Im vorliegenden Fall forderte der Fahrer eines Pkw Schadensersatz aus einem Auffahrunfall, bei dem ihm eine Verkehrsteilnehmerin nach einem erfolgten Bremsmanöver aufgefahren war. Der Mann beantragte den Ersatz des Sachschadens in Höhe von 5.537 Euro sowie die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes.
Der Unfall ereignete sich an einer Straßenkreuzung, die auch von Straßenbahnen befahren wurde. An der Ampelanlage, die den Kraftfahrzeug- und Straßenbahnverkehr regelte, hielt der Kläger aufgrund des roten Haltesignals an. Die Beklagte stoppte mit ihrem Pkw hinter dem Fahrzeug des Mannes. Kurz nachdem die Ampel auf grün umgesprungen war und sich der Verkehr in Bewegung gesetzt hatte, bremste der Mann sein Fahrzeug unerwartet bis zum Stillstand ab. Die Frau hinter ihm konnte trotz einer Vollbremsung einen Auffahrunfall nicht mehr verhindern. Der Kläger behauptete, er habe seinen Pkw verlangsamt, da er sich vergewissern wollte, dass sich von rechts oder links keine Straßenbahn nähere und die Beklagte sei ihm aufgrund eines zu geringen Sicherheitsabstandes aufgefahren. Die Fahrerin gab zu Protokoll, der Kläger habe sein Fahrzeug bei einer erreichten Geschwindigkeit von etwa 20 bis 30 km/h ohne erkennbaren Grund bis zum Stillstand abgebremst. Sie vermute, der Mann habe den Unfall möglicherweise provoziert, um einen bereits vor dem Unfall vorhandenen Schaden am Fahrzeug ersetzen zu lassen.
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach §§ 823 I BGB, 7. 17, 18 StVG, 3 PflVG ist nach Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main jedoch nicht begründet. Die Unfallschuld liege allein beim Kläger, da er verpflichtet gewesen sei, sich so zu verhalten, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, gefährdet oder behindert werden könne. Damit dürfe er auch nicht ohne triftigen Grund so langsam fahren, dass der Verkehrsfluss behindert werde. Er dürfe nicht ohne Ankündigung und ohne für den nachfolgenden Verkehr erkennbare Ursache plötzlich abbremsen, da dadurch ein Auffahren des Hintermannes provoziert und unvermeidlich werde.
Der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Auffahrenden könne nur in Fällen angewendet werden, in denen der Auffahrunfall in der Regel auf mangelnde Aufmerksamkeit, überhöhte Geschwindigkeit oder einen ungenügenden Sicherheitsabstand des Auffahrenden zurückgeführt werden könne. Die für die Anwendung des Anscheinsbeweises notwendige Standardsituation fehle allerdings im vorliegenden Fall. Das Verschulden liege beim Vorausfahrenden, wenn dieser beispielsweise kurz zuvor einen unerwarteten Spurwechsel vorgenommen oder grundlos abgebremst habe. Dem Kläger im vorliegenden Fall hätte bei aufmerksamer Beobachtung der Verkehrssituation mit der gebotenen und ständigen Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer klar sein müssen, dass die Ampelanlage dazu bestimmt war, den Verkehr im Bereich der Kreuzung zu regeln und den Kraftfahrzeugverkehr und den Betrieb der Straßenbahnen auseinander zu halten. Das Annähern einer Straßenbahn habe der Kläger unter diesen Umständen nicht als Gefährdung missdeuten dürfen, zumal sich die Straßenbahn zu diesem Zeitpunkt noch vor der bereits im Rücken des Klägers liegenden Straßenbahnhaltestelle in etwa 25 Metern befunden habe. Einen Grund für das plötzliche Abbremsen habe der Kläger demnach nicht gehabt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 06.03.2012
Quelle: ra-online, Oberlandesgericht Frankfurt am Main (vt/st)