21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.07.2006

Deutsches Trans­se­xu­el­len­gesetz gilt auch für ausländische TranssexuelleVorenthaltung der Rechte wäre eine dauerhafte Benachteiligung

Auch ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, haben das Recht ihren Vornamen nach dem von ihnen empfundenen Geschlecht zu ändern, sofern ihr Heimatrecht keine vergleichbaren Regelungen kennt. Das Trans­se­xu­el­len­gesetz sieht derzeit das Recht auf Vorna­men­s­än­derung nur für Deutsche oder für Personen mit deutschem Personalstatut vor. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben bis zum 30. Juli 2007 das Trans­se­xu­el­len­gesetz neu zu regeln, so dass es auch für oben genannte ausländische Transsexuelle anwendbar ist.

Das Transsexuellengesetz eröffnet über § 1 Abs. 1 Nr. 1 nur Deutschen und Personen mit deutschem Personalstatut (staatenlose oder heimatlose Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, Asylberechtigte, ausländische Flüchtlinge mit Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes) die Möglichkeit der Beantragung einer dem empfundenen Geschlecht entsprechenden Änderung des Vornamens oder der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit, nicht dagegen allen übrigen Personen mit ausländischer Nationalität. Mit diesem Ausschluss werden ausländische Transsexuelle zur Durchsetzung ihres Anliegens indirekt auf das Recht ihres Heimatstaates und eine dortige Beantragung verwiesen. Sieht das Heimatrecht jedoch keine vergleichbare Regelung vor, bleibt ihnen die Möglichkeit einer rechtlichen Anerkennung ihrer empfundenen Geschlechts­zu­ordnung nach der derzeit geltenden Rechtslage auf Dauer verschlossen.

Auf einen Vorla­ge­be­schluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt am Main entschied nun der Erste Senat des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG gegen das Gleich­be­hand­lungsgebot in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit verstoße, soweit er ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, von der Antrags­be­rech­tigung zur Änderung des Vornamens und der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit ausnimmt, sofern deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen nicht kennt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis zum 30. Juli 2007 eine verfas­sungs­gemäße Neuregelung zu treffen. Bis dahin bleibt § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG anwendbar.

Den Vorla­ge­be­schlüssen zu Grunde lagen der Fall eines thailändischen Staats­an­ge­hörigen sowie einer äthiopischen Staats­an­ge­hörigen, die sich einer operativen Geschlecht­s­um­wandlung unterzogen und die rechtliche Anerkennung der Zugehörigkeit zum weiblichen bzw. männlichen Geschlecht beantragt hatten. Die Fachgerichte hatten die Anträge mangels Antrags­be­rech­tigung abgewiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Mit der Beschränkung des Personenkreises der Antrags­be­rech­tigten auf Deutsche und Personen mit deutschem Personalstatut hat der Gesetzgeber einen am Staats­an­ge­hö­rig­keits­prinzip ausgerichteten legitimen Zweck verfolgt. Er behält dem jeweiligen Heimatstaat der ausländischen Transsexuellen die Entscheidung über deren Namen und Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit vor. Dies beruht auf dem Respekt vor den Rechtsordnungen der Staaten, denen die Betroffenen angehören.

Die ausnahmslose Verweisung ausländischer Transsexueller, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, auf das Recht des Staates, dem sie angehören, benachteiligt aber diejenigen, deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen zur Vorna­men­s­än­derung und Änderung der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit nicht kennt, gegenüber Deutschen und Personen mit deutschem Personalstatut. Diese Benachteiligung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Die mit dem Ausschluss von Ausländern in § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG bezweckte unein­ge­schränkte Geltung des Staats­an­ge­hö­rig­keits­prinzips bei der Änderung des Vornamens oder der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit ist kein ausreichend gewichtiger Grund.

1. Es kann Gründe geben, die erfordern, bei bestimmten Rechts­ver­hält­nissen vom Staats­an­ge­hö­rig­keits­prinzip abzuweichen. Dies gilt vor allem dann, wenn das jeweilige ausländische Recht aus der Sicht des deutschen Verfas­sungs­rechts grund­rechts­re­levante Rechte vorenthält oder Regelungen getroffen hat, deren Anwendung Grundrechte der Betroffenen beeinträchtigen. Dem trägt im deutschen Internationalen Privatrecht Art. 6 EGBGB Rechnung, der Ausdruck des ordre public ist und bestimmt, dass im Falle der Anwendung des Heimatrechts eine Regelung eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn dies zu einem Ergebnis führte, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre. Damit ermöglicht diese Norm vor allem bei mit der Anwendung ausländischen Rechts verbundenen Grund­rechts­ver­let­zungen den Rückgriff auf das deutsche Recht, um solche Verletzungen zu verhindern.

2. § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG entzieht Ausländern von vornherein die Möglichkeit einer inhaltlichen Überprüfung ihres Begehrens durch deutsche Gerichte, denn die Norm bestimmt einerseits, dass das in § 1 und § 8 TSG enthaltene Recht Ausländern nicht zugänglich ist, und enthält andererseits auch keinen Rechts­an­wen­dungs­befehl im Hinblick auf das jeweilige Heimatrecht der Betroffenen. Dies führt dazu, dass die Gerichte bei ausländischen Antragstellern weder die Rechte des deutschen Trans­se­xu­el­len­ge­setzes zuerkennen können noch das einschlägige ausländische Recht anzuwenden und dabei zu prüfen haben, ob die Anwendung des jeweiligen Heimatrechtes gegen den ordre public verstoßen würde. Damit wird ausgeschlossen, dass aufgrund von Art. 6 EGBGB deutsches Recht zur Anwendung kommen könnte. Die zur Prüfung gestellte Norm bewirkt damit einen absoluten Ausschluss des über Art. 6 EGBGB gewährten Grund­rechts­schutzes für ausländische Transsexuelle, deren Heimatrecht eine Änderung des Vornamens oder der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit nicht kennt, mit der Folge, dass die Betroffenen einer schweren Beein­träch­tigung ihres Rechts auf freie Persön­lich­keits­ent­faltung und Wahrung ihrer Intimsphäre ausgesetzt sind.

3. Diese Beein­träch­tigung der Betroffenen lässt sich bei denen, die sich erst kurzfristig und vermutlich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, mit dem legitimen Anliegen des Gesetzgebers rechtfertigen, zu verhindern, dass Ausländer nur deshalb nach Deutschland einreisen, um Anträge nach dem Trans­se­xu­el­len­gesetz stellen zu können. Für diejenigen aber, die rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland leben, greift dieses Anliegen nicht. Für sie bedeutet die Vorenthaltung der Rechte aus dem Trans­se­xu­el­len­gesetz eine sie dauerhaft treffende Benachteiligung bei zugleich ständiger Beein­träch­tigung ihres Persön­lich­keits­rechts.

Siehe zum Trans­se­xu­el­len­gesetz auch:

BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005: Regelung im Trans­se­xu­el­len­gesetz über Verlust des geänderten Vornamens bei Eheschließung ist verfas­sungs­widrig

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 107/06 des BVerfG vom 07.11.2006

der Leitsatz

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Trans­se­xu­el­len­ge­setzes verstößt gegen das Gleich­be­hand­lungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), soweit er ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, von der Antrags­be­rech­tigung zur Änderung des Vornamens und zur Feststellung der Geschlechts­zu­ge­hö­rigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG ausnimmt, sofern deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen nicht kennt.

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