23.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil15.07.2013

Schlag mit Bierkrug kann als Nothil­fe­handlung gerechtfertigt seinOberlan­des­gericht Hamm stärkt Recht zur Notwehr und Nothilfe

Wer körperlich angegriffen wird, darf sich mit dem mildesten Abwehrmittel verteidigen, das er zur Hand hat und mit dem der Angriff sofort und endgültig abgewehrt werden kann. Dabei muss nicht auf weniger gefährliche, in ihrer Abwehrwirkung zweifelhafte Vertei­di­gungs­mittel zurückgegriffen werden, auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muss sich der Angegriffene nicht einlassen. Dies hat Oberlan­des­ge­richts Hamm entschieden und damit ein den Angeklagten freisprechendes Berufungsurteil des Landgerichts Siegen bestätigt.

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der zur Tatzeit 23 Jahre alte Angeklagte, ein Schüler aus dem Kreis Altenkirchen in Rheinland-Pfalz, war wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des zur Tatzeit 23 Jahre alten Nebenklägers, eines Anlagen­me­cha­nikers aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein, angeklagt worden. Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, am Morgen des 07.06.2012 auf einer Straße in Kreuztal (Kreis Siegen-Wittgenstein) den Nebenkläger als „Kanaken“ beschimpft und ihm sodann mit einem Bierglaskrug gegen den Kopf geschlagen zu haben.

Angeklagter schlug Nebenkläger mit Bierkrug

Nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts kam es am Tattag zunächst zu einer verbalen Ausein­an­der­setzung zwischen dem Nebenkläger und seinem Bekannten einerseits und der aus dem Angeklagten und mehreren Begleitern bestehenden Gruppe andererseits. Nach anfänglichen wechselseitigen Beschimpfungen, an denen sich der Angeklagte nicht beteiligte, näherten sich der Nebenkläger und sein Bekannter der Gruppe, wobei der Nebenkläger in Richtung der Gruppe des Angeklagten fragte, ob sie „Stress“ und etwas auf die „Fresse“ haben wollten. Als der Nebenkläger den seitlich neben dem Angeklagten stehenden Begleiter erreicht hatte, schlug er ihn mit der Faust ins Gesicht und traf ihn im Bereich seines Unterkiefers. Unmittelbar darauf machte der Angeklagte einen Schritt auf den Nebenkläger zu und schlug diesen mit einem Bierglaskrug, den er bereits zuvor in der Hand gehalten hatte, um diesen zu leeren, gegen den Kopf. Er wollte seinem Begleiter zu Hilfe kommen. Hierdurch erlitt der Nebenkläger eine Platzwunde, ein Hämatom und eine Gehir­n­er­schüt­terung.

OLG Hamm bestätigt Freispruch

Mit seiner Revisi­ons­ent­scheidung hat das Oberlan­des­gericht Hamm den Freispruch des Angeklagten durch das Landgericht bestätigt, weil die Tat des Angeklagten durch Nothilfe gemäß § 32 StGB gerechtfertigt war.

OLG Hamm beurteilt Tat als Nothil­fe­handlung

Eine Nothilfelage habe – so der Senat – vorgelegen. Der Angeklagte habe – wie das Berufungs­gericht zutreffend festgestellt habe - gehandelt, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff des Nebenklägers auf seinen Begleiter abzuwenden. Der Angeklagte habe zum Zeitpunkt seines Schlages annehmen müssen, dass der Nebenkläger seinen Begleiter weiter schlagen werde. Das ergebe sich daraus, dass der Nebenkläger den Angegriffenen bedroht habe, nach seinem Schlag nicht zurückgewichen sei und seinerseits noch Rückendeckung durch den hinter ihm stehenden Bekannten gehabt habe. Der Angeklagte habe mit Willen gehandelt, seinen angegriffenen Begleiter zu verteidigen.

Schlag hat sofortige und endgültige Beseitigung des Angriffs erwarten lassen

Seine Nothil­fe­handlung sei auch erforderlich gewesen. Er habe sich eines Abwehrmittels bedienen dürfen, das er zur Hand gehabt habe und mit dem der Angriff sofort und endgültig abzuwehren gewesen sei. Das schließe – in Ausnahmefällen und als letztes Verteidigungsmittel – den Einsatz lebens­ge­fähr­licher Mittel ein. Auf weniger gefährliche, in ihrer Abwehrwirkung zweifelhafte Vertei­di­gungs­mittel habe der Angeklagte nicht zurückgreifen, auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang habe er sich nicht einlassen müssen. Ausgehend hiervon sei der Schlag mit dem Glaskrug gerechtfertigt gewesen. Der Schlag habe die sofortige und endgültige Beseitigung des Angriffs erwarten lassen. Dabei habe der Angeklagte sich nicht ein bloßes Wegschubsen des Nebenklägers, einen Schlag mit seiner freien linke Hand – er sei Rechtshänder – oder darauf einlassen müssen, den Glaskrug zunächst wegzustellen, um denn mit der bloßen Faust zuzuschlagen. Auch habe er einen Schlag mit dem Krug nicht zuvor androhen müssen. Diesbezügliche Überlegungen anzustellen hätte bereits zu einer zeitlichen Verzögerung geführt, die eine erneute Attacke des angreifenden Nebenklägers begünstigt hätte. Es sei zudem zweifelhaft, ob die dargestellten Möglichkeiten zur sofortigen Beseitigung der Gefahr geeignet gewesen seien.

Keine Einschränkung des Nothilferechts

Die Nothil­fe­handlung des Angeklagten sei auch geboten gewesen. Da die Beleidigungen des Nebenklägers und dessen Bekannten von einem Dritten aus der Gruppe um den Angeklagten (ohne, dass auch nur eine Billigung dieser Äußerungen durch den Angeklagten feststellbar war) ausgegangen waren, sei sein Nothilferecht nicht eingeschränkt gewesen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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