21.11.2024
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Dokument-Nr. 10967

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Bundesverfassungsgericht Beschluss11.01.2011

Transsexualität: Geschlecht­s­um­wandlung als Voraussetzung zur Begründung einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft stellt Verstoß gegen Recht auf sexuelle Selbst­be­stimmung darBundes­ver­fas­sungs­gericht erklärt Voraussetzungen für Feststellung der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit gemäß des Trans­se­xu­el­len­ge­setzes verfas­sungs­widrig

Die Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung von Transsexuellen nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Trans­se­xu­el­len­gesetz (Feststellung der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit) sind verfas­sungs­widrig. Der Verweis auf die Eheschließung zur Absicherung einer Partnerschaft ist einer transsexuellen Person mit gleich­ge­schlecht­licher Orientierung, die lediglich die Voraussetzungen der Namensänderung erfüllt, nicht zumutbar. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht

Voraussetzung einer Eheschließung ist die Verschie­den­ge­schlecht­lichkeit der Ehegatten, während die Eingehung einer Leben­s­part­ner­schaft nach § 1 Leben­s­part­ner­schafts­gesetz nur zwischen gleich­ge­schlecht­lichen Personen möglich ist. In beiden Fällen wird auf das perso­nen­stands­rechtliche Geschlecht abgestellt.

„Kleine Lösung“: Änderung des Vornamens, ohne vorausgehende operative geschlechts­an­passende Eingriffe

Das Trans­se­xu­el­len­gesetz (TSG) sieht zwei Verfahren vor, die Transsexuellen das Leben im empfundenen Geschlecht ermöglichen sollen. Die so genannte „kleine Lösung“ erlaubt es, den Vornamen zu ändern, ohne dass zuvor operative geschlechts­an­passende Eingriffe stattgefunden haben müssen. Hierfür ist gemäß § 1 Abs. 1 TSG im Wesentlichen erforderlich, dass sich die Person auf Grund ihrer transsexuellen Prägung dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet, seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben, und mit hoher Wahrschein­lichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehö­rig­keits­emp­finden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist durch zwei Gutachten voneinander unabhängiger Sachver­ständiger nachzuweisen.

„Große Lösung“: Annäherung an das Erschei­nungsbild des anderen Geschlechts mittels operativer geschlechts­an­pas­sender Eingriffe

Nur die so genannte „große Lösung“ gemäß § 8 TSG führt dagegen zur perso­nen­stands­recht­lichen Anerkennung des empfundenen Geschlechts mit der Folge, dass sich die vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten der betroffenen Person grundsätzlich nach dem neuen Geschlecht richten. Sie setzt - neben den Erfordernissen des § 1 Abs. 1 TSG - gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG zusätzlich voraus, dass die Person dauernd fortpflan­zungs­unfähig ist (Nr. 3) und sich einem ihre äußeren Geschlechts­merkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erschei­nungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist (Nr. 4). Hierfür sind bei einer Mann-zu-Frau Transsexuellen die Amputation des Penisschaftes und der Hoden sowie die operative Bildung der äußeren primären weiblichen Geschlechts­organe erforderlich; bei Frau-zu-Mann Transsexuellen die operative Entfernung der Gebärmutter, der Eierstöcke und des Eileiters sowie oftmals eine Brust­ver­klei­nerung.

Beschwer­de­führerin steht mangels erfolgter Operation nur Möglichkeit der Eheschließung offen

Die jetzt 62-jährige Beschwer­de­führerin wurde mit männlichen äußeren Geschlechts­merkmalen geboren. Sie empfindet sich jedoch als Angehörige des weiblichen Geschlechts. Als solche ist sie homosexuell orientiert und lebt in einer Partnerschaft mit einer Frau. Sie hat gemäß § 1 TSG ihren männlichen in einen weiblichen Vornamen geändert. Eine Änderung des Personenstandes („große Lösung“) erfolgte nicht, da die notwendigen operativen Eingriffe nicht vorgenommen worden waren. Ihren zusammen mit ihrer Partnerin gestellten Antrag auf Eintragung einer Leben­s­part­ner­schaft lehnte der Standesbeamte ab, weil diese nur für zwei Beteiligte des gleichen Geschlechts eröffnet sei. Das Amtsgericht bestätigte die Entscheidung mit dem Hinweis, dass den Beteiligten nur die Möglichkeit der Eheschließung offen stehe, da für eine perso­nen­stands­rechtliche Anerkennung der Beschwer­de­führerin als Frau die geschlechts­an­passende Operation erforderlich sei. Ihre hiergegen erhobene Beschwerde vor dem Landgericht sowie ihre weitere Beschwerde vor dem Kammergericht blieben erfolglos.

