzgeber als zwingende Voraussetzung für eine antrag­s­ent­spre­chende Entscheidung normiert. Die Gutachten könnten nicht durch eine Selbst­ein­schätzung der antrag­stel­lenden Person ersetzt werden. Sie müssten zu der Frage Stellung nehmen, ob sich das Zugehö­rig­keits­emp­finden der antrag­stel­lenden Person mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht mehr ändern werde und ob die Person seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang stehe, ihren transsexuellen Vorstellungen entsprechend zu leben.

Keine Verletzung von Grundrechten durch Vorgaben des Trans­se­xu­el­len­ge­setzes

Das vom Trans­se­xu­el­len­gesetz vorgeschriebene Einholen von zwei Sachver­stän­di­gen­gut­achten sei nicht verfas­sungs­widrig und mit der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention vereinbar. Die dem Trans­se­xu­el­len­gesetz zugrunde liegende gesetz­ge­be­rische Entscheidung verletze keine Grundrechte.

Änderung des Personenstandes bedarf tragfähiger Gründe

Das Oberlan­des­gericht folge insoweit der - immer noch aktuellen - Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 11. Januar 2011. Nach dieser höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung sei es ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen. Es gelte, ein Ausein­an­der­fallen von biologischer und rechtlicher Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit möglichst zu vermeiden und eine Änderung des Personenstandes nur dann zuzulassen, wenn dafür tragfähige Gründe vorlägen und ansonsten verfas­sungs­rechtlich verbürgte Rechte unzureichend gewahrt würden.

Begutachtung durch zwei Sachverständige nicht unzumutbar

Deswegen sei es nicht unzumutbar, wenn das Gesetz zur Änderung der rechtlichen Zuordnung zum nachhaltig empfundenen Geschlecht die Begutachtung durch zwei Sachverständige fordere. Die durch die Begutachtungen für die antragstellende Person unweigerlich entstehenden Belastungen, auch in Form der Notwendigkeit nicht nur persönlichste, sondern intimste Erlebnisse, Gedanken, Grund­über­zeu­gungen offenzulegen, verletzten ihre Grundrechte nicht. Bei Verfahren nach dem Trans­se­xu­el­len­gesetz ergebe sich schon aus dem Gegenstand des Verfahrens, dass gerade die innere Verfasstheit und das Selbsterleben der antrag­stel­lenden Person zu behandeln seien.

Sachverständige und erkennende Richter zur Verschwie­genheit verpflichtet

Angesichts der Bedeutung des Verfahrens für das weitere Leben der antrag­stel­lenden Person sei es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber für ein erfolgreiches Verfahren zur Feststellung der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit nicht nur die Preisgabe der inneren Verfasstheit gegenüber dem erkennenden Gericht verlange. Der Gesetzgeber könne insoweit auch die eingehende fachkundige Erfassung und Beurteilung nach objek­ti­vierbaren Kriterien durch besonders befähigte Sachverständige verlangen, die als gerichtlich bestellte Sachverständige im Übrigen in gleicher Weise zur Verschwie­genheit gegenüber Dritten verpflichtet seien wie die erkennenden Richter.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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