Beschwer­de­führerin würde durch Eheschließung rechtlich als Mann eingestuft werden

Mit ihrer im Dezember 2007 erhobenen Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin im Wesentlichen eine Verletzung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts in seiner Ausprägung als Recht auf sexuelle Selbst­be­stimmung. Als empfundene Frau, die eine Frau zur Partnerin habe, wolle sie eine Leben­s­part­ner­schaft begründen. Eine Eheschließung sei ihr nicht zumutbar, da sie dadurch rechtlich als Mann eingestuft würde. Zudem würde angesichts ihres weiblichen Vornamens offenkundig, dass eine der beiden Frauen transsexuell sei, wodurch ein unauffälliges und diskri­mi­nie­rungs­freies Leben in der neuen Rolle unmöglich würde. Eine geschlechts­an­passende Operation sei aufgrund ihres Alters mit nicht abzuschätzenden gesund­heit­lichen Risiken verbunden.

Vorschriften aus § 8 Abs. 1 bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG normierten Voraussetzungen der perso­nen­stands­recht­lichen Anerkennung Transsexueller zur Eingehung einer Leben­s­part­ner­schaft mit dem Recht auf sexuelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht vereinbar sind. Die Vorschriften sind bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar. Da die mittelbar auf § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG beruhenden fachge­richt­lichen Entscheidungen die Beschwer­de­führerin in ihren Grundrechten verletzen, ist der Beschluss des Kammergerichts aufgehoben und zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen worden.

Beschwer­de­führerin geht zwischen­zeitlich aufgrund des Bedürfnis nach gegenseitiger Absicherung und Versorgung mit ihrer Partnerin die Ehe ein

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Die Verfas­sungs­be­schwerde ist zulässig. Dass die Beschwer­de­führerin während des Verfas­sungs­be­schwer­de­ver­fahrens zwischen­zeitlich die Ehe eingegangen ist, weil sie angesichts ihres Alters und des sich hinziehenden Verfahrens mit der rechtlichen Absicherung ihrer Partnerschaft nicht länger warten wollte, lässt ihr Rechts­schutz­be­dürfnis nicht entfallen. Denn ihr und ihrer Partnerin war es insoweit nicht zumutbar, ihr Bedürfnis nach gegenseitiger Absicherung und Versorgung weiter hintanzustellen. Zudem ist sie auch nach der Eheschließung weiterhin in ihrem eigenen Identi­täts­emp­finden als Frau betroffen und damit konfrontiert, dass ihre Transsexualität aufgrund der ehelichen Verbindung mit ihrer Partnerin offenkundig geworden ist.

Verstoß gegen das allgemeine Persön­lich­keitsrecht

Es verstößt gegen das allgemeine Persön­lich­keitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf sexuelle Selbst­be­stimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, dass Transsexuelle mit gleich­ge­schlecht­licher Orientierung zur rechtlichen Absicherung ihrer Partnerschaft entweder die Ehe eingehen oder sich geschlecht­s­än­dernden und die Zeugungs­un­fä­higkeit herbeiführenden operativen Eingriffen aussetzen müssen, um perso­nen­stands­rechtlich im empfundenen Geschlecht anerkannt zu werden und damit eine eingetragene Leben­s­part­ner­schaft begründen zu können, die ihrer als gleich­ge­schlechtlich empfundenen Partner­be­ziehung entspricht.

Verfas­sungs­rechtlich garantierter Schutz der Intimsphäre vor ungewollten Einblicken bleibt bei derzeitiger Regelung nicht gewahrt

Der Verweis auf die Eheschließung zur Absicherung einer Partnerschaft ist einer transsexuellen Person mit gleich­ge­schlecht­licher Orientierung, die lediglich die Voraussetzungen der Namensänderung nach § 1 TSG erfüllt, nicht zumutbar. Zum einen wird sie durch die Ehe als verschie­den­ge­schlecht­licher Verbindung rechtlich und nach außen erkennbar in eine Geschlech­terrolle verwiesen, die ihrer selbst empfundenen widerspricht. Dies verstößt gegen das verfas­sungs­rechtliche Gebot auf Anerkennung der selbst empfundenen geschlecht­lichen Identität. Zum anderen wird durch eine Eheschließung offenkundig, dass es sich bei ihr oder ihrem angeheirateten Partner um einen Transsexuellen handelt, weil ihre Namensänderung und ihr dem empfundenen Geschlecht angepasstes äußeres Erschei­nungsbild die Gleich­ge­schlecht­lichkeit der Beziehung offenbart. Damit bleibt ihr verfas­sungs­rechtlich garantierter Schutz der Intimsphäre vor ungewollten Einblicken nicht gewahrt.

Mit dem Recht auf sexuelle Selbst­be­stimmung und körperliche Unversehrtheit ist es ferner nicht vereinbar, dass Transsexuelle zur Absicherung einer gleich­ge­schlecht­lichen Partnerschaft nur dann eine eingetragene Leben­s­part­ner­schaft begründen können, wenn sie sich einer geschlecht­s­än­dernden Operation unterzogen haben sowie dauerhaft fortpflan­zungs­unfähig sind und aufgrund dessen perso­nen­stands­rechtlich anerkannt worden sind.

Anforderungen an Nachweis für Stabilität des Empfindens von Transsexualität zu hoch und für Betroffene unzumutbar

Verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber beim Zugang zu einer eingetragenen Leben­s­part­ner­schaft auch bei Transsexuellen mit homosexueller Orientierung auf das perso­nen­stands­rechtlich festgestellte Geschlecht der Partner abstellt und die perso­nen­stands­rechtliche Geschlechts­be­stimmung von objek­ti­vierbaren Voraussetzungen abhängig macht, um dem Personenstand Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen und ein Ausein­an­der­fallen von biologischer und rechtlicher Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit zu vermeiden. Der Gesetzgeber kann daher - auch über die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 TSG hinaus - näher bestimmen, wie der Nachweis der Stabilität und Irrever­si­bilität des Empfindens und Lebens von Transsexuellen im anderen Geschlecht zu führen ist. An diesen Nachweis stellt er aber zu hohe, den Betroffenen unzumutbare Anforderungen, indem er in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG von ihnen unbedingt und ausnahmslos verlangt, sich Operationen zu unterziehen, die ihre Geschlechts­merkmale verändern und zur Zeugungs­un­fä­higkeit führen.

Dauerhaftigkeit und Irrever­si­bilität des empfundenen Geschlechts bei Transsexuellen lässt sich nicht am Grad der operativen Anpassung der äußeren Geschlechts­merkmale messen

Eine geschlecht­s­um­wan­delnde Operation stellt eine massive Beein­träch­tigung der von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Unversehrtheit mit erheblichen gesund­heit­lichen Risiken und Nebenwirkungen für den Betroffenen dar. Nach dem heutigen wissen­schaft­lichen Kenntnisstand ist sie jedoch auch bei einer weitgehend sicheren Diagnose der Transsexualität nicht stets indiziert. Die Dauerhaftigkeit und Irrever­si­bilität des empfundenen Geschlechts bei Transsexuellen lässt sich nicht am Grad der operativen Anpassung ihrer äußeren Geschlechts­merkmale messen, sondern vielmehr daran, wie konsequent sie in ihrem empfundenen Geschlecht leben. Die unbedingte Voraussetzung einer operativen Geschlechtsumwandlung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG stellte eine übermäßige Anforderung dar, da sie von Transsexuellen verlangt, sich auch dann dem Eingriff auszusetzen und gesundheitliche Beein­träch­ti­gungen hinzunehmen, wenn dies im jeweiligen Fall nicht indiziert und für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Transsexualität nicht erforderlich ist.

Zur perso­nen­stands­recht­lichen Anerkennung geforderte dauernde Fortpflan­zungs­un­fä­higkeit ebenfalls nicht vorrangig relevant

Gleiches gilt im Hinblick auf die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG zur perso­nen­stands­recht­lichen Anerkennung geforderte dauernde Fortpflan­zungs­un­fä­higkeit, soweit für ihre Dauerhaftigkeit operative Eingriffe zur Voraussetzung gemacht werden. Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit dieser Voraussetzung das berechtigte Anliegen, auszuschließen, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechts­ver­ständnis widerspräche und weitreichende Folgen für die Rechtsordnung hätte. Diese Gründe vermögen aber im Rahmen der gebotenen Abwägung die erhebliche Grund­rechts­be­ein­träch­tigung der Betroffenen nicht zu rechtfertigen, weil dem Recht der Transsexuellen auf sexuelle Selbst­be­stimmung unter Wahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit größeres Gewicht beizumessen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fälle des Ausein­an­der­fallens von rechtlicher Geschlechts­zu­ordnung und Erzeuger- beziehungsweise Gebärendenrolle angesichts der kleinen Gruppe transsexueller Menschen nur selten vorkommen werden. Zudem wird dadurch vornehmlich die Zuordnung der geborenen Kinder zu Vater und Mutter berührt. Insoweit kann aber rechtlich sichergestellt werden, dass den betroffenen Kindern trotz der rechtlichen Geschlecht­s­än­derung eines Elternteils rechtlich immer ein Vater und eine Mutter zugewiesen bleiben beziehungsweise werden. So bestimmt § 11 TSG, dass das Verhältnis rechtlich anerkannter Transsexueller zu ihren Abkömmlingen unberührt bleibt; diese Regelung kann dahingehend ausgelegt werden, dass sie auch für diejenigen Kinder gilt, die erst nach der perso­nen­stands­recht­lichen Geschlecht­s­än­derung eines Elternteils geboren werden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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